In der letzten Aprilwoche des Jahres 1972 kam ich das erste Mal nach Bonn, es war eine Klassenfahrt. Es sollte eine sensationell ereignisreiche Woche werden: Deutschland gewann zum ersten Mal in der Fußballgeschichte in Wembley gegen England, Netzer und Beckenbauer beim 3:1 auf dem sportlichen Höhepunkt ihrer Karriere im besten Länderspiel der DFB-Geschichte; Willy Brandt überstand das Misstrauensvotum der CDU/CSU-Fraktion, unser Überleben und der Frieden in Mitteleuropa wurde über Jahrzehnte gesichert. Die darauf folgende Bundestagswahl im Herbst des gleichen Jahres hatte die höchste Wahlbeteiligung in der Geschichte unserer Republik.
Aus dem Hauptbahnhof heraus liefen wir direkt vor einen Bretterzaun, so wie heute. Damals wurde das Loch gebaggert, für die U-Bahn, und für das Loch von heute. Eine der grössten Bausünden in der Stadtgeschichte wurde gerade begangen. Jetzt, 45 Jahre später, ist die Südüberbauung weg. Ein kommunikatives Kunstwerk, denn die deutsche Eigentumsgesetzgebung macht sog. Eigentümergemeinschaften von Immobilien, in diesem Fall 38 verschiedene Parteien, zu einem nicht steuerbaren Etwas. Die ganze Stadt hasste das Gebäude. Und gerade das erlaubte es den Eigentümer*inne*n, den Preis hochzupokern.
Jetzt ist das Monstrum weg und wir sehen eine großzügige Leere bis zur dem Hauptbahnhof gegenüberliegenden Häuserzeile der Maximilianstrasse, keine Schönheit, aber immer noch ansehnlicher, als die dahinterliegende Cassius-Bastei, aus der gleichen Zeit wie das Bonner Loch. In diese Leere kommt eine neue Einkaufs-Mall. Warum eigentlich?
Der materielle Grund ist, dass unendlich viel Kapital im Wirtschaftskreislauf ist, das nicht weiss wohin. Staatsanleihen bringen keine Zinsen, Unternehmen sind mit zuviel Arbeit und Risiko verbunden, darum bläst die Unmenge an Kapital z.Z. besonders viele Immobilien in Großstädten und z.B. auch das Fußballbusiness auf. Blasen platzen eines Tages. Aber keiner weiss wann. Und solange sie aufgeblasen werden, wollen alle Kapitalist*inn*en dabei sein. In Großstädten gibt es kaum was Wertvolleres als Freiflächen an Hauptbahnhöfen mit ICE-Anbindung. Einzelhandelsflächen und Schickimickiwohnungen lassen sich dort zu Neymar-Tarifen losschlagen, wie sonst nur an Küsten und Flussufern. Wer wollte darauf verzichten?
Also ich als Bonner Bürger wäre dazu bereit. Auf dem freien Platz könnte ein schöner begrünter und gemütlicher öffentlicher Raum mit grosser Aufenthaltsqualität – der Parkplatz müsste natürlich weg und auf das Loch ein Deckel, wie es sowieso geplant ist – geschaffen werden, vergleichbar mit dem Hofgarten. Er könnte mit vielfältiger Gastronomie und allen arten von umsonst-und-draussen-Kulturangeboten bespielt werden. Vielleicht ein bisschen wie der Neumarkt in Köln, nur ohne den brandenden Autoverkehr drumherum. Das Bahnhofsgebäude käme erstmals zur Geltung, Besucher*innen unserer Stadt würden auf großzügige Weise empfangen. Die Chance zu einer einmaligen Verschönerung der City ist – für kurze Zeit – sichtbar.
Einzelhandelsflächen gibt es genügend. Der Umsatz steigt nicht durch mehr Flächen. Beide Kaufhäuser am Münsterplatz, Karstadt und Kaufhof gehören Konzernen in einer existenziellen Krise. Es ist damit zu rechnen, dass ihre Flächen eines Tages freiwerden. Dann stünde entweder Umbau zu einem anderen Geschäftsmodell, oder Abriss und Neubau an. Es wäre besser, wenn sich die Stadt jetzt schon auf diesen Notfall vorbereitet, als sich davon überraschen zu lassen und dann jahrzehntelange Leerstände ertragen zu müssen. Der Einzelhandel befindet sich in einer Phase der Disruption, verursacht durch die aggressiven Strategien der monopolistischen global agierenden Onlineplattformen. Dem kann er sich ganz sicher nicht mit mehr Flächenquantität, sondern nur durch Produkt-, Beratungs- und Erlebnisqualität erwehren. Für letzteres wäre allerdings erforderlich, dass sich in der City Gastronomie überhaupt noch rentabel betreiben liesse, die Mieten und Pachten müssten also runter.
Das alles wird die neue Mall, egal wie hübsch oder hässlich sie aussehen wird, nicht mit sich bringen. Sie wird also ökonomisch kaum ein Problem lösen, sondern die bestehenden Probleme verschärfen. Schade eigentlich.
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