Warum eine Kritik an Ceviche und Co. ganz Peru empört
Anticucho, Ceviche, gegrillte Meerschweinchen und ein Glas Chicha aus lila Mais – die peruanische Küche bietet eine beeindruckende Vielfalt an Gerichten in allen Farben, Formen und Geschmacksrichtungen. Kein Wunder, dass die meisten Peruaner*innen mächtig stolz darauf sind. Bei über 2500 Kartoffelsorten, rund 50 verschiedenen Maissorten und einzigartigen Früchten wie der Gurkenmelone könnte man meinen, dass wirklich für alle etwas dabei ist. Aber was, wenn einem die peruanische Küche einfach nicht schmeckt? Wenn sie einem schwer im Magen liegt, wenig gesund oder gar als kulinarisches Durcheinander erscheint: viele Zutaten, die einzeln zwar überzeugen, zusammen jedoch nicht harmonieren?
Vielleicht gerade wegen ihrer farbenfrohen Vielfalt scheint Kritik an der peruanischen Küche fast tabu. Immerhin gilt die peruanische Gastronomie inzwischen als kulinarisches Aushängeschild Lateinamerikas. Internationale Köch*innen pilgern nach Lima, um von renommierten Küchenchefs zu lernen. Kochschulen boomen, Restaurants sammeln weltweit Auszeichnungen. Tourist*innen stehen vor dem „Central“ Schlange, einem der besten Restaurants der Welt, um den Abend mit Ceviche und ein, zwei aufgeschäumten Pisco Sour ausklingen zu lassen.
Die Vielfalt der peruanischen Küche ist Ergebnis einer langen Geschichte kultureller Vermischung. Präkolumbianische Traditionen verschmolzen über Jahrhunderte mit spanischen, arabischen, afrikanischen, chinesischen, japanischen, italienischen und französischen Einflüssen. Hinzu kommt Perus enorme geografische und biologische Vielfalt. Ein über 2400 Kilometer langer Küstenstreifen eröffnet den Zugang zu den Weiten des Pazifiks. Die Andenkordillere durchzieht das Land wie seine Wirbelsäule, während sich über den gesamten Osten ein dichtes Regenwaldgebiet erstreckt. Die daraus hervorgegangene Flora und Fauna machen Peru selbst ohne äußere kulturelle Einflüsse zu einer wahren Schatzkammer an Zutaten. Trotz dieses natürlichen und kulturellen Reichtums rückte die peruanische Küche erst in den vergangenen zehn bis 15 Jahren verstärkt ins internationale Rampenlicht. Ein entscheidender Impuls war die Gründung der Gastronomievereinigung APEGA im Jahr 2007. Ziel der Vereinigung ist es, dass die peruanische Küche zur Grundlage der kulturellen Identität und als Faktor für wirtschaftliche Entwicklung und Wohlstand für alle Peruaner*innen gefördert wird. Unter der Leitung renommierter Spitzenköche wie Gastón Acurio und Bernardo Roca Rey entwickelte sich die einstige Alltagsküche zu einem neuen Symbol nationaler Identität – mit wachsender gesellschaftlicher und politischer Strahlkraft.
Wenn Kritik nicht schmeckt
Der kulinarische Aufstieg wurde schnell zur nationalen Erzählung. Man kann sich vorstellen, was passiert, wenn sie plötzlich infrage gestellt wird. Der peruanische Schriftsteller Iván Thays tat genau das und löste vor über zehn Jahren eine landesweite Debatte aus. In seinem 2012 veröffentlichten Blogartikel auf Vano Oficio, dem Blog der spanischen Zeitung El País, bezeichnete er die peruanische Küche als „unverdaulich und wenig gesund“, als eine „Kohlenhydratbombe hoch drei“, die jede*r Ernährungsexpert*in verbieten müsste. Ein Frontalangriff auf das kulinarische Selbstbild einer Nation! Die Reaktionen in Peru? Heftig. Thays wurde als Vaterlandsverräter beschimpft, als mittelmäßig, antiperuanisch und als gescheitert. Für viele war es nicht nur die Kritik selbst, die empörte, sondern auch der Ort ihrer Veröffentlichung, ausgerechnet in einer spanischen Zeitung, also im ehemaligen Kolonialzentrum! Für nicht wenige potenzierte das die Kränkung zu einem doppelten Verrat. Einige hielten Thays gar für einen Spanier; ihrer Meinung nach konnte ein wahrer Peruaner die eigene Küche nicht derart bloßstellen. Für viele Peruaner*innen ist die Küche weit mehr als bloße Geschmackssache, sie steht für Geschichte, Herkunft, Gemeinschaft. In einem Land, das seit Jahrzehnten mit sozialer Ungleichheit und kolonialem Erbe zu kämpfen hat, wurde die Gastronomie zum greifbaren Ausdruck von Stolz und Einheit. Wer sie angreift, trifft nicht nur Zutaten auf dem Teller, sondern Identität im Kern.
Wenn Nationalstolz ausgrenzt und Anerkennung zur Ersatzhandlung wird
Für Thays liegt genau hier das Problem, in der scheinbaren nationalen Einheit, hervorgerufen durch die Besinnung auf die eigene Nationalküche. Sie laße kaum Raum für Widerspruch. Wer das Essen kritisiere, stelle nicht einfach einen Geschmack infrage, sondern werde schnell als Gegner der Nation wahrgenommen. Die mediale Empörung und das persönliche Mobbing, das ihm nach seinen undiplomatischen Äußerungen entgegenschlugen, wertete er als Beleg dafür, dass der vielbeschworene gastronomische Boom keineswegs das verbindende Element war, als das er dargestellt wurde. Im Gegenteil, für ihn wirkte der kulinarische Nationalstolz als ein ausgrenzender Mechanismus, der die hässlichsten Seiten des Nationalismus hervortreten ließ. In seinem Blog beschreibt er, wie dieser Stolz Reaktionen von Intoleranz, Machismus, Homophobie und Chauvinismus mobilisierte, Symptome eines tieferliegenden gesellschaftlichen Problems.
Thays sah in den heftigen Reaktionen auf seine wenig sensible Kritik weniger eine nach innen gerichtete kulinarische Leidenschaft als vielmehr politisches Kalkül. Und er verwies auf eine weitere Ebene der Inszenierung, die staatlich orchestrierte Imagebildung nach außen rund um die peruanische Küche. In einem Land, das in der Vergangenheit international eher mit Korruption und politischer Instabilität als mit kulturellem Erfolg assoziiert wurde, sollte die Gastronomie ein neues, positives Außenbild erzeugen. Im Rahmen der staatlichen Tourismus- und Imagekampagne Marca Perú ab 2011 wurde sie gezielt als Aushängeschild inszeniert.
Der erste Werbeslogan brachte es auf den Punkt: „Ihr seid Peru!“ und: „Ihr habt ein Recht darauf, lecker zu essen!“. Damit war der erste Schritt zur Vermarktung der peruanischen Küche gemacht. Für Thays verweist diese Inszenierung auf ein tieferes Bedürfnis, jenes nach Anerkennung von außen. Der nationale Stolz, so seine Kritik, entstehe weniger aus gelebter Überzeugung als aus dem Wunsch, ein attraktives, konsumierbares Peru für den Blick der Welt zu schaffen. Der Stolz auf die peruanische Küche erschien ihm also weniger als Ausdruck kollektiver Identität, sondern eher als Ersatzhandlung, als ein Versuch, sich über internationale Anerkennung kulturell aufzuwerten, während grundlegende Fragen zur nationalen Selbstverortung ungelöst blieben. Wird dieses Selbstbild infrage gestellt, ob von innen oder außen, gilt das schnell als Angriff auf das Land selbst.
Letztendlich doch nur eine Frage des Geschmacks
Gerade weil die peruanische Küche zum Symbol nationaler Identität geworden ist, traf Thays’ Kritik vor mehr als zehn Jahren einen empfindlichen Nerv. Wer heute durch Peru reist, spürt schnell die Bedeutung der Kulinarik für das Land. In fast jedem Gespräch fällt früher oder später der Satz, Peru habe die beste Küche der Welt und die Vielfalt an Gerichten sei unerschöpflich. Doch was passiert, wenn man sich durchprobiert hat und einfach nicht mitjubeln kann? Wenn der eigene Gaumen kein Geschmackserlebnis erfährt, sondern die Inca Kola zu süß, das Rocoto Relleno zu scharf und die Mahlzeiten oft zu fettig erscheinen? Wenn man als Vegetarier*in durchs Land reist und immer wieder erklären muss, dass man auch kein Hühnchen isst und sich nach zwei Wochen einfach nur noch nach Reis mit Gemüse sehnt? Vielleicht ist das gar nicht so schlimm. Vielleicht darf man eine fremde Küche respektieren, ohne sie zu lieben. Und vielleicht ist es für Außenstehende am Ende tatsächlich nur eine Frage des Geschmacks.
Mehr zur Debatte um Iván Thays und seine Kritik an der peruanischen Küche gibt es in der spanischsprachigen Podcastfolge „Contra la gastronomía peruana“ des Podcasts Radio Ambulante, Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus ila 487 Juli/Aug. 2025, hrsg. und mit freundlicher Genehmigung der Informationsstelle Lateinamerika in Bonn.
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