Es gibt sie noch: großartige Künstler, die ausserdem grundsympathische Alltagsmenschen sind. Ich durfte sie gestern kennenlernen, Gerhard Polt und die “Well-Brüder aus’m Biermoos”.

Künstleragentin Rita Baus hatte mich eingeladen, ihnen zwei Stunden vor dem Auftritt, in ca. einer Viertelstunde zu erzählen, was in der Bonner Lokalpolitik los ist. Daraus würden sie dann eine Nummer improvisieren, die sich auf ihren Auftritt in “…ääh…(lachen)…Bonn” bezieht. Aus der Viertelstunde wurde eine, es gab viel zu erzählen, weil wir hier weder d e n einen Skandal (das WCCB ist fertig) noch die einzelne Skandalfigur haben.

Nach unserem Gespräch, es war noch eine knappe Stunde bis zum Auftritt, war ich gespannt, welches der zahlreichen Themen sie wohl verarbeiten würden. Sie nahmen einfach alles:  der OB, Frank Asbeck, Katar, die Viktoriabrücke, das WCCB, die Rivalität von Bonn und Beuel, Sportlobby gegen Kultur u.v.a., alles wurde “gewürdigt”. Es reimte sich noch nicht mal. Rhythmus und Harmonie wurden durch Sprechgesang und sparsamen Instrumenteneinsatz hergestellt, Gerhard Polt untermalte das Ganze durch Schweigen und Körpersprache.

Die Well-Brüder sind ein Phänomen. Wie können so nahe Verwandte so scheinbar harmonisch zusammenarbeiten? Wie kann man so viele Instrumente künstlerisch beherrschen? Und gleichzeitig mit so wachem Kopf kleines und großes Weltgeschehen wahrnehmen und intelligent analysieren? Und in 30 Minuten eine perfekte Bühnennummer fertig bekommen?

Die Kunst von Polt macht nicht der Inhalt des gesprochenen Textes aus. Es sind das Stottern, die Pausen, die Körpersprache, die Möglichkeit ihm beim Denken zuzuschauen. Während er nach aussen eine bärenartige Ruhe ausstrahlt, was die Fans an ihm besonders lieben, ist in seinem Kopf eine explosive Unruhe. Er beobachtet ständig und hellwach das Geschehen um sich herum, weder die Kleinigkeiten des Alltags noch die große Politik entgehen ihm. Was ich hier und hier als “neoliberalen Charakter” bezeichnet habe, Polt kennt das, weiss wie das entsteht, spielt uns das vor, und erklärt es so viel besser als ich oder ein geschriebener Text es könnte. So gelingt ihm eine grandiose Übersetzungsleistung: er analysiert uns glasklar das Entstehen der großen Rätsel, von bornierten Kommunalpolitikern und Sparkassendirektoren, bis zu Seehofer, AfD und Trump, und zwar ohne ganze Sätze zu sprechen durch Zugucken bei seiner und der Well-Brüder harter körperlicher Arbeit auf der Bühne.

Und mein Gott, Gerhard Polt ist schon 74! Nach jahrzehntelanger Verehrung durfte ich mit ihm zusammen arbeiten. Ein großer Künstler, ein Geschenk für uns.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net