Diese Frage beantwortet sich u.U. bei genauerer Lektüre dieses Handelsblatt-Textes vom 30.7. von Jörg Hackhausen und Jan Mallien – keine Ahnung, ob man sich deren Namen noch merken muss.

Die Herren haben wohl die Hoffnung aufgegeben, dass das russische Volk sich Putins entledigt, weil es sich Meinungsumfragen zufolge insbesondere in der Ukraine-Krise eher hinter ihm als gegen ihn versammelt. Darum zielen die Sanktionen “auf das Vermögen der schwerreichen Oligarchen ab – in der Hoffnung, dass diese aufbegehren und dem Kreml ihre Gefolgschaft verweigern”. Aus so einer Formulierung spricht die standhafte Weigerung, irgendetwas aus den  politischen Prozessen in Russland lernen zu wollen. Denn wenn man aus der komplexen Chodorkowski-Affäre eine Lehre ziehen konnte, dann, dass Putin sich kein schöneres Geschenk wünschen kann, als Oligarchen, die ihm “ihre Gefolgschaft verweigern”.

Oligarchen, und das spricht für das Analysevermögen der Mehrheit der russsischen Bevölkerung, ist ein Synonym für Diebe, Räuber, Mafiosi. Die Musterbiografie eines solchen begann im Jugendverband der KPdSU, als er früher als andere Wind von der Privatisierungswut der volkswirtschaftlichen Ressourcen bekam, und sie sich für billiges Geld unter den Nagel riss. Der Preis war so niedrig und der Wert so hoch, dass man so Milliardär werden konnte. Mit Marktwirtschaft, Fairness oder gar Demokratie hatte das nichts zu tun. Und das weiss in Russland jede/r, selbstverständlich auch Putin und die Oligarchen selbst. Dem Handelsblatt sollte es mal jemand mitteilen. Dass Putin dieses wilde Treiben der Jelzin-Zeit bremste und unter Kontrolle nahm – freilich ohne es umzukehren oder umstürzen zu wollen – war und ist die Wurzel seiner Popularität und seiner Wahlsiege.

Kabarettistisch wirkt der Hinweis des Handelsblattes auf den britischen Premier Cameron, Ziel der Sanktionen sollten “‘die Kumpane und Oligarchen’ im Umfeld Putins sein”. Das kann Mr. Cameron einfacher haben, indem er einfach in seiner Hauptstadt ein paar Häuserblocks weiter geht und deren dort steuergünstig gewaschenes Geld beschlagnahmt. Dafür braucht es keine Sanktionen gegen andere.

Dann erklärt das Handelsblatt: “Die sogenannten Oligarchen und Superreiche machen in Russland nicht mehr als zwei Prozent der Bevölkerung aus, kontrollieren aber den größten Teil der Wirtschaft.” Sieh an, wieviele Ähnlichkeiten es dort mit “uns” gibt!

Der “reichste Russe” Usmanov soll seit Jahresanfang 2,5 seiner 18 Mrd. Dollar Vermögen verloren haben. Das wird ihm “nicht gefallen”. Er besitze u.a. den Fußballverein Arsenal London, ist also Arbeitgeber unserer Weltmeister Özil, Mertesacker, Podolski und vielleicht demnächst Khedira und fliege einen privaten Airbus A340. Der “reichste Russe” ist also bestens im Westbusiness eingebettet. So what? Das Handelsblatt zählt weitere Oligarchen auf, die schon 1,9 bis 2,7 Mrd. Dollar verloren hätten. Echt bitter. Nur Roman Abramowitsch, im Nebenberuf russischer Provinzgouverneur, Besitzer des Fußballclubs Chelsea London, habe seine Verluste bisher auf 90 Mio. Dollar begrenzen können. Wie hat er das bloss gemacht?

Die Antwort gibt das Handelsblatt dann selbst: “Die Ukraine-Krise hat eine massive Kapitalflucht aus Russland ausgelöst. Einerseits bringen die Oligarchen einen Teil ihres Vermögens in Sicherheit.” Fragt sich nur, wie sie ihre Gefolgschaft verweigern sollen, wenn sie ihren Patriotismus mit Kapitalflucht dokumentieren.

Vielleicht wäre es doch klüger, die russische Bevölkerung von irgendeinem “westlichen Wert” zu überzeugen. Doch welcher könnte das sein?

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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