Es wird wieder eine neue, aber alte Sau durchs Dorf getrieben. Allen engagierten Freiheitsliebenden ist in den letzten Tagen das Wort „Chatkontrolle“ um die Ohren geflogen. Das ist auch wirklich schrecklich. Da melden sich die zu Worte, deren WhatsApp-Account mit Aufrufen, etwas dagegen zu tun, geradezu überläuft. Nur sehe ich das Problem nicht.

Mein Lieblingsmessenger Signal ist auch betroffen, die wollen sich glatt aus Europa zurückziehen, weil es ihnen Magenschmerzen bereitet, dass staatliche Hintertüren jedwede private Kommunikation aushöhlen, komplett, sagt Signal-Präsidentin Meredith Whittaker. Selbst die Tagesschau berichtet darüber.

Da muss protestiert werden, um die Chatkontrolle zu verhindern. Allen voran grüne Politiker im EU-Parlament bieten die Stirn! Organisieren eine Videokonferenz mit der Signal-Führung, in englischer und deutscher Sprache. Alexandra Geese, unsere EU-Grüne hat das Stelldichein angerichtet. Prima, klicke ich auf den Link und was kommt? Ich soll mich bei Zoom mit Namen, Adresse und Mail registrieren, um daran teilzunehmen.

Ja, würde ich auch so machen, dann kann ich vielleicht Diesel tanken, weil ich denke, das Verbrenner-Aus gilt nur für Benziner, obwohl ich ein E-Auto fahre. Soviel gesellschaftspolitische IT-Kompetenz ist doch immer wieder rührend.

Was gerne in dem Zusammenhang übersehen wird, welcher Aufwand getrieben werden muss, um die Totalüberwachung zu realisieren. Nur auf WhatsApp werden allein in Deutschland täglich rund drei Milliarden Nachrichten verschickt, die anderen Messenger und eMails nicht gerechnet. Den ganzen Buchstabensalat zu durchforsten ist eine Herkulesaufgabe, egal wie schlau die KI dazu wäre. Auf Unstatistik, eine Seite vom Informationsdienst Wissenschaft (idw) wird vorgerechnet, was es bedeutet, wenn die EU-Wunschvorstellung 99.9 Prozent erreicht wird und als harmlos aussortiert wird.

Es bleiben immer noch satte 3 Millionen Nachrichten pro Tag, die bewertet werden müssen, ob sie unangemessene Inhalte transportieren. Aber diese drei Millionen gefilterten Nachrichten täglich – von drei Milliarden insgesamt – werden nicht von perversen Kinderfreunden verschickt, sondern die meisten Nachrichten sind schlichtweg falsch-positiv und müssen nochmals geprüft werden. Übrig bleibt ein Bodensatz von 0,0001 Prozent, die tatsächlich zum Bombenbau oder anderen strafbewehrten Inhalten Auskunft geben. Also täglich rund 3000 Nachrichten wären tatsächlich betroffen, die – wenn wirklich alles perfekt läuft – strafrechtliche Maßnahmen nach sich ziehen könnten.

Festzuhalten bleibt: Wir brauchen riesige Rechenzentren, die Abermilliarden Nachrichten täglich mit einer noch zu erschaffenden KI aufbereitet werden. Zusätzlich braucht es ein Management für Millionen von falsch-positiven Ergebnissen, um gegen Ende in mikroskopisch kleiner Menge ein paar Hasardeure zu erwischen. Und das: täglich! Das ist nicht nur nackte Geld-, sondern auch Energieverschwendung.

Außerdem wird diese mikroskopisch kleine Menge perverser Krimineller nach kurzer Zeit fast verschwinden, denn wer weiß, dass er überwacht wird, sucht sich andere Kommunikationswege. Um die wiederum zu finden, ist was notwendig? Ich denke das Stichwort „konventionelle Polizeiarbeit“ beschreibt es ausreichend.

Wenn Signal sich gezwungen sieht, aufgrund dieses grenzenlosen Wahnsinns, in Europa seine Dienste nicht mehr anzubieten, haben wir immer noch, Tadah: WhatsApp, die sind ethisch-moralisch flexibel genug, um die Quartalsbilanzen nicht zu gefährden.

Sollte die Chatkontrolle wirklich kommen, dann wird sie an sich selbst ersticken. Vorsorglich könnten wir bei der Gematik (das sind die Digitalakrobaten aus dem Gesundheitswesen) die TOP-Kräfte abwerben. Wir locken sie mit dem Argument, dass zur Chatkontrolle Datenschutz und Sicherheit keine Rolle spielen. Den Rest vergeigen sie nach bekannten Mustern.

Über Christian Wolf:

Avatar-FotoChristian Wolf (M.A.) ist Autor, Filmschaffender, Medienberater, ext. Datenschutzbeauftragter. Geisteswissenschaftliches Studium (Publizistik, Kulturanthropologie, Geographie), freie Tätigkeiten Fernsehen (RTL, WDR etc.) mit Abstechern in Krisengebiete, Bundestag Bonn und Berlin, Dozent DW Berlin (FS), Industriefilme (Würth, Aral u.v.m), wissenschaftliche und künstlerische Filmprojekte, Projekte zur Netzwerksicherheit, Cloudlösungen. Keine Internetpräsenz, ein Bug? Nein, Feature. (Digtalpurist)