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Merkel oder was? (KK II)

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung, sonst das Zentralorgan des organisierten Kapitalismus und so nahe an der Kanzlerin wie keine andere Zeitung im Land, ist ebenso verunsichert wie viele andere Beobachter des Geschehens in der Hauptstadt. Seit Wochen hört man nichts von Angela Merkel zur Kanzlerkandidatur. Inzwischen wird sie sogar von Politikern genau der CSU zur Kandidatur aufgefordert, die sie noch vor einem Jahr auf ihrem Parteitag für ihre rechtsstaatliche Haltung in populistischer Manier vorgeführt und zu demütigen versucht hat. Merkel aber bleibt stumm, gibt kein Zeichen.

Je länger Merkel wartet, desto unangefochtener ist sie und erleichterter wären auch ihre Kritiker, wenn sie dann ja sagt. – Taktik? Zuzutrauen wäre es ihr. Auf diesem Weg könnte sie zweifellos genau die Nörgler zum Schweigen bringen, die sie seit eineinhalb Jahren nerven, allen voran CSU-Chef Seehofer, dessen sinkenden Stern sie damit beschleunigen könnte. Denn was dieser vor einem Jahr vor dem CSU-Parteitag mit ihr abgezogen hat, war eine Unverschämtheit erster Güte. Der bis heute keine Entschuldigung gefolgt ist, weshalb die Abwesenheit der Bundeskanzlerin vom CSU-Parteitag die notwendige und angemessene Konsequenz war. Dass seine Partei damit zu einer marginalen Regionalkraft werden könnte, hat Seehofer nur noch nicht kapiert.

Aber zurück zu Merkels Kandidatur: Es könnte sich also um eine geschickte Machttaktik handeln, wie man es von ihr kennt. Andererseits ist sie „Ossa“ und denen sind eben manche Sesselklebstoffe unserer West-Machteliten immer noch fremd. Sie ist sicher selbstbewusst genug, um sich wirklich nicht für die Macht, sondern für ihr verbleibendes und verdientes Privatleben zu entscheiden. Größer werden kann sie ohnehin schwerlich. Die bröckelnde EU, wachsende soziale Probleme, eine erneut drohende Bankenkrise, Rentenprobleme, die sicher nicht in einem Handstreich kurz vor der Wahl 2017 noch zu lösen sind – warum sollte sie sich das unbedingt antun?

Wenn Sigi-Pop Gabriel darauf spekuliert, würde das sein Steinmeier-Manöver des nicht abgestimmten Vorschlags zum Bundespräsidenten noch einmal ganz anders beleuchten. Dann wäre es der Versuch, einen lästigen Rivalen zu beseitigen, der das Amt womöglich besser könnte und auch in der SPD und in der Bevölkerung viel mehr Rückhalt hätte.

Wieder andererseits ist Angela Merkel evangelisch, ein bisschen preußisch, pflicht- und staatsraisonbewusst und muss sich fragen, was nach ihr kommt. CDU-Männer, die in ihre Schuhe passen, gibt es ohnehin nicht. Julia Klöckner, einst zur Kronprinzessin gekürte Ex-Weinkönigin steckt derzeit tief im Spendensumpf des Möchtegern-007 Werner Mauss. Kramp-Karrenbauer, ihre natürliche Nachfolgerin und zuverlässigste Unterstützerin ist noch ein paar Jahre zu jung und wird noch im Saarland gebraucht. Bleibt nur eine. Mit “Uschi” von der Leyen hat sie sich nicht wirklich versöhnt, sie lässt sie nur machen. Aber deren ostpolitischer Kurs ist nicht ungefährlich. Damit sind nicht nur die innereuropäischen Konflikte und Drohgebärden gemeint, die von den baltischen Staaten, Polen und anderen ausgehen und sich gegen Russland richten, wie die unnötige Stationierung von NATO-Bodentruppen in den Ost-EU-Staaten und die zweifelhaften Manöver unter Beteiligung der Ukraine und Moldaviens. Von der Leyen hat hier nur allzu schnell eingewilligt.

Inzwischen geht es friedenspolitisch nämlich um mehr: Egal, wer nach den US-Wahlen auf den Präsidentensessel klettert, für den Frieden in Europa wird es deutlich gefährlicher. Denn nicht nur, dass mit Donald Trump ein gefährlicher Irrer inzwischen leider wieder ernsthafte Chancen hat, Präsident zu werden. Hinter Hillary Clinton versammeln sich seit Monaten diejenigen Republikaner und Vertreter des militärisch-industriellen Komplexes, die Trump aufgrund seiner Unberechenbarkeit vergrault hat. So zeigt eine sorgfältige Analyse von Keegan Farley etwa die aggressiven Militärstrategien der neokonservativen Kräfte in den USA und die ökonomischen Interessen, die mit TTIP und seinem fernöstlichen Gegenstück TPP ineinander spielen. Da soll zum einen Russland, zum anderen China ökonomisch eingedämmt werden, indem z.B. Europa US-Flüssiggas statt russisches Erdgas kauft – dafür braucht es eine Eskalation. Dass Clinton als Wahlsiegerin genau von den Kräften abhängig würde, die noch vor Jahren hinter George W. Bush und Vizepräsident Cheney standen, kann die Spannungen in Nahost und in Europa drastisch erhöhen. Wenn jemand in Europa und in der CDU einen direkten Draht zu Putin hat und mit ihm sprechen kann – nicht nur in der jeweiligen Sprache – sondern auch gehört und verstanden wird, dann ist es Merkel. Sie ist es auch, die einer Clinton Paroli bieten könnte.

Die drohenden Veränderungen der internationalen Politik könnten Merkel letztendlich am ehesten bewegen, trotz vieler Zumutungen ihrer Partei und trotz absehbarer Probleme in der EU an einer Kanzlerinnenschaft festzuhalten, für die sie persönlich zweifellos, so scheint es derzeit, Mehrheiten finden wird, ob es nun einen Bundestag mit oder ohne Populisten, mit oder ohne FDP geben wird.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

2 Kommentare

  1. Martin Böttger

    Die Saarländerin “ein paar Jahre zu jung”? Mir ist nur bekannt, dass Bundespräsident*inn*en ein Mindestalter von 40 aufbieten müssen. Für Bundeskanzlerinnen gibt es diese Vorschrift nicht. “Noch im Saarland gebraucht”? Dann müssten alle Oberbürgermeisterinnen auf ewig Oberbürgermeisterinnen bleiben. Schlüssig argumentiert finde ich das nicht. Die Dame ist 54 – das ist für nichts “zu jung”. Mein Vater war mit 52 im “Übergangsgeld” zur Rente.

    • Roland Appel

      “Jung” meine ich in diesem Zusammenhang politisch, innerparteilich-seilschaftsverbunden in der CDU. Da ist das Saarland noch zu klein und weit weg, aber vielleicht holt sie ja Merkel 2017 als Ministerin.

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