Die Öffentlichkeit weit über Bonn hinaus ist erschrocken über die Insolvenz der Solarworld AG. Eines der einstmals weltmarktführenden innovativsten Start-up-Unternehmen in Deutschland, das in Bonn Ursprung und Sitz hatte, erlebt in diesen Tagen einen jämmerlichen und unverdienten Untergang. Seine Geschichte ist beispiellos und eng verknüpft mit der Energiewende, die von der Rot-Grünen Bundesregierung zwischen 1998 und 2005 eingeleitet wurde und die hunderttausende von Arbeitsplätzen in der Umweltbranche geschaffen hat. Das Unternehmen steht auch ein Stück symbolhaft für die Energiewende, die nach zwei “Großen Koalitionen” und einer Schwarz-Gelben Phase der Energiepolitik heute trotz ihres Erfolges von der Politik im Stich gelassen und auf dem Altar neoliberaler Ideologie und sozialdemokratischer Kurzsichtigkeit am Ende scheint. Die Hintergründe sind ebenso vielschichtig wie alarmierend und haben viel mit den sozialen Ängsten zu tun, die Donald Trump in den USA an die Macht gebracht haben.
Insolvenzverwalter und Untehmenssprecher sowie Analysten betonen in diesen Tagen immer wieder, dass es die starke chinesische Konkurrenz sei, die Solarworld zur Strecke gebracht habe. China, das trifft zu, hat Produktionskapazitäten von Solarzellen aufgebaut, die – sagen die einen – über 130% der Weltmarktbedarfes bedienen könnten. Der ökonomische Druck, der mit Dumpingpreisen auf den Weltmarkt geworfenen Solarpanele sei eben so groß, dass man in Europa nicht mehr kostendeckend produzieren könne. Das ist nur die halbe Wahrheit. Über fünfzig und damit die Mehrzahl der Patente für Solarstromtechnik liegen in deutschen Händen. Kenner der Materie wissen sehr genau, dass der Wirkungsgrad, Präzision und die Dauerhaftigkeit von Solarzellen aus europäischer oder japanischer Produktion weit über den Niveau der Billigware aus China liegen. Gerade hier liegt durch die größere Erfahrung, Forschungskapazität und Kreativität ein langfristiger Marktvorteil, der nun unterzugehen droht. Und dies ist gerade angesichts der Diskussion der Umstellung unserer Fahrzeuge auf E-Antriebe und der stagnierenden Energiewende ein Skandal.
Neben der ökologischen Begründung für den Erhalt einer europäischen Solarstrombranche gibt es genügend weitere Argumente: Die chinesische Solarzellenproduktion wird derzeit zum Teil unter den Herstellungskosten vermarktet, um damit früher oder später eine Weltmarktführerschaft zu erringen. Nicht zuletzt bei den für die Herstellung auch benötigten “seltenen Erden” ist China ohnehin bereits weltweit wichtigster Lieferant. Die chinesische Markt-Planwirtschaft kann diese Produktionsweise nur aufrecht erhalten, weil Lohnnebenkosten, soziale Sicherheit, Gesundheit der Arbeiter und deren Alterssicherung, um nicht sogar von Menschenleben zu sprechen, bei den Lohnstückkosten dort keine Rolle spielen. Darüber hinaus droht bei einer Konzentration der Solarzellenproduktion in China nach der Abhängigkeit des Westens von arabischem Öl eine neue Abhängigkeit. All dieses müssten für die Europäische Union mehr als ausreichende Gründe gewesen sein, die chinesischen Dumping-Solarzellen mit entsprechenden Zöllen zu belegen – haben sie aber nicht. Darüber hinaus – und dies gilt im übrigen auch für andere Technologien – sollte neben einer Kapitaltransfer-Steuer, die nachhaltige Ökonomen ja schon lange fordern, auch über eine Steuer auf Produkte nachgedacht werden, bei deren Herstellung nachweislich Menschenrechte, soziale und ökologische Mindeststandards nicht beachtet werden. Dies würde zwar den Aufschrei mancher Branchen wie der Textilbranche nach sich ziehen, hätte aber die nachhaltige Wirkung, so manche Produktion wieder näher an die Region heranzurücken, in der sie auch vermarktet wird. Stattdessen haben sich vor allem die FDP, aber auch Christ- und Sozialdemokraten über die angeblich so “unerträglichen Kosten” der “Energiewende” wegen zu hoher Subventionen dazu hingerissen, die Förderung von Solarstrom so rapide nach unten zu fahren, dass fair produzierte Solarzellen am Markt keine Chance mehr hatten. Fakt am Beispiel Solarworld ist, dass die Politik eine ganze Innovationsbranche auf dem Altar des angeblichen Freihandels geopfert hat.
Dies ist nicht die erste innovative ökologische Wirtschaft, die von der Rot-Grünen Koalition angeregt und anschließend von der Nachfolgeregierung “versenkt” wurde. 2005 gab es in Deutschland rund 600 Ölmühlen und geschätzt 50.000 Arbeitsplätze im mittelständischen Bereich zur Erzeugung von Agrardiesel und Ethanol. Durch den von der ersten “GroKo” beschlossenen “Beimischungszwang” hörte zwar nicht die durchaus umstrittene Nutzung von Agrarflächen zur Kraftstofferzeugung auf. Aber eine gesamte gewachsene Infrastruktur mit den meisten Arbeitsplätzen wurde bundesweit praktisch vernichtet. Dass viele ältere Fahrzeuge zudem Probleme mit “E10” Sprit bekamen, war nur das Ärgernis oben drauf. Ähnlich mit dem Rücken zur Wand könnten sich in Kürze die Hersteller von Windkraftanlagen sehen. Denn nicht zuletzt der Einsatz des damaligen “Noch-Wirtschaftsministers” Sigmar Gabriel, der die CO2-Verhandlungsergebnisse seiner eigenen Parteifreundin und Umweltministerin Hendricks 2016 zurück holte und Sonderrabatte für die Stromlobby mit ihren veralteten Stein- und Braunkohlekraftwerken im “Pariser Abkommen” erstritt, genauso ökologisch und ökonomisch irrsinnig wirkt sich nun der Windkrafterlass der neuen Gelb-Schwarzen Regierung in Nordrhein-Westfalen aus.
Schlimmer noch: Aufgrund dieser Energiepolitik in NRW wird Deutschland die selbst gesteckten Klimaziele von Paris nicht mehr erreichen können – Folge ideologisch fehlgeleiteter, neoliberaler Energiepolitik. Aus welchen Energietägern NRW den Strom für die künftigen Elektrofahrzeuge gewinnen möchte, ist völlig unklar. Jeder kann sich nämlich ausrechnen, dass ein E-Auto, das mit Braunkohlestrom aus NRW, erzeugt mit 35% Wirkungsgrad, geladen wird, letztlich sogar mehr CO2, Stickoxide und Rauchgas erzeugt, als ein alter Diesel – nur eben nicht vor Ort. Was das mit Innovation zu tun hat, muss die “NRW-Koalition” erst noch erklären.
Das Schicksal der Bonner Solarworld AG hat eine Menge mit Globalisierung zu tun. Hier wird deutlich, was passiert, wenn die Politik zulässt, dass rigoros auf Kosten der Menschen und ihrer sozialen Lebensverhältnisse und auf Kosten der Umwelt produziert wird. Für dieses falsche Wirtschaften steht die G20 und deshalb ist die Kritik daran berechtigt. Wer sie nicht beachtet, wird mit billigen Populisten vom Schlage Trumps oder der AfD zu tun bekommen. Die Kritik daran ist gerade wegen der Krawalle in Hamburg weitestgehend untergegangen. Deshalb ist sie nicht weniger berechtigt. Und am Beispiel Solarworld wird klar, dass es eben für Energiewende, Zukunftstechnologien und Arbeitsplätze nicht egal ist, welche Regierung die Bürger am 24. September wählen.
Dieser Beitrag erscheint auch bei rheinische-allgemeine.de
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