Der Widerstand der Kichwa-Völker im Norden Ecuadors

Am 12. September hob Präsident Daniel Noboa per Exekutivdekret Nr. 126 die Subventionen für Diesel auf und setzte einen vorläufigen Preis bis Dezember fest. Diese Maßnahme bedeutete eine Preiserhöhung um 56 Prozent – von 1,80 auf 2,80 US-Dollar pro Gallone – mit unmittelbaren Folgen für Transport, Landwirtschaft und Fischerei. Dass darauf eine Preissteigerung in der Grundversorgung folgen würde, war unausweichlich. Dieses Dekret war der Funke, der den Konflikt entfachte. In der Region Otavalo, etwa 110 Kilometer von Quito entfernt, kam es daher zwischen dem 22. September und dem 22. Oktober zu den heftigsten Protesten in der jüngeren Geschichte des Landes.

Am 18. September rief der Dachverband der indigenen Nationen in Ecuador (CONAIE) dazu auf, die Landstraßen zu blockieren, bis das Dekret aufgehoben würde. Die einseitige Entscheidung der Regierung, ohne jegliche Rücksprache mit den Betroffenen, erzeugte tiefen Unmut. Die Transportunternehmen, die die Proteste initiiert hatten, kamen jedoch schnell zu einer Einigung mit dem Staat: Sie sollten Entschädigungszahlungen in Höhe von insgesamt 42 Millionen US-Dollar erhalten. Laut Aussage des Sozialministers Harold Burbano in einem Interview mit der Zeitung „El Universo“ versprach die Regierung eine einmalige Unterstützung von 1000 US-Dollar pro landwirtschaftlichem Betrieb.

Für die Kichwa-Gemeinschaften in der Provinz Imbabura, insbesondere in Otavalo und Cotacachi, waren solche vorübergehenden Lösungen jedoch völlig unzureichend. Sie wussten, dass die Auswirkungen auf ihre Ökonomie langfristig verheerend sein würden. Daher beschlossen sie am 22. September, die E35, die wichtigste Landstraße im Norden des Landes, zu blockieren.

Der Staat reagierte sofort und brutal. Militär und Polizei starteten eine „Eindämmungs- und Säuberungsoperation“ mit unvergleichbar heftiger Repression. Einige Stunden später wurde das Polizeihauptquartier in Otavalo schwer beschädigt. Die Behörden machten „Mitglieder indigener Gemeinschaften mit Verbindungen zu kriminellen Gruppen“ dafür verantwortlich und nahmen 13 Personen fest. Schon bald belegten Videoaufnahmen, dass viele der Festgenommenen unschuldig waren. So wurde etwa eine Kichwa-Frau, die einen Polizisten anflehte, keine Gasgranaten direkt auf die Demonstrierenden zu schießen, gewaltsam verhaftet. Als ihr Fall öffentlich wurde, kam sie frei. Die übrigen „Zwölf von Otavalo“ blieben jedoch in Haft.

Wie schon oft unter der Präsidentschaft von Daniel Noboa wurden der „Ausnahmezustand“ ausgerufen und Ausgangssperren verhängt. Im Zuge dieser Maßnahme wurden Festgenommene des Terrorismus beschuldigt. Das Strafgericht verhängte Untersuchungshaft und stützte sich dabei auf eine vom Machtapparat konstruierte Geschichte, die darauf abzielte, die indigene Führung mithilfe der Justiz zu zerschlagen.

Die politische Verfolgung verschärfte sich nach einer öffentlichen Äußerung des Präsidenten während eines Besuchs in Otavalo: „Sie wollen uns vertreiben, aber wir werden sie zuerst vertreiben.“ Dieser Satz, der als Kriegserklärung an die indigenen Völker zu verstehen ist, machte deutlich, dass die Regierung sie als inneren Feind betrachtet. Die Mischung aus Sparmaßnahmen, Kriminalisierung und aggressiver Rhetorik verwandelte den Unmut in einen Kampf um die Würde.

Die Räumung der Straßen und ein „humanitärer Konvoi“

In den frühen Morgenstunden des 28. Septembers versuchten die Streitkräfte, die Gemeindemitglieder mit Panzerfahrzeugen und Schusswaffen von den Straßenblockaden zu vertreiben. In der chaotischen Situation wurde Efraín Fuérez aus einer Dorfgemeinschaft in Cotacachi von einer Kugel tödlich getroffen. Ein Anwohner, der seinen Körper festhielt und nicht loslassen wollte, wurde von Soldaten beschimpft und bewusstlos geschlagen. Die Autopsie bestätigte, dass die Kugel Lunge und Brustbein durchschlagen hatte. Dieser Tod heizte die Wut noch weiter an.

In derselben Nacht kündigte die Regierung einen „humanitären Konvoi“ an, um Hilfsgüter nach Imbabura zu bringen. Bei dem massiven militärischen Aufgebot, das den Konvoi begleitete, war dies jedoch keineswegs als Waffenstillstand anzusehen. Frühmorgens am 29. September kam es in mehreren Orten zu Auseinandersetzungen mit Demonstrierenden. Erst als der Konvoi in Ibarra ankam, gab die Regierung bekannt, wer sich an Bord befand: Präsident Daniel Noboa, die Minister für Inneres, Verteidigung und Regierungsführung Giancarlo Loffredo, John Reimberg und Zaida Rovira, dazu der Apostolische Nuntius Andrés Carrascosa, die EU-Botschafterin Yekaterina Doródnova, die UN-Koordinatorin in Ecuador, Laura Melo, sowie der italienische Botschafter Giovanni Davoli. Diese Delegation hatte sich in unverantwortlicher Weise in ein Gebiet begeben, in dem die Emotionen nach dem Tod eines Gemeindemitglieds hochschlugen.

Ausweitung des Protests und ein inszenierter Anschlag

Die übermäßige Gewaltanwendung, die Inhaftierung der „Zwölf von Otavalo“ und der Tod von Efraín Fuérez führten dazu, dass sich weitere gesellschaftliche Gruppen den Protesten anschlossen. In diesem angespannten Klima wurde während eines Besuchs Noboas in Cañar ein Angriff von angeblich mehr als 500 Personen auf seinen Fahrzeugkonvoi gemeldet. In einer international verbreiteten Meldung war von einem „Anschlag auf die Demokratie“ die Rede.

Diese Version wurde jedoch durch Videos aus der Bevölkerung widerlegt. Die geworfenen Gegenstände – Steine und Knüppel – hätten die gemeldeten Schäden an den gepanzerten Fahrzeugen gar nicht verursachen können. Die Aufnahmen zeigten außerdem, dass es nur eine kleine Gruppe war, die den Konvoi bewarf. Den endgültigen Beweis lieferte schließlich ein Foto, das sich in den sozialen Netzwerken rasant verbreitete: Darauf war zu sehen, wie Soldaten selbst die Scheiben eines der Panzerfahrzeuge einschlugen, das angeblich von Demonstrierenden angegriffen worden war. Damit bestätigte sich der Verdacht eines selbst inszenierten Anschlags, um die Repression zu legitimieren.

Unterdessen wiederholte sich in Quito und anderen Städten dasselbe Muster: Tränengasgranaten wurden in Wohngebieten, in der Nähe von Schulen und sogar auf Universitätsgeländen abgefeuert, wo Studierende in Solidarität mit den indigenen Gemeinden friedlich demonstrierten. Diese Bilder wurden nur in Basismedien und sozialen Netzwerken gezeigt. Die nationalen Fernsehsender berichteten allenfalls knapp über die Mobilisierungen und verbreiteten vor allem die falsche Version; ansonsten sendeten sie ihr reguläres Programm.

12. Oktober: Würde auf dem öffentlichen Platz

Ohne große Aufrufe zogen am 12. Oktober Tausende Kichwas aus Otavalo und Cotacachi in ihren schönsten Trachten auf die Straßen und die E35. Ihr Ziel war die Plaza Cívica, ein geschichtsträchtiger Ort. Jahrzehnte zuvor gab es dort die Praxis des sogenannten „Arranche“: Mit Unterstützung der Gemeindepolizei bezahlten die Mestizen den indigenen Händler*innen ungerecht niedrige Preise für ihre Waren. Mehr als fünfzig Jahre später füllten über zehntausend Menschen in der farbenprächtigen Kleidung der Kichwa diesen Platz. Es war ein Akt der Selbstbehauptung, des Stolzes und des kollektiven Gedächtnisses. Ein Moment, in dem sich Widerstand und Würde vereinten.

„Humanitäre Konvois“, die Waffen bringen

Am 13. Oktober versuchte ein weiterer militarisierter „humanitärer Konvoi“, den Vulkan Imbabura zu umfahren, um den Demonstrierenden auszuweichen. Trotz der Umleitung griffen die Streitkräfte Gemeinden im Hochland an, in denen vor allem ältere Menschen, Kinder und Jugendliche leben.

Am 14. Oktober eskalierte die Gewalt. Das militärische und polizeiliche Aufgebot war noch größer und das Tränengas erreichte die Wohngebiete. Ein Journalist wurde von einem Projektil getroffen und erst nach einiger Zeit medizinisch versorgt, denn das Krankenhaus von Otavalo wurde von Militärs bewacht, die Verletzte auf der Suche nach Hilfe festnahmen. Ein weiteres Todesopfer ist José Guamán aus dem Ort San Rafael de La Laguna im Kanton Otavalo. Er wurde in die Brust getroffen und starb auf dem Weg nach Quito im Hubschrauber.

Am 31. Tag der Demonstrationen wurden folgende Zahlen vermeldet: 391 Berichte von Menschenrechtsverletzungen, 473 Verletzte und drei Tote, darunter zwei in Imbabura und eine Frau in Saraguro, die vermutlich durch den übermäßigen Einsatz von Tränengas starb.

Der Protest wird neu ausgerichtet

Nach einem Monat ständiger Militarisierung mit Panzern auf den Straßen und Hubschraubern, die Tag und Nacht kreisten, war die Erschöpfung in der Bevölkerung offensichtlich. Es herrschten Unsicherheit und Angst. In dieser Situation erklärte CONAIE-Präsident Marlon Vargas, ohne Rücksprache mit den Basisorganisationen von Imbabura, die Blockaden für beendet. Diese Entscheidung wurde nicht gut aufgenommen. Dennoch beschlossen die Föderation der Indigenen und Bauern von Imbabura (FICI) sowie die Union der Indigenen Bauernorganisationen von Cotacachi (UNORCAC), den Widerstand zwar fortzusetzen, aber die Blockaden am 22. Oktober zu beenden. Mit einem symbolischen 14 Kilometer langen Marsch wurden Cotacachi und Otavalo verbunden. Dies war ein würdevoller Abschluss und zugleich eine Ehrung für die Verletzten, die Toten und die politischen Gefangenen. Während der Gedenkfeier für Efraín Fuérez in Pinsaquí feuerten Soldaten zwei Tränengasgranaten in die Menge; dabei trafen sie Kinder und ältere Menschen. Aber die Demonstrierenden nahmen sich trotzdem die Straße und kamen bis Otavalo durch, wo zum letzten Mal der Ruf „Noboa raus!“ zu hören war.

Ein wiederkehrendes Muster, ein geschwächter Präsident

Die Abschaffung der Dieselsubventionen war in Ecuador bereits mehrfach der Auslöser für soziale Unruhen, so etwa 2019 unter Lenín Moreno oder 2022 unter Guillermo Lasso. Die staatliche Reaktion fiel dieses Mal jedoch deutlich härter aus. Die Proteste wurden stärker kriminalisiert und mit Haftstrafen von bis zu 30 Jahren bedroht. Die Anklagen gegen die „12 von Otavalo“ laufen weiter, auch wenn elf der Verhafteten am 24. Oktober unter Auflagen freigelassen wurden. Hinzu kamen andere Strategien der Regierung, wie die Verlegung des Regierungssitzes nach Latacunga und eine auffallend hohe Reisetätigkeit des Präsidenten im Land, die im Kontrast zu der bisherigen Tendenz stand, das Land in Krisenzeiten zu verlassen.

Diese Lage wurde durch die tiefgreifende Uneinigkeit innerhalb der sozialen Basis noch verschärft. Viele Gruppen entschieden, sich den Protesten nicht anzuschließen. Sie argumentierten, es sei unmöglich, den Staat zu besiegen, und sie warfen einigen Führungspersonen vor, persönliche Vorteile aus den Protesten zu ziehen, ohne spürbare Verbesserungen für die Gemeinschaften herauszuholen. Dadurch blieben die Mobilisierungen in anderen Regionen des Landes vereinzelt und kurzlebig. Otavalo und die Kichwa-Gemeinden des Nordens waren mit ihrem Widerstand auf sich allein gestellt und sahen sich der gesamten Macht und Repression des Staates gegenüber.

Laut aktuellen Daten des Meinungsforschungsinstituts CB Consultora zeigt sich im August 2025 beim Image von Präsident Daniel Noboa ein klarer Abwärtstrend. Seine Zustimmungswerte liegen aktuell bei 46,8 Prozent, was einem Rückgang um 15,7 Prozent seit seinem Amtsantritt im Jahr 2023 entspricht. Es gibt noch keine Erhebungen zur öffentlichen Meinung nach den Mobilisierungen im September und Oktober. Noboas Verhalten während der Proteste hat jedoch – zusammen mit seinem Vorschlag einer Volksbefragung und einer verfassunggebenden Versammlung – tiefes Misstrauen in der Bevölkerung ausgelöst. Viele sehen darin den Versuch, alle staatlichen Gewalten zu konzentrieren. Die Enttäuschung spiegelte sich deutlich in den Stimmen wider, die während der 31 Tage der Proteste zu hören waren. Viele seiner Wähler*innen bereuen ihre Entscheidung für Noboa. Sie werfen dem Amtsinhaber Arroganz und eine nicht zu übersehende Unkenntnis der sozialen Realität des Landes vor.

Im Vorfeld der Volksbefragung am 16. November haben die indigenen Gemeinschaften von Imbabura ihre Haltung des Widerstands erneut bekräftigt. Sie kämpfen nicht nur gegen eine verfehlte Wirtschaftspolitik, sondern auch gegen eine Gesellschaft, in der der Rassismus zwar verschleiert, aber weiterhin präsent ist. Darum klingt ihr Ruf heute lauter denn je: „Kaypimi Kanchik“ – „Hier sind wir, und wir werden weiter Widerstand leisten.“

Übersetzung: Alix Arnold. Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus ila 490 Nov. 2025, hrsg. und mit freundlicher Genehmigung der Informationsstelle Lateinamerika in Bonn.

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