Lange habe ich gerätselt, warum der rechte Springer-Konzern, der seine Aufgabe schon immer darin gesehen hat, dass rechts von ihm “nur die Wand” stehen solle (analog zu Franz-Josef Strauss), und damit zuverlässig alle Bundesregierungen, ob mit oder ohne CDU-Führung, überwacht, den rechten Aktivisten Julian Reichelt gefeuert hat. Nun ist es raus. Er hat sich der Beihilfe zur Spionage durch Forschung und Wissenschaft schuldig gemacht. Der Profiteur dieser Beihilfe ist der prominente Medienwissenschaftler Volker Lilienthal.

Ihn habe ich vor Jahrzehnten als Referenten bei einer BAG Medien der Grünen persönlich erlebt. In meinen Augen ein Linksliberaler, der sich selbst allerdings strengen wissenschaftlichen Neutralitätsansprüchen unterwirft. Das führt dazu, dass er in manchem medienfachlichen Konfliktfall gerne mal als Gutachter genommen wird. Und solche Jobs in meinen Augen auch gut macht. Es gab eine Zeit, in der er gerne Chef des Grimme-Instituts geworden wäre. Ob es dem Institut besser bekommen wäre, als die Lage, in der es jetzt ist? Spekulation. In meinen Augen liegt die Hauptverantwortung dafür bei der NRW-Landesregierung und dem WDR.

Lilienthal und sein Forschungsteam haben mit offenem Einverständnis der Reichelt-Chefredaktion das Innenleben der sog. “Zeitung” Bild untersucht. Sie machten das, was der den Springerkonzern traumatisierende Günter Wallraff in den 70ern nur geheim undercover machen konnte. Wie konnte das passieren?

Lilienthal beschreibt selbst, dass er Reichelt 2019 bei zwei kontroversen Podiumsdiskussionen getroffen habe. Wie üblich sei mann danach ins Gespräch gekommen, und ihm sei es gelungen, von Reichelt die nötigen Zusagen für eine wissenschaftliche Forschung über Bild-Interna zu bekommen. Mein Tipp: Herr Reichelt stolperte hier strategisch über seine eigene Eitelkeit. Das soll bei Männern ja nicht selten vorkommen …

Und das ist dabei rausgekommen:

‘Ein Jahr des Chaos’: Die trimediale Diversifizierung von Bild (2020-2023) – Eine Fallstudie zum Misslingen von Innovation”

Für mich liest sich dieses Werk wie ein Medienkrimi, ungleich spannender weil substanzieller, als das, was Wallraff seinerzeit herausfinden konnte. Die Stelle, wieviele Euros Kapital der Springerkonzern dabei verbrannt hat, habe ich beim kursorischen Überfliegen noch nicht gefunden …

Soll mann sich dafür bei Reichelt bedanken? Nein danke. Aber danke Volker Lilienthal, gute Arbeit. Lehrreich für all die Medien, die sich mitten im lebensrettenden Transformationsprozess befinden. Und die Organisationssoziologie wird sich ebenfalls bedanken müssen.

Für uns Linke und Liberale hält die Studie ebenfalls Trost bereit. Nicht nur wir sind so doof, die Rechten auch.

Über Martin Böttger:

Avatar-FotoMartin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger