Der neoliberale Kapitalismus an seinen Grenzen – und darüber hinaus
Ich war und bin kein studierter Marxist. Aber ich kannte viele. Die meisten wurden später Konvertiten. Das sind immer die Schlimmsten. Einer z.B. ist in Hamburg teurer Arbeitgeberanwalt, hat an seinem Kanzleischreibtisch in Hamburg Hafenblick. Das ist vergleichbar mit einem Kölner Bürobalkon an der Route des Rosenmontagszuges. Viele von denen waren (und sind) kluge, intelligente Leute. Den real existierenden Kapitalismus haben sie analytisch tief durchdrungen. Was sie nicht oder erst spät kapierten – nicht wenige z.B. bei der Tschernobyl-Atomkatastrophe – dass die ständige Fortentwicklung der Produktionsmittel eines Tages an – im Sinne des Wortes – natürliche Grenzen stösst. Die setzt der menschlichen Verfügungsgewalt, selbst (oder insbesondere) in ihrer (real-)sozialistischen Ausprägung Stoppschilder: hier geht es nicht mehr weiter (dieser Videolink ist verfügbar bis 22.7.).
Richtig ist, das haben auch viele der früheren Genoss*inn*en irgendwann eingesehen: der real existierende Kapitalismus ist zu dieser Einsicht nicht fähig. Sie widerspricht allen seinen Grundprinzipien: jeder Markt muss wachsen, neue Märkte müssen entwickelt werden. das Kapital muss fliessen und zirkulieren, und zwar immer schneller – und technisch ist das alles kein Problem, weil der technische “Fortschritt” noch unaufhaltsamer als Sozialismus oder Kapitalismus ist.
Die Oligarchen, die diesbezüglich von Zweifeln heimgesucht werden, beruhigen sich zumindest mit dem realitätsnäheren Gedanken: jedenfalls, solange ich noch lebe. Diese Hoffnung teile ich (68) mit ihnen, aber sicher bin ich mir nicht.
Was denkt sich nun so ein Normalkapitalist, wie der bald 70 Jahre alt werdende Bundeskanzler, der zeitweise (2016-20) Aufsichtsratschef der deutschen Sektion des kapitalkräftigsten US-Investmentfonds war, einer Kapitalmachtsammlung, die in allen wichtigen deutschen und europäischen Grosskonzernen zu den Hauptaktionär*inn*en zählt? Ich unterstelle, dass die Weltsicht dieser Grosskapitalorganisation und die des amtierenden Bundeskanzlers – sein Vorgänger wird sich erinnern, was ich meine, so schlecht ist sein Erinnerungsvermögen nämlich gar nicht 😉 – werden sich in erstaunlichem Masse decken.
Auch im Kapitalismus setzt ökonomischer Erfolg neben sozialen, politischen und ökonomischen Voraussetzungen, von denen die Kinder der herrschenden Klassen profitieren, immer auch ein Minimum an Intelligenz voraus. Bei diesbezüglichem Mangel kann mann sonst auch schon mal im Knast landen (Benko, Middelhoff, Esch, Schneider usw.). Dieses Mindestmass an Intelligenz reicht aus, um die Grundzüge der wissenschaftlichen Klimaforschung zu begreifen. Im Klartext: so, wie es läuft, geht es nicht mehr lange weiter. Je langsamer daraus Konsequenzen gezogen werden, umso schneller wird es so weit sein.
Was bleibt also noch auszuplündern, ausser irdischen Rohstoffen und menschlicher Arbeitskraft? Richtig: der gesellschaftliche Reichtum, der sich in Kassen und Konten der Öffentlichkeit, in grossen Teilen unter der Bezeichnung “Staat”, angehäuft hat. Die selige FDP war eine der Ersten, die das begriffen hatte. Deswegen wurde sie auch immer so gut dafür bezahlt.
Die Bahnprivatisierung scheiterte an gesellschaftlichem Widerstand. Also plündert mann sie aus (diesen SZ-Paywall-Text sende ich Ihnen auf Anfrage gerne zu), wie sie ist. Die ganze Fantasie von der “Digitalisierung” ist deswegen so ein Kapitalparadies, weil die ahnungslosen öffentlichen Amtsträger*innen so fantastisch und widerstandslos über den Tisch gezogen werden können. Das ist imgrunde das Gleiche, nur noch grösser und effektiver, als was die Baumafia mit qualitativ und quantitativ unterbesetzten kommunalen Ämtern schon seit Jahrhunderten macht. Und auch die vorgebliche Renaissance der Atomenergie dient allein diesem Zweck. Das wird noch weit weniger – definitiv längerdauernd und teurer! – fertiggebaut als die Bonner Beethovenhalle oder die Kölner Oper (oder die Elbphilharmonie oder der Berliner Flughafen) – aber es bindet öffentliches Kapital und schaufelt es hemmungslos auf die Konten industrieller Konzern-Grossstrukturen (“Mittelstand”? – haben wir gelacht …). Fragen Sie die nur mal nach dem Kühlwasser … und gucken Sie morgen statt ESC “Wilsberg”.
Und was glauben Sie wohl, wer mit der deutschen “Kriegsertüchtigung” seine Konten füllt? Wenn der Krieg dann da ist, sind alle seine Propagandist*inn*en schon (weit) weg.
Hallo Martin, kann das sein das der “wer” etwas flunkert? siehe hier> https://www.nachdenkseiten.de/?p=94775
dem Werner vertrau ich weil sonst würde man ihn mit law fare überziehen
Wer weiss das, und will das so genau wissen? Entscheidend ist am Ende: “unser” Geld ist weg, und die, die es plündern, auch. Den Schaden haben dann die Klimakrisen- und Kriegsopfer.
Re: Plünderer
Danke, Martin, für die Verlinkung der Doku bei ARTE. Ich hatte den Film schon lange auf meiner Liste, mir hat einzig die Muße gefehlt, darüber zu schreiben. Doch Zentralasien ist weit weg. Dagegen ist Wien um die Ecke. Diese Doku ist nochmal ein Jahr jünger (2024)…:
https://www.youtube.com/watch?v=hdDMSjLIU8A
Den Rhein hast du sogar vor der Tür. Deshalb sind deine Pegelmeldungen auch potenziell politischer Sprengstoff. Da jetzt rechnen wir mal hoch, wie viel Wasser noch in Holland ankommt, wenn wir den Fluss erstmal die RWE Tagebaue fluten lassen. Ob es dann noch genug für all die neuen Atomkraftwerke gibt? Ich will das gar nicht wissen. Krieg um Wasser hat es immer und überall schon gegeben. Das kommt auch (wieder) zu uns. Die EU könnte das sprengen. Fürchte ich.