Die FDP sucht nach ihrer neuen politischen Linie. In Nordrhein-Westfalen ist es im Ergebnis noch nicht so klar, ob sich die moderne vom alten Image der neoliberalen FDP lösen kann. Die eher peinliche als ernst zu nehmende Einführung von Studiengebühren für nicht aus der EU stammende Auslandsstudenten war kein Ruhmenblatt, aber die Einrichtung eines liberalen Migrations- und Integrationsministeriums lässt hoffen. Nun hat Christian Lindner einen ernst zu nehmenden Vorschlag zur Neujustierung der europäischen Außenpolitik gemacht. Die Spirale der ständigen Sanktionen und Verhärtungen mit Russland, der gegenseitigen Vorwürfe und ökonomisch unsinnigen Embargos will er durch eine Geste des Einfrierens des Konfliktes um die Krim durchbrechen. Die aus Sicht des Westens völkerrechtswidrige Annexion der Krim solle in einer Art “vorläufigem Provisorium” auf absehbare Zeit toleriert und eine Lösung einer späteren, noch zu findenden gesamteuropäischen Friedensordnung vorbehalten sein. Leider ist der Vorschlag bisher im sommerlichen Dieselruß und Eiergift untergegangen. Er verdient es gleichwohl, auf Tauglichkeit untersucht und erörtert zu werden.
Dieser Vorschlag ist ebenso pragmatisch wie klug. Er erkennt gerade nicht die erfolgte Einverleibung der Krim durch russische Separatisten an, gesteht im Endeffekt aber Russland zu, dass es seine Sicherheitsinteressen – wenn auch durch die mögliche Verletzung internationalen Rechts – verfolgt hat und unterstellt im Gegensatz zur herrschenden Doktrin von NATO und z.B. den Visegrad-Staaten Russland keine pauschalen Expansionsgelüste nach Westen. Damit ist der Ansatz der FDP einer der klügsten Einfälle europäischer Entspannungspolitik, der sich würdig in die Denkansätze einreiht, die Egon Bahr und Willy Brandt zur Überwindung der Isolation Berlins und der Begründung der Ostpolitik aufgrund der Überlegung “Wandel durch Annäherung” entwickelt haben. Denn zum einen haben sich sämtliche Sanktionen, die die EU beschossen und verlängert hat, nicht als taugliches Instrument erwisen, Putin zu irgendwelchen Zugeständnissen zu bewegen. Im Gegenteil: Sie haben innenpolitisch die Wagenburgmentalität seiner Partei und Anhängerschaft gestärkt. Und auch das Eintreten für Bürgerrechte, etwa für freie Presse, Rechte von Minderheiten wie Schwulen und Lesben und ethnische Minderheiten und gegen rechtsextreme Strömungen ist durch Isolation und Embargos nicht besser, sondern schlechter geworden.
Überhaupt antizipiert die aktuelle Strategie der Sanktionen in keiner Weise die innenpolitischen Optionen und Alternativen in Russland. Denn zum einen hätte selbst ein gutwilliger Putin, der sich den Sanktionen unterwirft, gar nicht die realistische Option, die Krim aufzugeben, weil an ihr der Zugang zum Mittelmeer und zum größeren Teil der Flotte liegt. Dies ohne Verzicht auf die eigene Sicherheit und ohne innenpolitischen Gesichtsverlust preiszugeben, müsste es schon einer massiven Entspannung und glaubwürdiger Sicherheitsgarantien des Westens bedürfen, die angesichts der realen Politik der EU-Osterweiterung nicht zu erwarten sind. Nein, die Sanktionspolitik ist neben reinem Symbolismus auch eine Eskalation seitens des Westens, um die verfolgte Doktrin der Annäherung möglichst aller Staaten außer Russlands an die EU und die NATO voran zu treiben. Davon war aber, als es zwischen Gorbatschow und Kohl um die Einheit Deutschlands in einem friedlichen Europa ging, nicht die Rede. Und schon gar nicht von einem Ausbau der NATO bis an die Grenze Russlands.
Nun mag es in den vergangenen Jahren durchaus manchen Hazardeur auf EU- und NATO-Ebene gegeben haben oder geben, der bei den Sanktionen mit einem “Regimewechsel” liebäugelte. Wer weiss schon, was die dubiosen Spenden Ukrainischer Oligarchen an die Clinton-Stiftung, die z.B. in “Wikipedia” dokumentiert sind, im Falle ihrer Präsidentschaft wiederum bewirkt hätten. Nur sollten sich derartige Gedankenspiele bei halbwegs verständiger Betrachtung der innenpolitischen Situation Russlands für jeden halbwegs vernunftbegabten Politiker von selbst erledigen. Denn jede alternative Personalie in Russland mit nennenswerter Unterstützung in der Bevölkerung wären rechte Populisten und damit weit unberechenbarer als Putin.
Der Sanktionspolitik gegenüber Russland liegt der Einmarsch der Separatisten in der Krim und ihr Beitritt zu Russland zugrunde. Dies sei ein Völkerrechtsbruch und er ist es ohne Zweifel. Aber ebensowenig wie das Beharren auf einer Rechtsposition trotz geschaffener Fakten helfen die bloßen Zitate des zur blanken ideologischen Formel verkommene Form des “Selbstbestimmungsrechts der Völker” weiter, das im Falle der Ukraine, Georgiens und Moldaviens vor allem das Recht der Oligarchen beinhaltet, ihre Absatzmärkte frei wählen zu können. Natürlich geht es auch dem Westen und der EU um Einflußsphären, sonst würden keine NATO-Manöver unter Einbeziehung dieser Länder durchgeführt wie im Herbst 2016. Drastischstes Beispiel dafür ist Präsident und “Schokoladenkönig” Poroschenko selbst, der trotz gegenteiliger Beteuerungen vor der Wahl bis heute nicht die Firmenleitung über sein 100-Mio.-Imperium abgegeben hat und dies wohl auch nicht tun wird, solange ein Immobilienspekulant amerikanischer Präsident ist, der mit leuchtendem Beispiel voran geht und das Weiße Haus zur Beute seiner Familie und einer Bande von Investmentbankern und Oligarchen gemacht hat.
Wer eine langfristige Stabilisierung der Lage in Europa im Blick hat, der muss die Deeskalation der politischen Lage mit Russland im Auge behalten. Der Vorschlag Lindners ist hierzu der richtige Ausgangspunkt, weil er die “Affen von den Bäumen” holt und den Weg für Verhandlungen eröffnent. Diese Verhandlungen werden ohnehin nicht einfach sein, denn inzwischen manifestieren sich selbst amerikanische Wirtschaftsinteressen in diesem Konflikt. Noch vor wenigen Jahren hätte niemand geglaubt, dass es ökonomisch in Betracht käme, dass US-Fracking-Erdgas mit Riesentankern nach Europa exportiert werden könnte. Genau dies plant die Trump-Regierung und dafür hat sie bereits in Polen Freunde gefunden. Die immensen Kosten dieser nebenbei umweltzerstörerischen Technologie sind jedoch nur darstellbar, solange Embargo und Konflikt um russisches Öl und Erdgas die Preise für Staaten wie Polen und die Ukraine in die Höhe treiben. Der Vorschlag, Verhandlungen und Gespräche über eine Gesamteuropäische Friedensordnung unter Einbeziehung Russlands zu beginnen, ist in einer instabilder werdenden Weltlage von hoher Priorität und sollte eines der ersten Vorhaben einer künftigen Bundesregierung sein. Zumindest SPD und Grüne könnten sich einem derartigen Vorhaben wohl nicht verschließen.
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