Von Peru bis Argentinien

Über 9000 Kilometer Distanz – und doch kann man in Bonn lateinamerikanische Küche finden. Authentische, darauf bestehen die Besitzer*innen. Was es mit der Authentizität auf sich hat, erprobten die ila-Redakteurinnen Caro und Laura im Selbstversuch. Spoiler: die meisten „lateinamerikanischen“ Restaurants verkaufen schlicht Pizza und Pasta. Ist das weniger authentisch? Vier Restaurantbesuche.

Der Marktplatz ist nicht nur der zentrale Platz der Stadt, dort gibt es auch täglich außer sonntags einen Obst- und Gemüsemarkt und viele lokale und internationale Foodtrucks. Jeden Mittwoch weht dort unübersehbar die peruanische Flagge. Unter einem großen selbstbewussten „Perú“ steht der Name „Deputamare“. Das bedeutet in Peru unter anderem fantastisch, unvergleichlich, genial. Mit diesem Namen gründeten die Brüder Raúl und Edwin Palomino 2011 ein Restaurant in Bonn, das sie während der Covid-Pandemie schließen mussten. Schon vorher waren sie auf Stadtfesten und anderen Events mit einem Foodtruck unterwegs. Den haben sie zum Glück behalten und stehen jetzt unter anderem jeden Mittwoch auf dem Marktplatz. Dort werden allerlei peruanische Köstlichkeiten angeboten wie anticuchos (hergestellt aus den Herzen deutscher Kühe), camote frito, pan con chancho, salchipapas mit diversen Saucen nach eigenen, patentierten Rezepten, alfajores, chicha morada (aus Spanien und Italien importiert), tamales und andere typisch peruanische Gerichte. Jeden Tag gibt es ein wechselndes Tagesgericht. Laura probierte eine empanada de queso, eine mit Käse gefüllte Teigtasche. Caro bestellte eine super gekühlte Inca Kola. Das knallgelbe und pappsüße Sprudelgetränk ist die meistkonsumierte Limo Perus. Weil Coca-Cola sie dort nicht vom Markt drängen konnte, hat das Unternehmen die Marke schlicht gekauft.

Tacos mexicanos

Direkt hinter Deputamare steht täglich der Foodtruck „Tacos mexican streetfood“. Dieses Unternehmen wurde 2024 nicht von Mexikaner*innen, sondern von einem jungen deutschen Paar nach einer Mexikoreise gegründet, erzählt uns Chiara Stark. Sie waren so begeistert von den mexikanischen Aromen, dass sie jetzt Tacos aus Mais und Guacamole mit ihren eigenen Würzmischungen servieren. Die importieren sie direkt aus Mexiko.

Allein im Bonner Stadtzentrum gibt es drei mexikanische Restaurants, eines davon schließt bald, das andere gehört zu einer US-Kette. Die Erwartung, dass die Inhaber*innen aus Mexiko stammen oder dorthin eine emotionale Verbindung haben (oder wenigstens typisch mexikanische Gerichte serviert werden), erfüllte sich auch bei dem dritten nicht. Der Inhaber ist Italiener, es gab eher internationale Gerichte. Wir fragen uns: Was bedeutet eigentlich „authentisch lateinamerikanische Küche“? Spielen dabei die Herkunft der Inhaber und der Crew eine Rolle oder geht es um das Essen, die Zutaten, die Zubereitungsart oder eher die Dekoration und das Ambiente? Wer entscheidet das? Und ist es eine moralische Frage, wer ein „authentisches“ Restaurant führen darf?

Buena vida Havanna

In Poppelsdorf empfängt uns das in den 1990er-Jahren gegründete „Havanna“, nein, das „Buena Vida Havanna“, wie der Eigentümer Salah Checo unterstreicht. Schließlich hat er sich viel Mühe gegeben, genau dieses Lebensgefühl, das Gute Leben, mit der entsprechenden Ausstattung und Dekoration des Lokals zu fördern. Er möchte „lateinamerikanische Leichtigkeit und Lebensfreude” bei seinen Gästen erzeugen. An den Wänden hängen Fotos und Plakate aus Kuba und es gibt nur Musik aus Lateinamerika. Besonders gut gehen die klassischen Cocktails Caipirinha, Mojito und Cuba Libre. Die Küche hingegen ist nicht kubanisch, sondern italienisch und indisch. Zur Crew gehören mehrere Lateinamerikaner und einige Gäste sprechen direkt Spanisch, wenn sie das Lokal betreten.

Argentinische Steaks

Fast gegenüber befindet sich das etwa gleichalte argentinische Restaurant „Tarascón“, für das man einige Stufen nach unten steigen muss. Das Tarascón ist stolz darauf, authentische argentinische Küche zu bieten. Um diese Tradition zu bewahren, werden die Rezepte der argentinischen Ex-Schwiegereltern des gegenwärtigen Inhabers sorgfältig gehütet. Vor allem aber steht ein Parrillero (Grillkoch) am Feuer, der seit Jahrzehnten das Fleisch zubereitet. Zudem wird großer Wert darauf gelegt, dass das Fleisch und die Kohle für den Grill direkt aus Argentinien importiert werden, um einen möglichst originalen Geschmack anbieten zu können. Neben der authentischen Küche („Ich bin viel in Argentinien, unser Churrasco kann mit den besten Häusern dort mithalten“, erzählt der Eigentümer Vicenzo Siciliano stolz) spielen auch hier Einrichtung und Ambiente eine große Rolle, um den Gästen ein Stück Argentinien zu bieten. Der Raum ist in verschiedene thematische Ecken aufgeteilt: Tango mit großen Fotos von Carlos Gardel, ein Gaucho, Che Guevara und natürlich Fußball. In der letzten Sitzecke hängen Fotos bekannter argentinischer Fußballmannschaften und Spieler an der Wand, besonders stolz ist man auf ein originales Trikot mit Signatur von Lionel Messi. Essen und Fußball, beide erzeugen ein Zugehörigkeitsgefühl, schaffen eine kollektive Identität. Deshalb ist es wenig überraschend, dass auch die Eigentümer von Deputamare im Jahr 2002, schon bevor sie ihr Restaurant eröffneten, einen eigenen Fußballclub in Bonn gegründet hatten, „Arriba Perú e.V.“. Er existiert bis heute und tritt mit mehreren Mannschaften in der Kreisliga Bonn an.

Auch das argentinische Restaurant musste wie Deputamare während der Pandemie herbe Rückschläge einstecken. Bis heute fehlt seitdem das Personal, weshalb die Öffnungszeiten reduziert werden mussten. Immer weniger Menschen möchten bis tief in die Nacht und am Wochenende arbeiten und die Arbeit zerstört das Familienleben. Bei Deputamare sagen die Eigentümer heute, die Pandemie habe ihnen die Augen geöffnet, weil ihnen bewusst geworden sei, wie sehr sie durch das Restaurant ihre Familien vernachlässigt hätten.

Eigentlich wollten wir noch weitere lateinamerikanische Restaurants aufsuchen, mussten aber feststellen, dass in Bonn in den letzten Jahren viele davon verschwunden sind, stattdessen gibt es immer mehr spanische, italienische und asiatische Restaurants. Ein kleines Trostpflaster: Einer der Schnellimbisse am Friedensplatz bietet seit letztem Jahr argentinische Empanadas an.

Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus ila 487, Juli/Aug. 2025, hrsg. und mit freundlicher Genehmigung der Informationsstelle Lateinamerika in Bonn.

Über Carolina Garay Laura Held Informationsstelle Lateinamerika:

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