Wie könnte eine demokratische Alternative zur Macht der Internet-Oligopole aussehen?
Im internationalen Vergleich verfügt Deutschland – trotz aller Tendenzen zur Konzentration und trotz aller Einsparungsmaßnahmen – nach wie vor über eine im internationalen Vergleich unter Vielfalts-und Qualitätsgesichtspunkten starke Medienlandschaft.
Doch dieser Zustand ist in Gefahr. Denn seit gerade mal 25 Jahren – nämlich seit Tim Berners-Lee das World Wide Web erfunden hat – erleben wir einen grundlegenden Umbruch unseres Mediensystems.
Zwar weichen die Angaben über die Mediennutzung, über die Reichweite und über die Wirkung der einzelnen Medien je nach Untersuchung ein wenig voneinander ab, aber die Tendenz ist eindeutig: Vor allem, wenn man auf die nachfolgende Generation schaut, verlieren die herkömmlichen Medien, insbesondere die Zeitungen, aber auch das Radio und sowohl das öffentlich-rechtliche wie auch das private Fernsehen dramatisch an Bedeutung – zumal für die Verbreitung von Informationen -, während das Medium Internet als Kommunikationsplattform kontinuierlich zunimmt.
Das gilt sowohl im Hinblick auf
- die Nutzungsmöglichkeiten,
- die Nutzungszeit
als auch in Bezug auf
- das Meinungsbildungsgewicht.
Inzwischen hat das Internet als Kommunikationsmittel sogar die Führungsrolle gegenüber den herkömmlichen Medien übernommen.
Die Zeitungsverlage strangulieren sich selbst
Die tägliche Auflage der Tageszeitungen ist von rund 27 Millionen seit Anfang der 90er Jahre auf knapp 11 Millionen, also auf fast ein Drittel gesunken. Die Auflage der mit einem Marktanteil von über 17 Prozent nach wie vor meistgelesenen Zeitung in Deutschland, nämlich von Springers BILD, hat sich in den letzten 10 Jahren auf etwas über 800-Tausend Exemplare täglich nahezu halbiert. Auch die auflagenstärksten überregionalen Tageszeitungen stürzten in der letzten Dekade um über 100.000 Exemplare pro Werktag ab. Die FAZ auf 192.000 Exemplare, das sind 2,2 Prozent Marktanteil. Das Gleiche gilt für die Süddeutsche Zeitung, die auf knapp 281.000 Exemplare und damit auf einen Marktanteil von 3,9 Prozent zurückging. Springers Welt verkauft sich täglich nur noch zu knapp 36.000 mal und liegt inzwischen hinter der taz.
In 40% der Kommunen droht ein Sterben der Lokalzeitungen.
Derselbe Negativtrend besteht auch bei Nachrichtenmagazinen und Publikumszeitschriften.
Verkaufte der „Spiegel“ 1995 noch über eine Million Exemplare, so waren es 2023 nur noch etwas über 700 Tausend. Noch dramatischer büßte seit Mitte der 90er Jahre der „Focus“ an Auflage ein, nämlich mit einem Rückgang von 715.500 Exemplaren auf etwas über 237.000 Hefte. Geradezu dramatisch sackte der „stern“ ab, nämlich von 1,25 Millionen auf 310.400 Exemplare. Schon heute stammt etwa mehr als die Hälfte aller verkauften Zeitungsexemplare aus nur noch zehn Verlagsgruppen.
Bei den Druckmedien hält einzig der Buchmarkt einigermaßen seine Stellung. Zwar hat sich die Auflage der sog. E-Paper seit ihrem Start im Jahre 2011 auf insgesamt 2,5 Millionen verzwanzigfacht, die Vertriebserlöse der digitalen Zeitungen können jedoch – bisher jedenfalls – die sinkenden Erlöse bei den meisten gedruckten Zeitungen nicht ausgleichen. Die Erträge liegen insgesamt betrachtet noch im einstelligen Prozentbereich der Gesamterlöse der Verlage. Gegen die weit verbreitete „Kostenlos-Mentalität“ der Internet-Nutzer haben es bezahlpflichtige Angebote noch schwer. Nur noch die Hälfte der lesefähigen Bevölkerung greift täglich zu einer gedruckten Zeitung. Nur noch jeder Fünfte (nämlich 21 %) nutzt Printmedien als Nachrichtenquelle. Und die Zeit, die für ihre Lektüre aufgebracht wird, ist gleichfalls kontinuierlich zurückgegangen.
Ein Teufelskreis: Je kleiner die Auflagen der Zeitungen, desto geringer die Werbeeinnahmen, desto kleiner die Redaktionen, desto weniger tiefschürfend die Berichterstattung, desto geringer die journalistische Qualität und – im Ergebnis – desto größer der Verlust an Glaubwürdigkeit und damit wiederum der Verlust an verkaufter Auflage.
Ein Demokratie-Monitoring der Universität Hohenheim hat ermittelt, dass ein Fünftel bis ein Viertel der Bundesbürger meinen, dass sie von den klassischen Massenmedien systematisch belogen werden, dass die Medien und die Politik Hand in Hand arbeiten und nur das bringen, was die Herrschenden vorgeben, um die Bevölkerung zu manipulieren. Nebenbei bemerkt: Unter den AfD-Anhängern sind sogar um die 80 Prozent dieser Meinung. Die „Lügenpresse“-Parolen sind im Osten Deutschlands weiter verbreitet als im Westen.
Angesichts der derzeit negativen und besorgniserregenden Nachrichtenlage lässt sich darüber hinaus beobachten, dass ein immer größer werdender Teil der Bevölkerung sich von Informationen abwendet und sich ins Private zurückzieht. Mit dieser „News Avoidance“ – wie das neudeutsch heißt – könnte das gemeinsam geteilte WIR in der Gesellschaft schwinden. Wir erleben einen – wie der Chef des Instituts der Deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, es nannte – schleichenden „Abschied von der Öffentlichkeit“.
Die Zeitungsverlage sind dabei, sich selbst zu strangulieren. Dabei wäre – wie das frühere Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung, Heribert Prantl, zurecht meint – die große Frage nicht, wie schafft man Klicks, Reichweite, Auflage? Die entscheidende Frage laute vielmehr: Wie schafft man Vertrauen? Dann kämen auch wieder Klicks, Reichweite und Auflage.
In vielen europäischen Staaten gibt es inzwischen eine direkte oder indirekte Presseförderung, etwa über eine Subventionierung des Vertriebs oder mittels eines reduzierten Mehrwertsteuersatzes. Obwohl es schon 2020 einen Beschluss des Bundestags gab, die Zeitungsverlage mit 220 Millionen pro Jahr zu unterstützen, konnte die Förderung der digitalen Transformation des Verlagswesens in Deutschland noch nicht umgesetzt werden.
Großes Vertrauen in das öffentlich-rechtliche Fernsehen
Das Vertrauen in die Medien ist allgemein rückläufig und lag 2023 bei nur noch bei 46 Prozent der Befragten. Dieser Vertrauensverlust trifft auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen, aber nach zahlreichen Umfragen vertrauen den beitragsfinanzierten Sendern immer noch zwischen 60 und 70 Prozent der Befragten als Institution und gut zwei Drittel halten die Programme für glaubwürdig. Wobei das Vertrauen der Ostdeutschen deutlich niedriger liegt – nämlich bei 41%.
Dabei erreichten im letzten Jahr das ZDF einen Marktanteil von 14,6 Prozent, die Dritten Programme der ARD zusammengenommen einen Anteil von 13,8 Prozent, das Erste einen Anteil von 11,9 Prozent. Mit etwas Abstand folgen RTL mit 10 Prozent, deutlich geringer ist die Reichweite von Vox gleichauf mit Sat.1 mit 4,7 Prozent, ProSieben mit 3,0 Prozent Marktanteil. Obwohl über 80 Prozent der Befragten der Meinung sind, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk unverzichtbar sei und einen wichtigen Beitrag zur Meinungsbildung leiste, würden inzwischen 42 Prozent der Bürger den Rundfunkbeitrag nicht freiwillig bezahlen. Weitaus weniger glaubwürdig werden die Informationen in sozialen Netzwerken eingeschätzt. YouTube erreicht hinsichtlich der Glaubwürdigkeit noch den höchsten Wert von 18 Prozent. Nur noch einstellige Prozentzahlen bei der Frage nach der Glaubwürdigkeit schaffen Twitter (neuerdings in X umbenannt), Facebook oder Instagram.
Dem großen Vertrauensbonus des Fernsehens steht ein „Generationsabriss“ bei der Nutzung gegenüber
Das Durchschnittsalter der Zuschauer –gemessen im April 2024- betrug bei der ARD 65 Jahre und beim ZDF und bei den Dritten Programmen 67 Jahre. Bei den Privatsendern sieht es nur wenig besser aus, dort liegt das Durchschnittsalter zwischen 58 Jahren bei RTL und 48 Jahren bei ProSieben. Die Mehrheit der Zuschauer des öffentlich-rechtlichen Fernsehens ist über 65 Jahre alt.
Das Internet hat das Fernsehen als wichtigste Quelle für Nachrichten überholt. Der Anteil der Internetnutzer in Deutschland lag 2023 bei 94 Prozent und bei den 14–19-Jährigen bei nahezu 100 Prozent. 42 Prozent bezeichnen das Internet als ihre Hauptnachrichtenquelle, dicht gefolgt von linear ausgestrahlten Fernsehsendungen mit 41 Prozent. 15 Prozent der Befragten erhalten Nachrichten hauptsächlich in sozialen Medien. Dieser Anteil ist im Langzeitverlauf kontinuierlich angestiegen und mit 35 Prozent bei den 18- bis 24-Jährigen am größten. Für 16 Prozent dieser jüngeren Altersgruppe stellen soziale Medien sogar die einzige Quelle für Nachrichten dar. Manche sprechen – jedenfalls im Unterhaltungsbereich – geradezu von einer „Kannibalisierung“ des linearen Fernsehens durch die Streaming-Dienste – vor allem beim jüngeren Publikum.
38 Prozent, also nahezu 4 von 10 Menschen ab 14 Jahren, geben an, dass ihnen das Internet am wichtigsten ist, um sich über das Zeitgeschehen in Deutschland und aller Welt zu informieren. Dabei werden natürlich auch die Internetangebote der etablierten Medien aufgerufen. Aber ein Anteil von gut 30 Prozent der 14-bis 24-Jährigen erreichen journalistische Angebote über das aktuelle Weltgeschehen kaum noch. Bei Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren liegt die Quote dieser „gering Informationsorientierten“ laut einer im letzten Herbst veröffentlichten Studie des Hans-Bredow-Instituts bei sogar bei 45 Prozent. Die Jugendlichen bevorzugen unterhaltende Inhalte die sie persönlich tangieren. TikTok gefolgt von Instagram und YouTube statt Tagesschau sind bei Jugendlichen angesagt. Vor dem Hintergrund, dass eine funktionierende und lebendige Demokratie auf informierte Bürger*innen angewiesen ist, sollten die Nachrichtenmüdigkeit und auch die digitale Spaltung zwischen der nachwachsenden Generation und den Älteren Anlass zur Besorgnis sein.
Angesichts dieses hier nur knapp skizzierten Wandels im Medienkonsum stellt sich die Frage, ob das Internet die herkömmlichen Medien ergänzen oder gar ersetzen kann?
Meine kurze Antwort ist: Ergänzen, nur teilweise, ja! Ersetzen, bisher jedenfalls, nein!
Richtig ist: Durch das Internet bleiben wir mit beliebig vielen Menschen in Kontakt. Wir können Sprachmeldungen, Bilder und Videos austauschen und zeitgleich empfangen. Wir erhalten Informationen und wir können recherchieren in einem Umfang wie nie zuvor. Wir können unser Wissen verbreitern und verbreiten, wir können uns Kampagnen anschließen und politischen Druck ausüben und für Meinungen werben. Nie zuvor war es so einfach, an eine so große Fülle von Informationen und Medieninhalten weltweit und jederzeit zu gelangen, wie heute. Durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) werden diese Angebote sogar noch deutlich erhöht. Solche großartigen Potentiale des Internets sind nach wie vor gegeben. Wir sollten uns darüber im Klaren sein: All die problematischen Dinge, auf die ich nachfolgend zu sprechen kommen werde und die uns besorgt machen müssen, liegen nicht in der Technik: Sie sind von Menschen gemacht!
Im Netz gibt es nach groben Schätzungen allein in Deutschland etwa 200.000 Blogs
Blogs, das sind öffentlich einsehbare, häufig nicht-professionelle, oft aber auch journalistische Tagebucheinträge mit einem eigenen Internetauftritt. Solche Blogs werden monatlich rund 800 Millionen Mal aufgerufen. Darüber hinaus gibt es eine nicht mehr überschaubare Zahl an sog. „Influencern“. Das sind überwiegend jüngere Personen, die meist eines der großen sozialen Netzwerke nutzen um Lebensstile, Schönheitspflege, Mode, Hobbys oder Produkte anzupreisen. Diese Influencer haben oft hunderttausende, manchmal sogar Millionen Zugriffe. Das Video von Rezo mit dem Titel „Die Zerstörung der CDU“ vor der Europa-Wahl 2019 wurde z.B. 16 Millionen Mal aufgerufen.
Neben den nach wie vor reichweitenstärksten professionell-journalistischen Webangeboten (also etwa bild.de oder Spiegel.de etc.), gibt es eine stattliche Zahl sog. „alternativer Medien“, die häufig an den Rändern des politischen Spektrums liegende Inhalte ihrem Publikum anbieten. Wie z.B. „Tichys Einblick“ oder die „Achse des Guten“ (auf der eher rechten politischen Seite) oder (auf der eher linken Seite) etwa die „Nachdenkseiten“, die ich – bis dieses Blog in ein Medium der Gegenpropaganda abgedriftet ist – bis 2015 selbst mit herausgegeben habe.
Größter Teil der Internetkommunikation in den „Sozialen Medien“
Neben dieser Vielzahl eigenständiger Internetauftritte findet allerdings der weitaus überwiegende Teil der Internetkommunikation in den „Sozialen Medien“ statt. Zu den „Soziale Medien“ zählen Medienintermediäre wie etwa Instagram, TikTok oder Facebook. Dazu gehören auch die Kurzmitteilungsdienste – auch „Instant Messengers“ genannt – also etwa der seit der Übernahme von Elon Musk im Niedergang befindliche Kurz-Nachrichtendienst Twitter (jetzt X) oder auch WhatsApp. Dann gibt es noch die Videoportale wie etwa YouTube. Hinzu gekommen ist der in Russland gegründete und jetzt in Dubai ansässige Messenger-Dienst Telegram, der 700 Millionen aktive Nutzer hat und gerne von Rechtsextremen, Umstürzlern, Holocaustleugnern und Verschwörungserzählern genutzt wird. In jüngerer Zeit hinzugekommen sind die Microblogging-Dienste wie etwa Mastodon, Bluesky oder Threads (letzterer aus Mark Zuckerbergs Meta-Konzern).
Hier nur soviel: Insgesamt nutzen 90 Prozent der deutschen Internetnutzer*innen ab 16 Jahren Online-Nachrichten zu aktuellen Ereignissen und dem Zeitgeschehen aus Bereichen wie Politik, Wirtschaft, Sport oder Kultur. Das entspricht rund 55 Millionen Menschen. Am meisten werden Nachrichten-Webseiten oder Apps genutzt (78 Prozent). Dahinter folgen soziale Medien, über die sich 44 Prozent informieren. Ein Viertel (27 Prozent) informiert sich über Messenger-Dienste, 26 Prozent per Video über YouTube-Kanäle und 18 Prozent hören Podcasts zu aktuellen Ereignissen bzw. dem Zeitgeschehen. 17 Prozent haben E-Mail-Newsletter oder spezielle Briefings abonniert. 47 Prozent informieren sich in der Regel über Webseiten und Apps von klassischen überregionalen, lokalen oder internationalen Printmedien, also etwa spiegel.de, bild.de, faz.net und anderen. 44 Prozent informieren sich über Webseiten oder Apps von öffentlich-rechtlichen sowie privaten Fernseh- und Radiosendern, etwa tagesschau.de, wdr.de, n-tv.de und anderen. Dahinter folgen die Startseiten von Internetzugangsprovidern wie t-online.de, gmx.de oder web.de (35 Prozent), Webseiten oder Apps von Fachmedien beispielsweise zu Themen wie Mobilität oder Sport (21 Prozent) sowie News-Webseiten, die ausschließlich online erscheinen (16 Prozent). 11 Prozent geben an, sich auf Seiten von Redaktions- und Rechercheverbünden wie correctiv.org u.a. zu informieren. Der JIM-Jugendstudie zufolge nutzen 59 Prozent der 12-19-Jährigen regelmäßig TikTok.
Unter dem Aspekt der Meinungsbildung werden Soziale Netzwerke unter dem Oberbegriff „Intermediäre“ zusammengefasst. Diese Medienintermediären sind zu wichtigen Verbreitungsplattformen sämtlicher sonstiger Medien- oder Informationsanbieter und damit zu zunehmend wirkmächtigen Meinungsmultiplikatoren geworden. Beim Meinungsbildungsgewicht ermittelte 2023 der Meinungsvielfaltsmonitor der Medienanstalten, dass das Internet einen Anteil von 35,4 % hat, das Fernsehen einen Anteil von nur noch 28,9%, das Radio von 16,4%, Tageszeitungen von 16,0% und Zeitschriften erreichen nur noch kümmerliche 3,3 Prozent.
Vom freien Informationsfluss im Netz keine Rede
Die Vision des Internets, also das Bild von Offenheit und der Vernetzung in einer freien, nicht-kommerziellen Informationsgesellschaft wurde leider nie Wirklichkeit. Die Kontrolle über die verbreiteten Inhalte liegt nämlich nicht bei den Nutzern, sondern bei den Betreibern sozialer Netzwerke. Internetdienstanbieter sind nicht neutral. Es bleibt den Nutzern verborgen, dass die „geposteten“ Inhalte vor allem mittels geheim gehaltener Sortier- und Suchalgorithmen der Internetdienstleister gesteuert werden. Solche – den Betriebsgeheimnissen der Tech-Giganten unterliegenden – Computer-Rechenprogramme kategorisieren, filtern und hierarchisieren die Inhalte, welche die Nutzer in welcher Reihenfolge zu sehen bekommen. Sie bestimmen wesentlich über die Reichweite und die Auffindbarkeit der im Internet vorhandenen Angebote, so üben sie einen erheblichen Einfluss darauf aus, welche Themen, Meinungen und Inhalte von den Nutzerinnen und Nutzern wahrgenommen und für wichtig gehalten werden. Sie wirken auch auf die Berichterstattung der klassischen Medien zurück und bestimmen häufig sogar die Schlagzeilen. Die Intermediären sind auf diese Weise, ähnlich wie die journalistischen Redaktionen der klassischen Medien, zu virtuellen Redaktionen geworden und haben die Zeitungen und den Rundfunk als „Gatekeeper“, also als Torwächter der veröffentlichten Meinung zunehmend abgelöst.
Leitwerte – wie Orientierung an der Wahrheit oder etwa die Meinungsvielfalt – spielen beim Angebot der Inhalte bei den Intermediären kaum eine Rolle. Um eine vielfältige und umfassende Information als Voraussetzung für eine vom Grundgesetz zugrunde gelegte freie Meinungsbildung zu sichern, wird deshalb gefordert, dass die Landesgesetzgeber eine Medienordnung schaffen, die eine „vorherrschende Meinungsmacht verhindert sowie die Vielfalt der bestehenden Meinungen vermittelt“.
Die gewonnene Freiheit der Information wird mit einem Verlust an Anonymität erkauft
Spätestens seit den Enthüllungen des ehemaligen CIA-Mitarbeiters Edward Snowden müssten eigentlich alle wissen, dass die gewonnene Freiheit der Information mit einem Verlust an Anonymität und einer neuen privaten und/oder staatlichen Macht über persönliche Daten erkauft wird. Die angeblich „kostenfreien“ Internet-Dienste von Facebook und Co. sind vor allem auch „Datenkraken“, die mit dem Sammeln und dem Verkauf von Nutzerdaten riesige Milliardensummen an Gewinnen machen.
In China gibt es die ersten Modellversuche wie Online-Daten nicht nur zur umfassenden Überwachung genutzt werden können, sondern – über ein Sozialpunkte-System – das soziale Verhalten der Bürger bewertet und mit Sanktionen oder Vergünstigungen gesteuert werden soll. Die Befürchtung, dass der chinesische TikTok-Eigner ByteDance Informationen, die über diesen Dienst gesammelt werden, an (staatliche) Stellen in China weitergeben könnte, dient als Begründung dafür, dass dieser Dienst in den USA nach einer Übergangsfrist entweder verkauft oder verboten werden soll. In Estland und Frankreich wurde TikTok auf Diensthandys von Beschäftigten im öffentlichen Dienst verboten und seit Mitte März dürfen Beschäftigte der EU-Kommission diese App nicht mehr benutzen.
Was in China der Staat betreibt, machen in der westlichen Welt die privaten Internetgiganten. Nahezu alle Dienste waren oder sind in Datenskandale verwickelt. Auch im Westen gibt es sog. Safe Cities, also elektronisch überwachte Städte bzw. Stadtviertel. Was oft vergessen wird: Nach dem Cloud Act und dem Foreign Intelligence Surveillance Act (FISA) sind die amerikanischen Tech-Unternehmen zur Herausgabe ihrer Daten an die Geheimdienste verpflichtet.
Die Harvard-Ökonomin Soshana Zuboff hat dafür zurecht den passenden Begriff „Überwachungskapitalismus“ eingeführt.
(Das Thema Cyberkriminalität und die Militarisierung des Internets wären einen eigenen Artikel wert.)
Das Internet als Einfallstor für Manipulatoren
Die Tatsache, dass die Internetdienste besser über einen Bescheid wissen, als man vielleicht selbst über sich weiß – jedenfalls als man sich bewusst macht – kann nicht nur für Werbezwecke ausgebeutet werden, die Möglichkeit zur personalisierten Zielgruppenansprache, kann auch für Propaganda, bis hin zu Wahlmanipulationen missbraucht werden.
Eine noch ziemlich harmlose Variante einer solchen Stimmungsmache, ist etwa der relativ preiswerte Kauf von „Likes“ auf Facebook. Zu solchen Meinungsmachern zählen auch sog. „Trolle“ oder ganze Trollfabriken, die sich In Diskussionsforen, Newsgroups, Chatrooms, Mailinglisten oder in Blogs einmischen und provozieren, Wut und Hass schüren oder in eine bestimmte (politische) Richtung zu lenken versuchen.Es gibt auch automatisierte „Trolls“, also von Computern erzeugte künstliche Identitäten (sog. „Robots“), die in Netzwerken wie X oder Facebook massenhafte Zustimmung oder Ablehnung von Meinungen vortäuschen. „Robots“ oder kurz „Bots“ können durch ihre schiere Masse gesellschaftliche Debatten beeinflussen. Im Umfeld der letzten Präsidentschaftswahlen in den USA sollen bei Twitter 400.000 Bots im Einsatz gewesen sein, um die Stimmungslage nach den TV-Debatten zu beeinflussen.
Privacy Paradox
So groß die Ängste – zumal der Deutschen – vor der Sammlung von Daten im Internet sind, so wenig schlägt sich das im Nutzerverhalten nieder. Man kann hier ein „Privacy Paradox beobachten, d.h. obwohl die Vertraulichkeit von persönlichen Daten von Vielen als sehr wichtig eingestuft wird, findet die Nutzung des Internets weitgehend sorglos statt. Und aus Bequemlichkeit stimmt man meist allen „Keksen“, also den „Cookies“ zu, die Angaben etwa zu Seiteneinstellungen, zu Such-oder Surfgewohnheiten zwischenspeichern und an den Betreiber der Internetseite weitergeben. Sie können das selbst beobachten, wenn Sie mal übers Netz ein Hotel buchen. Wenige Sekunden danach werden Sie weitere Angebote in Ihrem Mail-Eingang haben.
Mehr und mehr wird den Internet-Nutzern bewusst, dass, wenn etwas nichts kostet, der Nutzer das Produkt ist. Das Geschäftsmodell der Internetoligopole ist das der Beobachtung und dem kommerziellen Ausnutzen des Verhaltens der Nutzer. Die Online-Präsenz wird zur handelbaren Ware.
Facebook sei „ein Werbenetzwerk unter einer altruistischen Tarnung“, sagt der ehemalige Chefredakteur von netzpolitik.org. Markus Beckedahl.
BigTech als wirtschaftliche Oligopole
Die sozialen Netzwerke haben zwar anfangs der zwanziger Jahre ein klein wenig an Börsenwert verloren, sie sind jedoch inzwischen wieder stark gewachsen und nach wie vor die größten Werbeagenturen. Mit 10,8 Billionen Dollar sind Microsoft, Amazon, Alphabet, Meta und Nvidia (ein Halbleiterkonzern) 65 Prozent mehr wert als vor einem Jahr. Alle 40 Dax-Konzerne zusammen kommen auf zwei Billionen Dollar. Die Profite der Tech-Konzerne übertrafen die Erträge der im DAX 40 gelisteten Unternehmen um das Vierfache. Alphabet erwirtschaftete in einem Jahr soviel Profit wie Bertelsmann in 66 Jahren. Google setzt jährlich gut 280 Milliarden Dollar um, TikTok erzielte einen Umsatz von 120 Milliarden, Amazon allein erzielte einen Umsatz von 500 Milliarden Dollar. Zum Vergleich: Der Bundeshaushalt 2024 sieht geplante Ausgaben in Höhe von 384 Milliarden Euro vor. Gegen die wirtschaftliche Potenz dieser Plattformen nehmen sich die europäischen Medienhäuser – wie das Friedrich Küppersbusch treffend formuliert hat – wie „possierliche Folkloregruppen“ aus. Die achteinhalb Milliarden Euro aus Rundfunkbeiträgen für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten schrumpfen im Vergleich dazu auf eine Quantité négligeable. Unter den 20 größten Digitalkonzernen der Welt gibt es kein einziges europäisches Unternehmen.
Trotz ihrer riesigen Gewinne gehören diese bestverdienenden und größten Konzerne, die es auf diesem Planeten je gegeben hat, mit zu den größten Steuervermeidern. Die Konzerne verschieben ihre Gewinne nach Irland, in die Niederlande oder andere Steueroasen. Mit Steuersätzen von 7 bis 15 Prozent zahlen sie dort oft weniger als die Hälfte von dem, was in Deutschland an Steuern fällig wäre. Allein der US-Konzern Microsoft soll in den letzten 20 Jahren etwa 300 Mrd. Euro an Steuern „vermieden“ haben. Die Tech-Konzerne haben durch ihre enormen Ressourcen unverhältnismäßig viele Möglichkeiten, Politik in ihrem Sinne zu beeinflussen. Die Branche gab nach Angaben von Lobbycontrol 2022 etwa 113 Millionen Euro für Lobbyarbeit allein in Brüssel aus. Diese massive Lobbyarbeit bedroht demokratische Willensbildungsprozesse. Außerdem fördern diese Konzerne in großem Umfang konzernfreundliche Forschung und beeinflussen so den Wissenschaftsprozess. Die Tech-Giganten sind nicht Spielball der Märkte, sondern umgekehrt sind die Märkte Spielball dieser Giganten geworden. Weder dem Bundeskartellamt noch der EU-Kommission ist es bisher gelungen, die Marktmacht der großen Tech-Unternehmen wirksam einzuhegen.
Hinter den US-amerikanischen Plattformen Google, Facebook, Instagram und Amazon liegt im Internet-Traffic nur noch ein riesiger „Friedhof“
Wir haben es mit einer doppelten Oligopolstruktur zu tun: Und zwar sowohl bei den Übertragungswegen als auch bei den Medieninhalten. Noch viel zerstörerischer als beim ökonomischen Wettbewerb sind aber gerade die Effekte der Oligopole auf dem Markt der Medien.
Ein „Atlas der digitalen Welt“, der am Institut fur Medienkultur an der Universität zu Köln erarbeitet worden ist, zeigt, dass sich der Internetverkehr zu 70 Prozent auf eine Hand voll Oligopole konzentriert und der übrige Rest des Internet-Traffics nur noch ein „gigantischer Friedhof“ ist. Der Kölner Medienwissenschaftler Martin Andree hat errechnet, dass die fünf größten deutschen Blogs eine Reichweite von gerade mal etwas mehr als einem Prozent erreichten. Nehme man die Nutzungsdauer als Gradmesser, so erzielten alle Inhalte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks an Media-on-Demand zusammengenommen einen Anteil von gerade mal etwa 4 Prozent des Traffics. Der Anteil an der gesamten Mediennutzung sei logischerweise noch viel geringer und betrage nur noch lächerliche ein Prozent des Netzverkehrs. Die Vielzahl von Angeboten im Netz sei also eine reine „Fata Morgana“. Selbst finanzstarke globale Markenkonzerne hätten mit ihren Internetauftritten keine Chance, sich gegen die „schwarzen Löcher“ der Plattformen zu behaupten.
Der Internetzugang wird in der westlichen Welt von den „Big Five“ eröffnet, nämlich von „GAFAM“ (nämlich G wie Google, A wie Amazon, F wie Facebook, A wie Apple und M wie Microsoft). Die „sozialen Medien“ werden von „FANG“ (also von Facebook, Amazon, Netflix, Google) dominiert. Inzwischen müsste man das berufliche Netzwerk Linkedin von Microsoft oder die vom chinesischen ByteDance-Konzern betriebene Plattform TikTok hinzufügen. Während X seit dem Kauf durch Elon Musk deutliche Einbußen, vor allem bei den Werbeinnahmen hinnehmen muss.
Mit einem Suchmaschinen-Marktanteil von über 90 Prozent beherrscht Google den Zugang zu den Netzinhalten. Amazon hat nicht nur einen Anteil von 56 Prozent am gesamten Online-Handel, sondern beherrscht mit einem Drittel den Markt beim Cloud Computing, also bei externen Speicherplätzen für Rechen- oder Dienstleistungen.
Solche Oligopole sind eine Bedrohung für eine plurale Meinungsbildung. Die analogen Medien schrumpfen, die digitalen Medien übernehmen: Damit wird eine pluralistische Medienwelt abgeschafft und durch eine oligopolistische Ordnung ersetzt, die im Widerspruch zu den Prinzipien unserer demokratischen Verfassung steht, die auf die Vielfalt der Meinungen aufbaut. Nach 75 Jahren Grundgesetz sind Pressefreiheit und Meinungsvielfalt ernsthaft in Gefahr.
Die „Kalifornische Ideologie“
Der Hauptberater der EU-Kommission in der Generaldirektion Justiz, Paul Nemitz, der schon die Datenschutzgrundverordnung maßgeblich geprägt hat, erkennt bei den steinreichen Unternehmensführern eine „Kalifornischen Ideologie“, nämlich den Glauben, dass sich alle Probleme durch digitale Technik lösen lassen und vor allem, dass diese Technik alle Probleme besser löste als die Politik.
Die Tech-Giganten züchteten – so Nemitz – eine Kultur der Missachtung der Institutionen der Demokratie, ja noch mehr: eine Verachtung der Demokratie. Da werde suggeriert nur die Selbstregulierung der Akteure und der Markt seien wirksame Mittel, um Ziele zu erreichen, die dem Gemeinwohl dienen, und deshalb sei jeder Eingriff in den Markt und jede Regulierung des Internets durch Gesetze abzulehnen.
Diese Ideologie sei unvereinbar mit den Grundwerten von Freiheit und Demokratie. Diese Mischung aus Verabsolutierung der Technologie und neoliberaler Gedanken habe die strukturelle Unterregulierung des Internets bis heute zur Folge.
Personalisierung der Informationen zerstört die Grundfunktion der Öffentlichkeit
„Unser Ziel ist es, mit dem Newsfeed die perfekte personalisierte Zeitung für jede Person auf der Welt zu schaffen“, sagte Facebook-Gründer Zuckerberg, wohl ohne selbst zu bemerken, welches Problem für den Erhalt der Meinungsvielfalt er damit beschrieb. Die konsequente Personalisierung der Informationen zerstört die Grundfunktion der Öffentlichkeit, nämlich den offenen Austausch der vielfältigen und kontroversen gesellschaftlichen Meinungen.
Das Das Bundesverfassungsgericht hat schon in seinem Urteil vom 18. Juli 2018 zum Rundfunkbeitrag auf die Gefahr hingewiesen, „dass – auch mit Hilfe von Algorithmen – Inhalte gezielt auf Interessen und Neigungen der Nutzerinnen und Nutzer zugeschnitten werden, was wiederum zur Verstärkung gleichgerichteter Meinungen führt. Solche Angebote sind nicht auf Meinungsvielfalt gerichtet, sondern werden durch einseitige Interessen oder die wirtschaftliche Rationalität eines Geschäftsmodells bestimmt, nämlich die Verweildauer der Nutzer auf den Seiten möglichst zu maximieren und dadurch den Werbewert der Plattform für die Kunden zu erhöhen. Insoweit sind auch Ergebnisse in Suchmaschinen vorgefiltert und teils werbefinanziert, teils von „Klickzahlen“ abhängig. Zudem treten verstärkt nicht-publizistische Anbieter ohne journalistische Zwischenaufbereitung auf.
Aber man muss nicht nur auf den Meta-Konzern schauen, auch in Deutschland gibt es Bestrebungen, in erster Linie Online-Vermarktung, statt Journalismus anzubieten. So soll etwa beim „Kölner Stadt-Anzeiger“ der „Onlineauftritt streng nach user needs“ weiterentwickelt werden, also die Relevanz für die Nutzer im Vordergrund stehen.
Filterblasen- oder Echokammereffekt
Häufig ist bei solchen personalisierten Informationen vom „Filterblasen- oder Echokammereffekt die Rede. So plausibel diese Bubbles erscheinen, so dünn sind allerdings bisher die empirischen Nachweise dafür gesät. Als einigermaßen gesichert kann jedoch gelten, dass bei zahlenmäßig durchaus beachtlich großen gesellschaftlichen Gruppen, die sich in Opposition zu der in den klassischen Medien veröffentlichten Meinung verstehen, durch die personalisierten Nachrichtenströme Verfestigungen von Vorurteilen oder Ideologien beobachtbar sind, sodass sich polarisierende „Gegen- und Teilöffentlichkeiten“ mit unterschiedlichen Wahrheitsansprüchen bilden, also eine Fragmentierung der Öffentlichkeit eintritt. Das lässt sich etwa in den USA sehr gut beobachten: Noch ein Jahr nach der letzten Präsidentschaftswahl in den USA hielt ein Drittel der Bevölkerung das Ergebnis für gefälscht. An die Stelle einer gemeinsamen Öffentlichkeit, die die Gesellschaft zusammenhält, ist eine Vielzahl von Öffentlichkeiten, sind „alternative Fakten“ getreten. „Der inklusive Sinn von Öffentlichkeit verblasst“, schreibt Jürgen Habermas.
Verrohung der Sprache
Dieses Phänomen ist jedenfalls unbestritten: Im Netz ist eine Verrohung, ja teilweise sogar eine Vergiftung der Sprache beobachtbar. Die Verwilderung in der zwischenmenschlichen Kommunikation im Netz ist oft eng verbunden mit einem pauschalen Antielitismus, einer allgemeinen Skepsis, mit Homophobie und Fremdenhass, mit Rassismus bis hin zu Aufrufen zur Gewalt. Die Anonymität im Netz enthemmt offenbar. Das Internet wurde geradezu zu einem Sammelpunkt für fremdenfeindliche und antisemitische Hetze. Ideologisch homogene Diskursräume führen zur Radikalisierung von Meinungen und Positionen. So kann eine „Wir-gegen-die-Haltung“ entstehen, die Hass sähen und einen Nährboden für politische Radikalisierung bilden kann. Solche sektenartigen Phänomene ließen sich etwa bei den Corona- oder „Querdenker“-Demonstrationen oder zunehmend verbreiteten Verschwörungsmythen beobachten. NRW-Innenminister Herbert Reul nennt das Internet „Die Radikalisierungsmaschine des 21. Jahrhunderts“.
Die „Währung“ des Internets ist die Aufmerksamkeit
Übereinstimmende Studien zeigen, dass sich Fake News weiter, schneller, intensiver und breiter verbreiten denn als wahr klassifizierte Informationen. Falschmeldungen verbreiten sich in den sozialen Medien sechs Mal so schnell und hundert Mal so häufig wie normale Nachrichten und werden fast doppelt so häufig geteilt wie andere Inhalte. 85 Prozent der Internetnutzerinnen und -nutzer stimmen der Aussage zu, es sei insgesamt schwer, den Wahrheitsgehalt einzelner Meldungen zu überprüfen. Ebenso viele (85 Prozent) sind der Meinung, dass Falschmeldungen den gesellschaftlichen Zusammenhalt zerstören. Wie unkritisch jedoch im internationalen Vergleich die Deutschen sind, beweist eine Umfrage, wonach nur 16 Prozent meinen, dass sie auf Desinformation hereinfallen könnten.
Auch Nacktheit und Wut klicken sich gut. Die Meldung „Staat zahlt Harem 7.500 Euro im Monat: Syrer lebt jetzt mit 2 Ehefrauen und 8 Kindern in Deutschland“ hat mehr Interaktionen auf Facebook erhalten, als 50 der meistgelesenen Nachrichtenseiten, etwa von Bild, Spiegel, Focus etc. Den Verbreitungseffekt von Falschmeldungen nutzen natürlich auch die Sozialen Netzwerke für sich selbst aus, denn die „Währung“ des Internets ist die Aufmerksamkeit. Es herrscht eine „Klick-Ökonomie“, denn Klickzahlen und Verweildauer bringen Werbeeinnahmen. Klassische journalistische Tugenden sind diesem „Clickbaiting“ – also dem Ködern von Zugriffen – eher abträglich. So können soziale Medien zu asozialen Medien werden. Man könnte auch sagen, das Radikale rückt in die Mitte – oder die Mitte wird radikalisiert.
„Lauter Hass – leiser Rückzug“
Mehr als drei Viertel aller deutschen Internetnutzer erleben Hass im Netz. Hassreden werden spätestens dann gefährlich für unsere Demokratie, wenn die Hetze des einen die Meinungsfreiheit des anderen einschränkt. Die so vergiftete Diskussion kann dazu führen, dass Menschen sich aus Angst vor den hassvollen Reaktionen anderer nicht mehr trauen, ihre Meinung zu äußern. Shitstorms können bewirken, dass Medienredaktionen ganze Themenblöcke meiden, weil sie sich der unzivilisierten Debatte nicht gewachsen fühlen. Anfeindungen im Netz können Menschen davon abhalten, für ein politisches Amt zu kandidieren. Die Spitze dieses Eisbergs erlebten wir vor der letzten Europawahl mit körperlichen Angriffen auf einen SPD-Europaabgeordneten beim Anbringen von Wahlplakaten. Den Parteien fehlt es massiv an Nachwuchs; in vielen Kommunen lässt sich kein Bürgermeisterkandidat mehr finden.
- Hass im Netz führt nicht zur zu einem Rückgang der Online-Aktivitäten, oft sogar zu sozialem Rückzug. Oft erleiden die Betroffenen auch psychische Beschwerden. Der Kampf gegen Hassreden ist also auch ein Kampf für die Meinungsfreiheit, für die Meinungsvielfalt im öffentlichen Raum und damit für die demokratische Teilhabe und den demokratischen Diskurs.Die politische Rechte hat besser verstanden, wie Soziale Medien funktionierenGerade populistische Parteien beherrschen dieses Spiel mit der Wut gekonnt. Sie liefern, was der Algorithmus belohnt. Die AfD oder andere rechte Bewegungen nutzen solche „Infodemie“-Effekte für ihre politische Propaganda. Die AfD verfügt über weiter mehr als 80 Prozent aller Shares der Politischen Parteien auf Facebook. Bei den Social-Media-Abrufen – in jüngster Zeit vor allem auf TikTok – liegen die AfD und deren Politiker/innen mit weitem Abstand vor den anderen Parteien. Der (zurückgezogene) Spitzenkandidat der AfD, Maximilian Krah, etwa erreichte mit seinem Video „Echte Männer sind rechts“ 1,5 Millionen Views, fast 96.000 Shares und mehr als 88.000 Links. Donald Trump wollte noch im März dieses Jahres TikTok verbieten, eine Woche, nachdem er sich entschloss, diesen Dienst zu nutzen, sammelte er dort sechs Millionen Follower. Laut „Trendstudie Jugend in Deutschland 2024“ würden 22 Prozent der 14- bis 29-Jährigen ihre Stimme bei der nächsten Bundestagswahl der AfD geben. Davon nutzen mehr als 58 Prozent TikTok.Desinformation und Propaganda bedrohen die DemokratieDie gezielte und massenhafte Verbreitung von Desinformation und Propaganda (auch und gerade durch ausländische autokratische Systeme) bedrohen zunehmend demokratisch verfasste Staaten. Desinformationskampagnen gab und gibt es vor allem bei stark umstrittenen Themen, wie z.B. der Zuwanderung, bei der Corona-Pandemie oder der Klimakrise. Desinformation verursacht Unsicherheit und diese Unsicherheit nährt Zweifel an allem und jedem, was nicht Teil der eigenen, gefühlten Wirklichkeit ist. Mit Begriffen wie „alternative Fakten“ wird suggeriert, dass Tatsachen reine Ansichtssache seien. Gemeinsam geteilte und geprüfte Informationen sind jedoch Voraussetzungen für eine funktionierende Öffentlichkeit in der Demokratie. Ohne einen Konsens in der Gesellschaft für die Unterscheidbarkeit von wahr und unwahr sowie von Tatsachen und Meinungen ist es jedoch „kaum möglich im politischen Meinungskampf eine auf Argumenten basierende Auseinandersetzung konstruktiv zu führen“, meint der Medienrechtlicher Bernd Holznagel. Demokratisierung des Digitalen statt Digitalisierung der DemokrtatieFassen wir die Bedrohungen für unsere Demokratie durch das Internet noch einmal zusammen. Bedrohlich sind:- Die digitale Spaltung zwischen jung und alt bei der Informiertheit und die Nachrichtenmüdigkeit, – die Oligopolisierung der Medienwelt mit ihrem Verlust an vielfältigen gesellschaftlichen Meinungen, – die Verstärkung gleichgerichteter Meinungen,
– die Unvereinbarkeit der Technikgläubigkeit mit den Grundwerten von Freiheit und die damit einhergehende Missachtung demokratischer Institutionen,
– die Fragmentierung der Öffentlichkeit z.B. durch alternative Fakten,
– die Verrohung der Sprache und des politischen Diskurses,
– die Radikalisierungstendenzen und Desinformationskampagnen,
– der Verlust an gemeinsam geteilten und geprüften Informationen und an Vertrauen in die Wahrhaftigkeit von Informationen,
– die Bedrohung der Meinungsfreiheit durch Hassreden und nicht zuletzt – die verborgene Lobbyarbeit von BigTech.Angesichts solcher Bedrohungen stellte Bundespräsident Steinmeier zurecht die Forderung auf: “Nicht die Digitalisierung der Demokratie, sondern die Demokratisierung des Digitalen ist die drängendste Aufgabe”.Regulierungsversuche auf dem Feld des InternetsEs hat noch nie in der Geschichte ein Medium gegeben, das nicht reguliert wurde. Die Frage ist allerdings, ob die Politik überhaupt noch in der Lage ist, die Tech-Giganten zu zähmen. Facebook hat gegen jegliche Regulierung eine bislang erfolgreiche Strategie: „Verzögern, Abstreiten, Vortäuschen“.Die Bosse der fünf Internetoligopole, die zu den reichsten Menschen der Welt gehören, vertraten über lange Jahre unisono und penetrant die Ideologie, sie seien nur neutrale Dienstleister für ihre „User“ und könnten für die von ihren Nutzern verbreiteten Inhalte nicht als „Herausgeber“ zur Verantwortung gezogen werden. Die „Sozialen Medien“ seien demnach nur eine Art „digitales Schwarzes Brett“, auf dem die Leute ihre Zettel anhefteten, ohne dass der Aufsteller der Anschlagtafel eine Verantwortung dafür trüge, was dort „gepostet“ werde. Was bei RTL strafbar wäre, ist derzeit bei Plattformen meist noch legal. Ursprünglich zur Förderung des Internets gedacht, wurde dieser Grundsatz der Nichthaftung für die geposteten Inhalte in den USA im „Communications Decency Act“ aus dem Jahre 1996 – also 8 Jahre vor der Gründung von Facebook – sogar in einem Gesetz verankert. Aus einer Mischung aus Technikbegeisterung, Staatsabwehr und dem naiven Glauben an die „Freiheit im Netz“ wird diese Ideologie der Netz-Oligopolisten vor allem von einem großen Teil der jüngeren Online-Community nach wie vor massiv unterstützt.Wer aber meint: “Das Netz ist frei, wir sollten es nicht regulieren”, der täuscht sich. Das Netz wird aktuell nämlich so reguliert, wie es die Digitalkonzerne für richtig halten. Die meisten Netzwerkbetreiber haben sich selbst sog. Gemeinschafts- oder Community-Standards zum Schutz vor von ihrer Ansicht nach schädlichen oder anstößigen Inhalten auferlegt. So schlimm man die Tweets von Donald Trump auch gehalten haben mag, dass Facebook und Twitter einfach dessen Nutzerkonten gesperrt haben, das hat mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nichts zu tun. Dieses „Hausrecht“ der Internetdienste ist als private Zensur gefährlich und jedenfalls verfassungsrechtlich problematisch. Es zeigt den „autoritären Charakter der digitalen Revolution“.
Um nur ein markantes Beispiel für die „unheimliche Macht“ der Internetkonzerne zu nennen: 2021 boykottierte Facebook ein in Australien geplantes Gesetz, das von den Plattformen verlangte, einen Teil ihrer Einnahmen aus der Verlinkung von Artikeln und Filmen an die Urheber, also an Verlage oder Künstler abzugeben. Selbst behördliche Notdienste, wie die Feuerwehr waren durch den Boykott über Nacht gesperrt und blockiert.Warum sollte die digitale Welt anders funktionieren als die analoge, mit genauso vielen Freiheiten aber auch Pflichten?Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Jede Regulierung müsste jedoch größtmögliche individuelle Meinungsfreiheit und den Schutz vor staatlicher oder privater Zensur sowie darüber hinaus ein hohes Maß an Datenschutz gewährleisten. Allerdings ist weder Hass noch ist jede Lüge strafbar und auch falsche Meinungen, sogar Widerwärtiges sind durch das Grundgesetz geschützt. Das Bundesverfassungsgericht garantiert der Meinungsfreiheit einen breiten Spielraum. Es ist Aufgabe der Politik – und eben nicht das Hausrecht der Techkonzerne – die rechtlichen Parameter für die Ermöglichung freier und unabhängiger Berichterstattung sowie für den freien und offenen Willensbildungsprozess zu setzen und Plattformen Pflichten für die gemeinwohlverträgliche Ausgestaltung öffentlicher Kommunikationsräume aufzuerlegen.Inzwischen gibt es sowohl auf europäischer Ebene als auch als innerstaatliches Recht zahlreiche Regulierungsvorschriften:- Von der Haftung der Plattformen für Urheberrechtsverletzungen,
– über die Anpassung des Wettbewerbsrecht,
– der „Datenschutzgrundverordnung“ (DSGVO),
– dem „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ (NetzDG),
– dem „Telemediengesetz“ (TMG),
– dem „Digital Services Act“ (DAS) und seiner kürzlich verabschiedeten Umsetzung ins deutsche Recht, dem Digitale-Dienste-Gesetz,
– dem „Digital Markets Act“ (DMA),
– bis hin zu mehreren Novellen des Medienstaatsvertrages der Länder.Heftig gestritten wurde über ein im Mai 2024 in Kraft getretenes europäisches „Medienfreiheitsgesetz“ und über eine anstehende Verordnung zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern, bei der eine „Chatkontrolle“ befürchtet wird. Es wurde in Deutschland auch eine Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Straftaten im Internet aufgebaut.Ob diese Regulierungen den rechtlichen und vor allem auch praktischen Rahmen bieten können für die Ermöglichung freier und unabhängiger Berichterstattung sowie für den freien und offenen Willensbildungsprozess und ob sie den Plattformen hinreichende Pflichten für eine gemeinwohlverträgliche Ausgestaltung öffentlicher Kommunikationsräume auferlegen können, wird sich erst noch erweisen müssen.
Wirklich gefruchtet haben die meisten der Regulierungen bislang noch nicht sehr viel. So gingen z.B. erheblich weniger Meldungen über strafrechtlich relevante Inhalte ein, als erhofft wurde. Schon jetzt zeigt sich, dass die Internetkonzerne solche Regelungen auszutricksen versuchen. Gegen die Konzentrationstendenzen wurde bislang viel zu wenig unternommen.Immerhin hat die EU-Kommission unlängst eine Wettbewerbsstrafe von 1,8 Milliarden Euro gegen den US-Tech-Giganten Apple verhängt, mit der Begründung, dass das Unternehmen seine marktbeherrschende Stellung für den Vertrieb von Musik-Streaming-Apps an iPhone- und iPad-Nutzer über seinen App-Store missbraucht habe. Man darf gespannt sein, was die kürzlich eingeleiteten Wettbewerbsverfahren der EU-Kommission gegen Alphabet und Meta erbringen. Selbst wenn diese Verfahren vor Gericht Bestand haben sollten, so bedeutet das nicht etwa eine Entflechtung der Oligopole, sondern die Gerichtsentscheidungen würden allenfalls Verhaltensänderungen erzwingen. Gegen die bereits existierenden Monopolstrukturen wird staatlicherseits bisher nur wenig unternommen. Es gibt laut Umfragen eine um die 80-prozentige Zustimmungen bei den Befragten für weitergehende Regulierungen gegen die digitalen Oligopole, zum Schutz der Privatsphäre oder gegen Hass und Radikalisierung im Netz. Dieser Grundstimmung entsprechend gibt es über die bisherigen regulatorischen Bestimmungen hinaus zahlreiche Vorschläge, wie das Internet von der Macht der Tech-Riesen befreit werden könnte. Ich nenne hier nur die m.E. wichtigsten:- So sollte bei demokratierelevanten, marktbeherrschenden Plattformen auf der Unternehmensebene eine Entflechtung bei der Monetarisierung zwischen Verbreitungsweg und den verbreiteten Inhalten gesetzlich vorgeschrieben werden.
– Gewinne, die in einem Land erwirtschaftet werden, müssten – wie bei anderen Medienunternehmen auch – jeweils auch dort versteuert werden.
– Außerdem sollte – analog zu den bereits bestehenden Regelungen im Medienstaatsvertrag – ein Nutzungsanteil in der jeweiligen Mediengattung von max. 30 % für marktbeherrschende Plattformen eingeführt werden, die demokratierelevante Inhalte verbreiten und die für die Meinungsbildung wichtig sind. – Die eingesetzten Algorithmen sollten transparent und zumindest extern erforschbar werden. – Wer wirtschaftliche Verantwortung übernimmt sollte zwingend auch inhaltliche Verantwortung etwa für strafbare Botschaften in den Posts übernehmen.
– Zur strafrechtlichen Verfolgung sollten von sozialen Netzwerken die IP-Adressen der dem Netz angebundenen Geräte herausgegeben werden müssen.
– Es gibt Stimmen, die ganz grundsätzlich in Frage stellen, dass die Netz-„Infrastruktur“ sich in privater Hand befindet. Wie beim Straßennetz müsse der Staat auch diese Infrastruktur zur Verfügung stellen, die dann geschäftlich und privat genutzt werden könnte.
Zunehmend werden auch Forderungen nach einer digitalen Souveränität wenigstens auf europäischer Ebene gegen die Digital-Oligopolisten aus den USA und inzwischen auch aus China laut. Wichtig wäre vor allem auch eine größere Medienkompetenz. Der Umbruch der Medienlandschaft wird sich nach aller Voraussicht in den nächsten Jahren beschleunigt fortsetzen. Ohne Gegenmaßnahmen werden sich klassische Medien im „Plattformisierungsprozess“ weder ökonomisch noch publizistisch behaupten können.
Warum also nicht eine öffentliche, beitragsfinanzierte Plattform?
Warum sollte der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht dorthin gehen, wo sich die jungen Zielgruppen aufhalten? Jürgen Habermas spricht geradezu von einem verfassungsrechtlichen Gebot „eine Medienstruktur aufrecht zu erhalten, die … einen deliberativen Charakter der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung ermöglicht“.
Sowohl die Rundfunkkommission der Länder als auch der von den Ministerpräsidenten eingesetzte „Zukunftsrat“ machten zuletzt Vorschläge für den Aufbau einer gemeinsamen Medienplattform durch die Rundfunkanstalten, um die Macht der privaten Plattformbetreiber zu brechen. Im Mai dieses Jahres kündigten der ARD-Vorsitzende Kai Gniffke und der Intendant des ZDF, Norbert Himmler, die Entwicklung einer Technologie für eine gemeinsame Nutzung ihrer jeweiligen Mediatheken an. 250 Millionen Euro sollen umgeschichtet werden, um ein Publikum zu erreichen, das lineare Verbreitungswege des Fernsehens weniger oder gar nicht mehr nutzen. Bei aller berechtigten Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk hätte eine solche Public-Service-Plattform folgende Vorteile:
– Im Gegensatz, in Konkurrenz und in Ergänzung zu den privaten Sozialen Medien, könnte ein über eine „Demokratieabgabe“ – wie das Bundesverfassungsgericht den Rundfunkbeitrag genannt hat – finanziertes Internetangebot sich dem kommerziellen Primat entziehen.
– Ein solches Public Value-Internetangebot könnte staatsfern von gesellschaftlichen Gruppen kontrolliert werden, demokratische Teilhabe ermöglichen und wäre nicht anonymen Shareholdern verpflichtet. – Es könnte gemeinwohlorientiert, unabhängig und identitätsstiftend ausgerichtet und dem Wahrhaftigkeits- und Achtungsgebot sowie zur Einhaltung journalistischer Grundsätze verpflichtet sein. – Es könnte auf den Verkauf von Daten verzichten und wäre nicht auf die (Daten-) Ausbeutung der Nutzer angewiesen.
– Ein solcher öffentlich-rechtlicher Netzauftritt könnte durch einen gesellschaftlichen Integrationsauftrag der Spaltung der Öffentlichkeit und darüber hinaus Hassreden und Verschwörungsdenken entgegenwirken. – Eine solche Plattform könnte mit dem Versprechen an die Nutzer verbunden sein, dass die Daten geschützt und die Algorithmen transparent gemacht würden.
– Außerdem könnte im Sinne eines kommunikativen Versorgungsauftrags zusätzlich für die Inhalte eine Creative Commons-Lizenz vergeben werden, sodass die Inhalte von den Usern beliebig (z.B. auch als schulische Lernmittel) genutzt werden könnten.
Öffentlich-rechtliche Plattform, um die Demokratie zu schützen
Einen Einstieg in eine solche Plattform haben ARD und ZDF mit dem Jugendangebot „funk.net“ für eine jüngeres Publikum gemacht. Auch die Mediatheken sind nicht-lineare Angebote, die aber bisher ein Schattendasein fristen. Bis es eine solche gemeinsame Plattform gibt, sollten ARD und ZDF mit den kommerziellen Digitalunternehmen enger zusammenarbeiten, um die nachrichtliche Aktualität und gesellschaftlich relevante Themen dort nutzerfreundlich und bevorzugt zu verbreiten. Letztendlich sind allerdings bei dieser Kooperation die privaten Plattformen die Gewinner, indem ihnen weitgehend kostenlos Inhalte geliefert werden und die eigene Marke der öffentlich-rechtlichen Angebote für die Nutzerinnen und Nutzer nicht oder kaum sichtbar wird, sondern auch noch der Eindruck entstehen kann, als würde es sich um Content der Internet-Oligopolisten selbst handeln. Angesichts der geschilderten Gefährdungen für unsere Demokratie wäre es Aufgabe und Pflicht aller politisch Verantwortlichen und aller demokratischen Parteien, solche Institutionen, die für eine funktionierende Demokratie wesentlich sind besonders zu schützen und zu stärken. Leider verläuft die aktuelle Diskussion über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk – einer für unsere Demokratie tragenden Institution – in die gegenteilige, gegen den Verfassungsauftrag des Grundgesetzes laufende Richtung.
Aus der Sicht der Feinde unserer Demokratie ist es daher nur folgerichtig, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abzuschaffen, wie es die AfD fordert. Wenn in einem östlichen Bundesland ein Kandidat der AfD zum Ministerpräsidenten gewählt würde, bestünde die Gefahr, dass der MDR-Staatsvertrag aufgekündigt oder ein neuer Staatsvertrag zwischen den Ländern verhindert werden könnte. Der für die Wahrung der Demokratie ebenso kostitutive öffentlich-rechtliche Rundfunk ist in den Verfassungen der Länder ähnlich schlecht geschützt, wie der Bestand und demokratische Besetzung der Verfassungsgerichte. Die Zeitungs- und Zeitschriftenverleger fürchten leider die Konkurrenz einer Internetplattform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für ihre eigenen Netzangebote, denn sie vermuten, dass ihnen damit Werbegelder abgezogen werden könnten. Dabei sehen sie den „Elefanten im Raum“ nicht, nämlich die privaten Internetoligopolisten, die schon jetzt den Löwenanteil des Werbekuchens an sich gerissen haben und immer gefräßiger werden. Vielleicht wäre deshalb eine gemeinsame Plattform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks möglicherweise auch zusammen mit privaten Qualitätsmedien einer ernsthaften Prüfung wert.
Um die Konkurrenzfähigkeit gegenüber den BigTech-Oligopolisten herzustellen, müssten eher mehr Finanzmittel gewährt werden, statt dass – wie gegenwärtig – in erster Linie über Einsparungen bei den Rundfunkanstalten diskutiert wird.
Ob ein solches beitragsfinanziertes, öffentlich-rechtliches Angebot ausreichend Publikum fände, ist zwar ungewiss und wird vielfach bezweifelt, aber immerhin bestünde eine Alternative zu den Internet-Oligopolen und ein Angebot für eine demokratische „mediale Grundversorgung“. Voraussetzung für einen Erfolg wären jedoch auch die genannten Maßnahmen, die uns vor Vorherrschaft der Digital-Konzerne wenigstens ein Stück weit befreiten. Immerhin wünschen sich nach einer Umfrage des Digitalverbandes Bitkom 90 Prozent der Befragten, die online Nachrichten aufnehmen, angesichts der Unübersichtlichkeit der Nachrichten im Netz dort einen Ort, an dem sie verlässliche und journalistisch geprüfte Informationen finden könnten. Kurz: Ein solches beitragsfinanziertes, öffentlich-rechtliches Angebot wäre nach meiner Ansicht ein immer wichtiger werdender Beitrag zur Stärkung der Meinungsvielfalt und damit zur Demokratisierung des Internets.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus dem hier von Roland Appel annoncierten Buch. Dort finden Sie auch 105 Fussnoten zu dieser Ausarbeitung. Eine frühere Version des Themas von Wolfgang Lieb hatten wir hier.

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