Leute meines Alters können sich noch erinnern. Der “Bericht aus Bonn” war mal ein Informationsflagschiff des “Ersten Fernsehprogramms”. Friedrich Nowotny (96) wurde mit ihm der berühmteste Journalist des Landes, und ein bisschen unfreiwillig später WDR-Intendant (1985-95), weil der wählende Rundfunkrat sich nicht getraut hätte, ihn abzulehnen. Und die von den starken Männern Fritz Pleitgen (WDR) und Jobst Plog (NDR) ausgedealte Talkshow nach dem Sonntags-Tatort war auch lange Zeit relevant, weil sie zeitweise die Hälfte der eingeschlafenen Tatort-Glotzer noch an der Glotze halten konnte. Und nun?

Interviewgäste des morgigen “Bericht aus Berlin” sind die Herren Markus Söder (CSU) und Sven Schulze (CDU). Sven wer? Herr Schulze ist der Spitzenkandidat der CDU in Sachsen-Anhalt, dem Kleinstaat, in dem der AfD ihr erster Wahlsieg prophezeit wird. Zeit also, den Kerl mal irgendwie bekannt zu machen.

Und um das Sonntagsprogramm angemessen zu vollenden, lädt Frau Miosga nach dem Tatort den Bundeskanzler himself (CDU) für eine Stunde zum Gesicht ins Wohnzimmer halten. Wer da nicht wieder wach wird …

So holen sich die neun ARD-Geißlein die Wölfe in den Stall. Denn die Gäste, die sie so freudig präsentieren – und das womöglich für demokratisch-mutig halten – sind die, die in ihrer Medienpolitik längst die AfD-Agenda adaptiert haben. Wie sie es schon lange mit der Migrationspolitik tun. Sie suchen sich halt immer die leicht besiegbaren Opfer. Denn die AfD halten sie nicht mehr für besiegbar: statt “halbiert”, haben sie sie verdoppelt (bislang). Da will die ARD nicht zurückstehen.

Eine Frage bleibt so sperrangelweit offen: wer soll das verteidigen? Aufmerksam habe ich dem amtierenden ARD-Vorsitzenden Florian Hager gelauscht, aber auch von ihm keine Antwort gehört. Der Ärmste steht einem Kleinsender vor (Hessen) und hat machtpolitisch kaum was zu melden. Wie soll er aus der Grüss-August-Rolle herausfinden? Beim Auswärtsspiel im NDR gelang es ihm nicht wirklich.

Hager schwärmt in seinem NDR-Auftritt, wie viele seinem Programm immer noch zugucken. Die hier genannten Sendungen kann er damit nicht meinen. Ihr Publikum ist so klein geworden, wie der nächtliche Talkshowtrash: mehr als 2 (von 87) Mio. schaffen sie schon lange nicht mehr. Entsprechend übersichtlich ist mittlerweile mein persönlicher Ärger. Gar nicht erst ignorieren.

Ein Antifaschist weniger

Fast wäre er 97 geworden. Er ist seinen Parteigenossen mindestens so auf die Nerven gegangen, wie ich ihm (und meinen). Herbert Sokolowski, der Gründungsrektor meiner Schule in Gladbeck, hat vor wenigen Tagen diese Welt verlassen. Im Schuldienst war er noch ohne Bart, und mit seinem markanten Kinn strahlte er die Entschlossenheit aus, die er auch real besass.

Es war eine der – übersichtlichen – guten Taten der Ruhrgebiets-SPD, diesen Genossen einem mehrheitlich rechten, und von alten Nazis infiltrierten Studienrätekollegium vor die Nase zu setzen. Diese Konstellation führte ihn und mich als damaligen Geschäftsführer der Schülervertretung (1974-76) strategisch zusammen. Ich habe ihm dabei viel Kummer bereitet, und er hat mir als Fachlehrer konsequent Einsen gegeben.

Ein guter Mann. Jetzt suchen Sie mal, wo Sie solche noch finden …

Über Martin Böttger:

Avatar-FotoMartin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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