Nur 1 Mio. ging aufs Klo

Es gibt im leistungssportlichen Fussball weit schlimmere Strafen, als von Aitana Bonmati Conca, geb. am 18. Januar 1998 in Vilanova i la Geltrú, ein Gegentor zu bekommen. Die Katalanin wurde in den letzten zwei Jahren zur besten Fussballerin der Welt gewählt und proklamiert. Selbiges bei der letzten WM und in den letzten drei Spielzeiten der Champions League. In der 113. Spielminute hatte sie immer noch die Energie und Gedankenschnelligkeit, mit der ihre deutschen Gegenspielerinnen – bei wem auf der Welt wäre das anders gewesen? – längst zu kämpfen hatten.

Zum Unwesen der Medieninszenierung des Fussballspektakels gehören nach so einem nicht durchgehend schönen, aber was die Leistungsgrenzen aller Beteiligten betraf, wahrhaft grossen Spiel, die Erörterung von Schuldfragen unmittelbar nach dem Schlusspfiff und dem erwartbaren körperlichen und mentalen Zusammenbruch aller hochgepushten und -gestressten Spielerinnen. Die Torhüterin, wer sonst? Jeder TV-Reporter hätte den Ball gehalten, oder? Und sie ist ja auch geständig.

Tatsache war, dass es ein Teamfehler war. Ballverlust, schlechte Defensivstellung, gescheiterte Abseitsfalle (für die ist immer höchste Konzentration der gesamten Abwehrkette erforderlich – bringen Sie die mal in der 113. Minute auf!), der Schrittfehler der Torhüterin unterlief ihr, weil sie die Stellung ihrer Abwehrspielerinnen zu korrigieren versuchte – das erwies sich im Nachhinein als richtig und dringend notwendig – nur um Sekundenbruchteile zu spät. Und genau das macht die Weltklasse einer Aitana Bonmati Conca eben aus.

Die deutsche Medienöffentlichkeit wird es wohl zu meinen Lebzeiten niemals verstehen, wie es möglich sein kann, dass andere Länderteams Welt- oder Europameisterinnen werden. Der Deutschen Grundrecht auf Titelgewinn – steht es nicht in der UN-Charta und im Grundgesetz? Wie soll es denn möglich sein, dass andere Länder und Kulturen zu Spitzenleistungen, die solche von Deutschen übertreffen, fähig sind?

Von solchen “Mentalitäts”-Fragen mal abgesehen, haben die Fussballerinnen aller beteiligten europäischen Länder, mit den Schweizer*inne*n als talentierte und sympathische Gastgeber*innen, einen durch und durch erfolgreiches und sportlich ansehnliches Spektakel geliefert. Gestern haben allein in Deutschland mehr zugeguckt, als beim Münster-Tatort: 14,3 Mio. Und die ARD-Tagesthemen in der Halbzeitpause erreichten ihre Jahresrekordquote von über 13 Mio.

Und was haben eigentlich die Fussballmänner der Fifa diesen Sommer gemacht? Können Sie sich noch erinnern? Haben Sie was gesehen? Es war irgendwas mit Milliarden aus Saudi-Arabien …

Am Sonntag um 18 h im ZDF beim Finale zwischen den spanischen Weltmeisterinnen und den englischen Titelverteidigerinnen entscheidet sich dann, wie viele Millionen sich fachlich und ästhetisch wirklich für Frauenfussball interessieren. Ich bin dabei.

Über Martin Böttger:

Avatar-FotoMartin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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