Belém und die Infrastrukturprojekte zur COP30

Die Stadt Belém am Südarm des Amazonasdeltas hat etwa 1,5 Millionen Einwohner*innen. Die Metropolregion Belém, zu der die sich übergangslos anschließenden Nachbarstädte Ananíndeua und Marituba zählen, etwa 2,5 Millionen. Die Verkehrssituation in der Stadt ist katastrophal, die Menschen stehen täglich im Stau. Über die Hälfte der Einwohner*innen lebt in prekären Wohnverhältnissen: 57 Prozent wohnen dem Zensus von 2020 zufolge in Favelas; Abwasser- und Müllentsorgung sind dort ungelöste Probleme. Ausgerechnet dort soll die COP30 stattfinden? Für die etwa 50000 erwarteten Delegierten werden Hotels gebaut, außerdem sollen sie auf Kreuzfahrtschiffen untergebracht werden. Im Eilverfahren wurden 30 Infrastrukturprojekte auf den Weg gebracht. Sie sollen die grüne Wirtschaft fördern und nachhaltig sein, verspricht die Regierung des Bundesstaats Pará. Aber diese Projekte fördern die städtische Segregation und folgen der altbekannten Logik des Umweltrassismus, meint die Städteplanerin und Aktivistin Aiala Colares Couto aus Belém.

Die Wahl von Belém als Austragungsort für die 30. Konferenz der Vertragsparteien der Klimakonvention der Vereinten Nationen (COP30) im Jahr 2025 gilt als symbolischer Meilenstein für die globale Umweltdebatte. Die Ausrichtung der COP im Amazonasgebiet, in einer für das Klimagleichgewicht des Planeten enorm wichtigen Region, scheint auf den ersten Blick eine Geste zu sein, mit der die zentrale Bedeutung des Bioms in den Kämpfen um Klimagerechtigkeit anerkannt wird. Die COP bietet außerdem endlich die Möglichkeit, den ursprünglichen und traditionellen Bevölkerungsgruppen der Region – Indigenen, Quilombolas, Flussanwohner*innen, Kastaniensammler*innen (mit Kastanien sind die castanhas-do-Pará, Paranüsse gemeint), Seringueiros (Kautschukzapfer*innen) – zuzuhören und von ihnen zu lernen. Aber während die zentrale Rolle der Amazonasregion für das Weltklima überall beschworen wird, werden die Menschen, die den Wald und die Flüsse erhalten und deren Fortbestehen sichern, seit Jahrhunderten ausgegrenzt. Sie sind direkter und institutioneller Gewalt ausgesetzt und werden unsichtbar gemacht. Hier zeigt sich ein Umweltrassismus, der die Territorialpolitik und die Entwicklungsprojekte in der Region bestimmt.

Ungerecht verteilte Schäden und Risiken

Das Konzept des Umweltrassismus entstand in den Kämpfen der Schwarzen und indigenen Bewegungen in den USA und wurde von den Widerstandsbewegungen im Globalen Süden übernommen. Benjamin Chavis, führender Bürgerrechtler und damaliger Vorsitzender der Commission for Racial Justice innerhalb der reformiert protestantischen United Church of Christ, verwendete 1982 den Begriff „environmental racism“ während der Proteste gegen die Entsorgung giftiger Abfälle in der Schwarzen Gemeinde Warren County in North Carolina. Damit verwies er auf die extrem ungleiche Verteilung von Umweltrisiken und Schäden, die rassifizierte und marginalisierte Gruppen viel häufiger betreffen. Der 1987 von der genannten Kommission veröffentlichte Bericht „Toxic Wastes and Race in the United States” war ein Meilenstein für die weitere Diskussion. Hier wurde erstmals belegt, dass Schwarze und lateinamerikanische Gemeinden unabhängig vom Einkommen deutlich stärker Umweltgiften ausgesetzt waren als weiße Gemeinden.

In Brasilien zeigt sich diese Ungleichheit besonders im Amazonasgebiet, wo Quilombola-, Flussufer-, indigene und in den Favelas der Städte lebende Gemeinschaften am stärksten unter den Auswirkungen der großen Bauvorhaben und städtischen Umbaumaßnahmen leiden, meistens ohne vorherige, freie und informierte Konsultation, wie es die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) vorschreibt.

„Freiheitsstraße“ durch den Regenwald

Die neue Autobahn Rodovia da Liberdade soll die Mobilität in der Großmetropole Belém erhöhen und die Verbindung zwischen den Städten Ananíndeua und Belém verbessern. Ihr Bau brachte allerdings intensive Entwaldung mit sich, veränderte das Mikroklima, zerstückelte Regenwald und Feuchtgebiete, die wichtig für das ökologische Gleichgewicht in der Metropolregion sind. Ganze Gemeinden berichten von plötzlichen Temperaturveränderungen, dem Verschwinden kompletter Arten oder davon, dass die Flüsse und Bäche weniger Wasser führen und die Luftverschmutzung angestiegen ist.

Etwa ein Kilometer neben der Autobahn lebt die Quilombola-Gemeinde Abacatal. Ihr Territorium war bereits vor der Urbanisierung als Quilombola-Gebiet, also als historisches Gemeindeeigentum, anerkannt worden. Die Autobahn bedroht das physische und kulturelle Überleben der Gemeinde. Durch Bauarbeiten und Immobilienspekulationen kommt es zu immer mehr Gewalt, Familien werden aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen, und der Zugang zu traditionell zum Anbau genutzten Gebieten ist plötzlich gesperrt. Zudem gab es keine vorherigen Konsultationen, und die angebotenen Entschädigungen sind ungenügend. Die Landrechte der Quilombola-Gemeinden werden somit ignoriert.

Das Nachhaltigkeitsparadox

Diese Politik, die die Rechte der angestammten Bewohner*innen missachtet, wird im Namen der „grünen Wirtschaft“ und der „Nachhaltigkeit“ durchgeführt. Die Vorbereitungen für die COP30 veranschaulichen dieses Paradox. Im Namen der Modernisierung und der internationalen Gastfreundschaft wurden zahlreiche, plötzlich dringende Infrastrukturprojekte schnell, aber ohne Transparenz, ohne vorausschauende Planung, ohne jeglichen Dialog mit den betroffenen Gemeinden durchgeführt. Die Wiederbelebung des Stadtzentrums, insbesondere rund um den Kanal Nova Doca, betrifft unmittelbar die Bewohner*innen von Vila da Barca, eine der größten Pfahlbausiedlungen Lateinamerikas. Die Bauarbeiten schreiten in den von indigenen, traditionellen und an die Peripherie gedrängten Gemeinden immer weiter voran. Das führt zu Gentrifizierung und Zwangsumsiedlungen, und es zerstört einen Teil unserer lokalen Geschichte.

All diese Projekte sind für die Mehrheit der Bevölkerung Beléms nicht von Interesse. Diese Investitionen in die städtische Infrastruktur korrigieren nicht historische Ungleichheiten oder verschaffen allen Bewohner*innen Kanalisation, angemessene Wohnungen und öffentliche Verkehrsanbindung. Dabei wäre dies dringend nötig. Fast 20 Prozent der Bevölkerung hat keinerlei Abwasserentsorgung. Nur zwei Prozent der Abwässer der Stadt werden geklärt, was eine enorme Belastung für die 14 Flussgebiete darstellt.

Klimagerechtigkeit: Wiedergutmachung und Beteiligung

Bei den Projekten handelt es sich vielmehr um einmalige, punktuelle Interventionen, die auf die Aufenthaltsorte und Mobilität von Tourist*innen und Diplomat*innen ausgerichtet sind. Sie verstärken die „sozialräumliche Apartheid“ und vertiefen die städtische Segregation.

Die Fragmentierung des amazonischen Raums vollzieht sich so auf mehreren Ebenen. Das physische Territorium wird durch Abholzung und unkontrollierte Urbanisierung fragmentiert; das soziale Gefüge wird durch die Vertreibung von Familien und die Zerstörung des Gemeindelebens angegriffen, und der symbolische Raum wird durch eine Fortschrittserzählung besetzt, in der Geschichte und Kultur der traditionellen Bevölkerungsgruppen nicht vorkommen und damit ausgelöscht werden. Umweltrassismus ist in diesem Zusammenhang nicht nur eine Folge der Fortschrittsprojekte, sondern Teil davon und wird zur treibenden Kraft.

Die Durchführung der COP30 in Belém hätte ein Anlass sein können, diese Vorstellungen zu überdenken. Dazu müssten die historischen Akteure des Amazonasgebiets in den Mittelpunkt der Debatte gestellt werden, also diejenigen, die täglich gegen Umweltungerechtigkeit Widerstand leisten, die nachhaltig leben und echte Alternativen zur Klimakrise entwickeln. Klimagerechtigkeit lässt sich nicht mit grünem Marketing und einer oberflächlichen Stadtplanung erreichen. Sie fordert historische Wiedergutmachung, die Anerkennung von Rechten und die Beteiligung der Bevölkerung.

Die Auswirkungen der Großprojekte lediglich anzuprangern, reicht nicht. Der Widerstand in den betroffenen Gebieten muss sichtbar gemacht werden. Die Quilombola-Gemeinden wie die von Abacatal, die Bewohner*innen von Vila da Barca, die indigenen Gemeinden und die Favela-Bewegungen kämpfen für ihren Verbleib, ihre Würde und Gerechtigkeit. Ihre Stimmen müssen gehört werden, nicht als Nebendarsteller*innen der COP30, sondern als Protagonist*innen eines anderen Projekts für die Stadt und den Amazonas: ein Projekt, das nicht trennt, sondern verbindet – Territorien, Ökosysteme, Erinnerungen, Kosmologien und mögliche Zukunftsszenarien.

Aiala Colares Couto ist Geografin. Sie lehrt und forscht an der Universität von Pará (UEPA), außerdem ist sie Direktorin des Instituts Mãe Crioula, das sich gegen Rassismus und für Gender- und Klimagerechtigkeit einsetzt. Übersetzung: Laura Held

Die Freiheitsstraße

Die Rodovia oder Avenida da Liberdade ist gerade ein heiß diskutiertes Thema.

Ist sie eines von etwa 30 Infrastrukturprojekten zur COP30? Die Regierung des Bundesstaats Pará sagt nein, sie diene der Mobilität und hätte nichts mit der COP30 zu tun. Worum geht es? Diese neue, vierspurige Schnellstraße zwischen Belém und Marituba führt auf mehr als 13 Kilometern durch ökologisch sensible und teilweise geschützte Gebiete wie den Regenwald und Feuchtgebiete. Tausende von Hektar Regenwald werden dafür gerodet, Menschen, die dort leben, vertrieben. Das Projekt sieht einen Korridor für Wildtiere, Fahrradspuren und solarbetriebene Beleuchtung vor – Greenwashing pur! Rechts und links von der Schnellstraße wird abgesperrt, Zugänge sind nicht vorgesehen. Die Anwohner*innen können die Autobahn selbst nicht nutzen. Außerdem werden Ökosysteme dauerhaft zerstört. Wegen der vielen möglichen Umweltschäden wurde das schon 2012 geplante Projekt damals zurückgestellt. Umweltaktivist*innen weisen darauf hin, dass dadurch noch mehr Lastwagenverkehr zum teilprivatisierten Containerhafen Porto de Vila do Conde ermöglicht werden solle, statt eine wirkliche Verkehrswende im Sinne der Menschen einzuleiten.

Der Stadtpark

Eines der größten Infrastrukturprojekte ist der Parque da Cidade, der Stadtpark, der sich über 500000 Quadratmeter auf einem ehemaligen Flugplatz erstreckt. Dort entsteht das Kongresszentrum der COP30: In der „blue zone“ wird die offizielle UN-Konferenz abgehalten, nur registrierte Delegierte haben Zugang. Die „green zone“ ist für Parallelevents vorgesehen, hier hat auch die Zivilgesellschaft Zugang. Insgesamt ist für dieses Projekt ein Betrag von 739 Millionen Reais (etwa 117 Millionen Euro) vorgesehen. Nach der COP soll der Stadtpark zu einer Grünfläche für die Bevölkerung werden, mit Museum, Restaurants, Wander- und Radwegen. Das Projekt wird vom Bergbaugiganten Vale durchgeführt, der für zwei der verheerendsten Umweltkatastrophen Brasiliens in den Jahren 2015 und 2019 verantwortlich ist, als im Bundesstaat Minas Gerais Abfalldämme brachen, 291 Menschen ums Leben kamen und Hunderte von Kilometern Wasserwege verseucht wurden. Die Regierung von Pará erklärte, dass die lokale Gesetzgebung Bergbauunternehmen erlaubt, einen Teil der Bergbaugebühren in Form von öffentlichen Projekten zu zahlen. So investieren die Unternehmen in „Infrastrukturprojekte” ihrer Wahl, zahlen dafür weniger Steuern und steigern ihre Gewinne.

Der neue Kanal

Der Nova Doca, eines der wichtigsten Infrastrukturprojekte zur COP30, ist mittlerweile fast fertig. Im Zentrum der Stadt, in der Avenida Visconde de Souza Franco, wurden der Doca-Kanal aufwändig saniert, Fußgänger- und Radwege geschaffen, 180 Bäume gepflanzt, Park- und Sportanlagen angelegt und zahlreiche Brücken gebaut. Dabei wurden der 1,2 Kilometer lange Kanal revitalisiert, mit Entwässerung, Abwasserkanalisation und neuen Trinkwasserleitungen versehen und mehr als 2,4 Kilometer Straßenbelag erneuert. Für das Ganze werden 310 Millionen Reais aus öffentlichen Töpfen aufgewendet.

Der Nova Doca soll „zu einem Ort der Lebensqualität und Nachhaltigkeit“ werden. Aber wo landen das Abwasser, Bauschutt und Müll aus dem Doca? In der benachbarten Favela Vila da Barca, einer der größten Favelas auf Stelzen Lateinamerikas, mit über 5000 Einwohner*innen. Mehr als die Hälfte der Häuser sind Bretterhütten auf Stelzen über sumpfigem, oft überschwemmtem Gelände mit offenen Abwasserkanälen. Vila da Barca liegt direkt neben einem der reichsten Stadtviertel, Reduto, wo der neue Doca entstanden ist und ein Apartment 1,3 Millionen Reais (etwa 1,1 Millionen Euro) kostet. Abfall und Abwasser der Bewohner*innen und Geschäfte dieses noblen Viertels werden ebenfalls in der Favela „entsorgt“. Die Regierung des Bundesstaats unter Gouverneur Hélder Barbalho (MDB) hat vor kurzem ein Gebäude dafür enteignet. Dort stinkt es zum Himmel, denn bis dorthin verlaufen die Kanäle zwar unterirdisch, werden aber in der Vila da Barca hochgepumpt. Deswegen halten die Anwohner*innen Türen und Fenster geschlossen, trotz der herrschenden Hitze. In Vila da Barca selbst haben die versprochenen Kanalisationsarbeiten noch nicht begonnen. Der sogenannte „Bota-Fora” (Abfall, Schlamm und Bauschutt) aus dem Bau des Nova Doca wird zu einem offenen Gelände in der Vila gebracht, das von Wohnhäusern umgeben ist. Der intensive Verkehr mit schweren LKWs an einem Ort, wo die allermeisten selbst kein Auto besitzen, hat der Straße zugesetzt. Ein schöner neuer Kanal für das Nobelviertel – Bauschutt, Müll, kaputte Straßen, verseuchter Schlamm und Abwasser für die Favela.

Quelle: apublica.org

Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus ila 488 Sept. 2025, hrsg. und mit freundlicher Genehmigung der Informationsstelle Lateinamerika in Bonn. Einige Links wurden zusätzlich eingefügt.

Über Aiala Colares Oliveira Couto - Informationsstelle Lateinamerika:

Avatar-FotoDie Informationsstelle Lateinamerika e. V. (ila) ist ein gemeinnütziger Verein mit Sitz im Oscar-Romero-Haus in Bonn. Das Ziel des Vereins ist die Veröffentlichung kritischer und unabhängiger Informationen aus Lateinamerika. Der Schwerpunkt liegt auf Nachrichten und Hintergrundinformationen aus basisdemokratischer Perspektive. Die Informationsstelle Lateinamerika begreift sich als Teil der politischen Linken und engagiert sich in übergreifenden politischen Bündnissen wie der Friedens- und Antikriegsbewegung oder Attac. Der Verein besteht seit 1975 und gibt die gleichnamige Zeitschrift ila heraus. Alle Beiträge im Extradienst sind Übernahmen mit freundlicher Genehmigung.