Beueler-Extradienst

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Armes reiches Land

Wie soziale Ungerechtigkeit unsere Demokratie vergiftet und 
was wir dagegen tun können
 (Düsseldorf, 27. August 2024)

Die Initiative „Weitblick – Forum für Frieden Demokratie Gerechtigkeit“ und das „zentrum plus“ Flingern Düsseltal der Diakonie Düsseldorf luden ein, Christoph Butterwegges Vortrag zu hören und anschließend zu diskutieren. Gut siebzig meist ältere Menschen kamen an diesem heißen Sommerabend im August und füllten den großen Saal ansehnlich. Für die Initiative wurde deren sechste öffentliche Veranstaltung die am besten besuchte.

Der bundesweit anerkannte Ungleichheitsforscher, der von 1998 bis 2016 als Professor an der Universität zu Köln lehrte, berichtete, wie er über ein Projekt zur Kinderarmut auf das Thema der Ungleichheit in unserem Land gestoßen wurde: Armut auf der einen Seite bedeute immer auch Reichtum auf der anderen. Wichtig für seine Forschung wurde ihm die klare Unterscheidung zwischen Einkommen und Vermögen, wobei letzteres für die Spaltung in arm und reich der gewichtigere Faktor sei.

Die Ungleichheit in unserem Land habe sich während der letzten Jahrzehnte infolge politischer Entscheidungen und Regelungen zugunsten der ohnehin schon Reichen verstärkt. Es entstand ein Niedriglohnsektor, der seinesgleichen in Europa nicht findet und für den sich Ex-Bundeskanzler Schröder sogar öffentlich gelobt habe. Diese Deregulierung des Arbeitsmarktes schwächte gleichzeitig die Gewerkschaften. Die parallel dazu vorangetriebene Demontage des Sozialstaats vertiefte die Kluft zwischen arm und reich ebenso wie eine destruktive Steuerpolitik, die die Reichen begünstigte und den Armen weitere Lasten auferlegte (z.B. durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer).

Eine der Folgen dieser sozial ungerechten Maßnahmen wurde in Politik und Medien anfänglich als „Politikverdrossenheit“ kritisiert und werde aktuell als demokratiegefährdender Zulauf zu AfD und BSW skandalisiert. Offensichtlich ist: Arme Menschen gehen weniger zu den Wahlen, in den Mittelschichten wächst die Angst vor dem sozialen Abstieg; der Einfluss reicher Menschen auf politische Entscheidungen werde immer offenkundiger. Demokratische Abläufe und Prozesse sähen anders aus.

Was ist dagegen zu tun? Was stoppt diese Entwicklung und kehrt diese bestenfalls um? Christoph Butterwegge hält es für notwendig, politische Entscheidungen zu treffen und konsequent durchzuführen, die zu sicheren Arbeitsplätzen mit guten Tariflöhnen führen, die also die Deregulierung des Arbeitsmarkts rückgängig machen; zweitens sei eine Stärkung des Sozialstaats erforderlich und drittens müsse eine Steuerpolitik angewendet werden, die tauglich dafür sei, die großen Vermögen zur Bekämpfung und Überwindung der Kluft zwischen arm und reich wirksam heranzuziehen.

In der Diskussion standen Fragen nach einzelnen Maßnahmen sowie nach den Erfolgsaussichten für die notwendige politische Umorientierung im Vordergrund. Zum Engagement jeder und jedes Einzelnen gebe es keine Alternative. Wer nichts tue, habe schon verloren. Teilnehmende wiesen darauf hin, dass das auch für die bundesrepublikanische Realität gelte, in der die wichtigen Medien wenig Interesse am Thema sozialer Gerechtigkeit zeigen, weil deren Besitzerinnen und Besitzer zu den reichsten Menschen des Landes zählen. Und leider finden wir die Gewerkschaften bei dieser wichtigen gesellschaftlichen Debatte nicht in vorderster Position, weil ihr Schwerpunkt auf der Vertretung tariflich gebundener Arbeitsplätze liegt.

Ob denn nicht mehr Bildung für die benachteiligten gesellschaftlichen Gruppen ein zentraler Hebel hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit sein könne? Das sieht Christoph Butterwegge, ähnlich wie karitative Vorschläge, eher umgekehrt: Die oder der Einzelne sei nicht verantwortlich für Missstände und könne deshalb diese eben auch nicht durch individuelles Handeln überwinden. Erst wenn durch politischen Rahmensetzungen für mehr soziale Gerechtigkeit gesorgt werde, könnten die gesellschaftlichen Probleme wie Bildungsungleichheit, wachsende Kinder- und Altersarmut überwunden werden.

Die Moderatorin des Abends beendete die interessante und lebhafte Veranstaltung mit einem Zitat aus dem Buch „Umverteilung des Reichtums“ von Christoph Butterwegge:

„Die wirksamste Garantie für das Fortbestehen der sozioökonomischen Ungleichheit ist die Gleichgültigkeit der Bevölkerungsmehrheit. Sie zu durchbrechen muss deshalb die wichtigste Aufgabe ihrer Kritiker/innen sein. (S. 131)“

Die Initiative „Weitblick“ wird ihr Engagement in diesem Sinne fortsetzen.

Über Gert Samuel:

Unter der Kennung "Gastautor:innen" fassen wir die unterschiedlichsten Beiträge externer Quellen zusammen, die wir dankbar im Beueler-Extradienst (wieder-)veröffentlichen dürfen. Die Autor*innen, Quellen und ggf. Lizenzen sind, soweit bekannt, jeweils im Beitrag vermerkt und/oder verlinkt.

Ein Kommentar

  1. Hans-Jürgen Wertens

    für mich, als Praktiker, war der Abend eine große Enttäuschung – ich habe mich selber getäuscht, was kann man von einem Theoretiker erwarten?
    Für mich fehlten die nächsten kleinen Schritte, die fällig sind- überfällig sind, um in der Gesellschaft eine Bewusstseins Änderung einzuläuten und dauerhaft zu erreichen. So tönte es nach Tagen bei mir nach: Heute Morgen im Aufwachen kam die Botschaft: ein alter müder Traumtänzer, der seinen Vortrag wie an der Uni vor seinen Studenten abspulte. Nur einige kurze Augenblicke wurde er ganz lebendig und sein altes Feuer wurde sichtbar.
    Sicher ist es gut, wenn einige sich Gedanken machen über eine gerechtere Verteilung, jedoch muß es
    a) nicht nur einseitig auf Materie (Geld) und verkopfte Bildung ausgerichtet sein.
    b) alle Konsequenzen in der Praxis müssen gut durchdacht werden, denn er hat nur alte Vorgehensweisen aus der Mottenkiste der Soziallisten und Kommunisten herausgeholt und populistisch angepasst und aufbereitet : den Reichen in einer Umverteilung das Geld wegnehmen.
    Das ist in der Vergangenheit bereits schief gegangen und er hat nicht die wirtschaftlichen Konsequenzen bedacht. Ein Großteil der deutschen Industrie & Handel arbeitet mit beträchtlichen Summen von ausländischem Geld, diese Investoren haben großes Vertrauen in Deutschland, weil das Hab & Gut in unserem Land gut geschützt ist. Würde sein Traum in Erfüllung gehen, würde aus dem reichen armen Land, ein armes armes Land; denn das Kapital ist scheu wie ein Reh und es fließt in Nullkommanichts an andere arme reiche Länder.

    Resümee:   Wenn man einen Spagat zwischen Himmel und Erde macht, sollte man sicherheitshalber zu mindestens das Standbein auf der Erde schleifen lassen. Dann ist der Aufprall nicht so schmerzhaft.

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