Personenkontrollen, Victim Blaming: Studie warnt vor Diskriminierung durch Polizei
Eine neue Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes fasst erstmals zusammen, auf wie vielen Ebenen Diskriminierung durch die Polizei geschehen kann – auch unter den Beamt:innen selbst. Ein Katalog an Forderungen soll das ändern.
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat eine Studie „Polizei und Diskriminierung“ veröffentlicht. Darin werden sowohl Diskriminierung durch die Polizei als auch Diskriminierung innerhalb der Polizei untersucht. Ein Ergebnis der Studie ist, dass Diskriminierung in nahezu allen Bereichen des polizeilichen Handelns auftreten kann, es aber Schwerpunkte und Gruppen gibt, die stärker betroffen sind.
Eine der größten Problemfelder sind Polizeikontrollen, wo laut der Studie (PDF) bestimmte Gruppen zum Beispiel durch Racial Profiling, also anhand rassistischer Auswahlkriterien, dem sogenannten Overpolicing ausgesetzt sind. Das heißt, dass sie stärker in den Fokus polizeilicher Maßnahmen geraten als andere. Hierzu zählt die Studie insbesondere junge, männliche Personen mit Migrationshintergrund, aber auch generell Muslim:innen und People of Color. Auch Menschen mit zugeschriebenem niedrigen „sozialen Status“ gerieten öfter in den Fokus; Auswahlkriterium sei hier oftmals die Kleidung.
Die Diskriminierung könne sich zudem nicht nur in der Auswahl der kontrollierten Personen, sondern auch in der Intensität der Kontrollen und im Umgang mit den kontrollierten Personen zeigen.
Neben dem Overpolicing gibt es auch das Phänomen der Underprotection, worunter verstanden wird, dass Personen oder Gruppen mit bestimmten Diskriminierungsmerkmalen weniger geschützt werden als andere. Hier spielen laut der Studie „Alter, Milieuzugehörigkeit und rassistische Zuschreibungen eine Rolle“.
Unzureichende Hilfe
Auch bei der Aufnahme von Strafanzeigen kommt es zu Diskriminierung. „Bei der Anzeigenerstattung können Bürger*innen aufgrund ihres sozialen Status, ihrer Herkunft, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung, einer Behinderung oder ihrer Lese- und Schreibkompetenz diskriminiert werden“, stellt die Studie fest. „Frauen, insbesondere solche mit Migrationshintergrund oder in prekären Situationen wie Sexarbeiter*innen, wird von der Polizei häufig misstraut“. Sie erfahren laut der Studie mitunter Victim Blaming – so nennt man es, wenn Betroffenen die Verantwortung für etwas zugeschoben wird, das ihnen angetan wurde. Außerdem werde ihnen von der Polizei unzureichend geholfen.
Bei polizeilichen Ermittlungen gibt es durch Diskriminierungen oftmals eine Täter-Opfer-Umkehr. Hier verweist die Studie unter anderem auf den Anschlag von Hanau oder die NSU-Ermittlungen, wo lange von „Dönermorden“ die Rede war und die Ermittlungen in die falsche Richtung liefen, anstatt rassistische, neonazistische Strukturen in den Fokus zu nehmen.
Stereotype und Stigmatisierung
Diskriminierungsrisiken sieht die Studie auch beim Umgang der Polizei mit Protesten: „Gefahrenprognosen können aufgrund stereotyper Annahmen je nach Protestgruppe unterschiedlich ausfallen, was zu selektiven Festnahmen oder übermäßiger Gewaltanwendung führen kann. Meist basiert die Unterscheidung auf der (zugeschriebenen) politischen Ausrichtung der Gruppen.“
Auch polizeiliche Datenbanken und sogenannte Künstlicher Intelligenz geben Anlass zu Sorge. Die Nutzung von Datenbanken bergen der Studie zufolge Risiken der Diskriminierung – insbesondere durch die Überrepräsentation bestimmter Gruppen und stereotypisierende Markierungen. Zudem könnten diskriminierende Muster reproduziert und verstärkt werden. Als ein Beispiel nennt die Studie die „antiziganistische Diskriminierung, bei der Sinti*zze und Rom*nja in Datenbanken und Lagebildern mit bestimmten Kriminalitätsformen in Verbindung gebracht werden.“
Bei der Kriminalprävention sieht die Studie wiederum Risiken der Underprotection, beispielsweise für Menschen mit Migrationshintergrund. Gleichzeitig kann es bei der Präventionsarbeit der Polizei zu Stigmatisierung von Gruppen kommen, die in dieser Arbeit gegenüber den Bürger:innen als potentielle Täter:innen beschrieben werden.
Diskriminierung auch innerhalb der Polizei
Auch innerhalb der Polizei gibt es Diskriminierung. Hier nennt die Studie vor allem Frauen, trans* Personen und Menschen mit Migrationshintergrund als Betroffene. Recht gut erforscht seien Ausschlussmechanismen gegenüber Frauen, die schlechtere Beförderungschancen hätten und teilweise sexuelle Belästigung erfahren würden. Diskriminierungen stellt die Studie aber auch gegenüber homosexuellen Beamten:innen, gegenüber Älteren und chronisch Kranken, sowie gegenüber als politisch links wahrgenommenen Kolleg:innen fest.
Auch bei Pressearbeit und in den sozialen Medien seien Diskriminierungen zu beobachten. Die Polizei sei oft keine neutrale Beobachterin, sondern Akteurin, was die Perspektive beeinflusse. „In dynamischen Situationen wie bei Protesten können schnelle, ungenaue Meldungen zu Falschdarstellungen und Stigmatisierungen führen. Eine emotionale Aufladung von Inhalten in sozialen Medien kann zudem Ängste schüren und Stereotype verstärken“, heißt es weiter.
Als Problem wird auch die sogenannte Cop Culture genannt, deren informelle Wertvorstellungen zur institutionellen Diskriminierung beitragen würden.
Weniger strenge Regeln für den Staat
Grundsätzlich seien Diskriminierungen durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verboten. „Staatliches Handeln von Behörden und Hoheitsträger*innen, wie etwa Handlungen der Polizei gegenüber Bürger*innen, fällt allerdings nicht in den Anwendungsbereich des AGG“, stellt die Studie fest. Damit gelten für den Staat weniger strenge Vorgaben als für diskriminierendes Handeln von Staatsbürger*innen untereinander, kritisiert die Studie. Lediglich im Land Berlin gäbe es ein Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG), auf dass sich Bürger:innen auch gegenüber dem Staat berufen könnten.
Die Studie empfiehlt zudem, dass die Polizei internationale Entscheidungen, insbesondere des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und der UN-Menschenrechtsausschüsse stärker berücksichtigen solle.
Das empfiehlt die Studie
In den Empfehlungen der Kurzfassung der Studie (PDF) heißt es, dass es sich bei der polizeilichen Diskriminierung um ein komplexes Problem handele, das kontinuierliche Aufmerksamkeit und konkrete Maßnahmen erfordere.
Daraus ergibt sich ein umfangreicher Empfehlungskatalog, den wir hier in Gänze zitieren:
- Umfassende Reformen organisationaler Strukturen und Prozesse in der Polizei zur Prävention diskriminierender Praktiken, zum Beispiel Anpassung von Dienstvorschriften und Einsatzplanung, die Festlegung von Erfassungskategorien polizeilicher Datenbanken und Vorgangsbearbeitungssysteme oder von Standards für die Kommunikation mit Menschen, die sich an die Polizei wenden.
- Regelmäßige Schulungen und Sensibilisierungsmaßnahmen für Polizist*innen unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus der Antidiskriminierungsforschung, um Vorurteile zu erkennen und abzubauen.
- Implementierung von Kontroll- und Bewertungssystemen zur kontinuierlichen Überprüfung polizeilichen Handelns. Eine Umsetzung kann durch unabhängige Kontrollinstanzen erfolgen.
- Opfer von Diskriminierung sollten mehr Beschwerdemöglichkeiten bekommen und besser unterstützt werden.
- Unabhängige Polizeibeschwerde- und Ombudsstellen sollten mit ausreichenden Ermittlungskompetenzen und Ressourcen ausgestattet werden.
- Ausbau der Kooperation zwischen Polizei und zivilgesellschaftlichen Organisationen.
- Intensivierung der Forschung zu institutionellen und strukturellen Formen der Diskriminierung in der Polizei, Schließung der bestehenden Forschungslücken und stärkere Berücksichtigung intersektionaler Perspektiven in Forschung und Praxis.
- Überarbeitung diskriminierend wirkender gesetzlicher Regelungen: Auch Reformen des gesetzlichen Rahmens, etwa in Bezug auf anlassunabhängige Personenkontrollen, den Einsatz von Bodycams oder von Predictive Policing, können helfen, Diskriminierung vorzubeugen.
Es ist fraglich, inwiefern solche Empfehlungen beispielsweise bei der schwarz-roten Regierung verfangen. So hatte sich etwa die CDU im Jahr 2020 vor dem Hintergrund der Debatte um Rassismus bei der Polizei dagegen ausgesprochen, „Misstrauen“ gegen Beamt:innen zu schüren; stattdessen brauche es Vertrauen. Hinzu kommen Berichte über mangelnde Fehlerkultur bei der Polizei.
Bei der Vorstellung der Studie zu Polizei und Diskriminierung sagte Ferda Ataman, Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung: Wer das ändern will, braucht den Mut zur Verbesserung und muss Diskriminierungen klar benennen
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Markus Reuter recherchiert und schreibt zu Digitalpolitik, Desinformation, Zensur und Moderation sowie Überwachungstechnologien. Darüber hinaus beschäftigt er sich mit der Polizei, Grund- und Bürgerrechten sowie Protesten und sozialen Bewegungen. Für eine Recherchereihe zur Polizei auf Twitter erhielt er 2018 den Preis des Bayerischen Journalistenverbandes, für eine TikTok-Recherche 2020 den Journalismuspreis Informatik. Bei netzpolitik.org seit März 2016 als Redakteur dabei. Er ist erreichbar unter markus.reuter | ett | netzpolitik.org, sowie auf Mastodon und Bluesky. Kontakt: E-Mail (OpenPGP). Dieser Beitrag ist eine Übernahme von netzpolitik, gemäss Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.
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