von Ingo Arend
Besser als 100 Amnesty-Plakate – im Türkischen Pavillon zeigt es keine politische Botschaft. Trotzdem ist es ein subtiles Bild für die Lage in der Türkei.

Eine sanft aufsteigende Rampe aus rohen Holzbrettern, eingefasst von einem Stahlgerüst. Auf den ersten Blick weiß man nicht recht, ob in dem schmalen Durchgangsraum im ersten Stock der Sale d’Armi im Arsenale wirklich ein fertiges Kunstwerk steht. Ob hier einfach noch gebaut wird. Oder ob man auf einem Provisorium läuft.
„Ortsspezifische Installation“ ist eine schöne Untertreibung für den scheinbar simplen, aber reichlich ausgeklügelten Bau, den der türkische Künstler Cevdet Erek in das alte Gemäuer mit den freiliegenden Backsteinwänden gesetzt hat, das den Türkischen Pavillon der 57. Biennale von Venedig beherbergt. Zwar teilt es den schlauchartigen Raum in wohlproportionierte Rechtecke und Raumfolgen. Die lassen sich am Ende der Rampe von einer querlaufenden Kommandobrücke herab aus der Vogelperspektive betrachten.

Und das blank polierte Gestänge dürfte die Herzen von Minimalfans höher schlagen lassen. Die Installation ist aber auch ein Musterbeispiel des subtil Politischen. Es gibt hier nicht das geringste Anzeichen irgendeiner Botschaft. In Ereks Werk spricht allein die Form: Besser als 100 Amnesty-Plakate findet er damit ein eindrückliches Bild für den unheimlichen Zwischenzustand, in dem sich die Türkei derzeit befindet.
Der Raum in der Mitte mit der angedeuteten Tribüne an der Kopfseite ist leer wie kurz vor einer Versammlung. Die rückwärtige Tribüne ist nicht zugänglich. Der Metallzaun, der sie umgibt, ist mit einem Schloss verhängt: Eine „Gasttribüne“ als verschlossener öffentlicher Raum, sichtbar, aber unbenutzbar. Ihr gegenüber liegt eine offene Tribüne, auf der man sich zum zwanglosen Gespräch versammeln kann, begrenzt von einem Laubengang.

Arbeit als Baustelle

Die ganze Arbeit könnte eine Baustelle sein oder eine Agora, ein Gefängnis genauso wie eine Massenarena. „In dieser Zeit von Konflikt und Unterdrückung war für mich das größte Problem, wie meine Anstrengung hier zur Kultur der freien Rede in der Türkei und darüber hinaus beitragen könnte“, erklärt Erek diese Dialektik von „offen“ und „verschlossen“ in seinem Werk, einem der eindrucksvollsten Länderpavillons.
Die eigentümliche Mischung aus Raum, Klang und Bild ist Markenzeichen von Erek geworden
Der 1974 geborene Künstler ist eine Ausnahmeerscheinung. Er studierte nicht Kunst, sondern Architektur an der Mimar-Sinan-Universität in Istanbul. Schon vor der Uni spielte er als Drummer der Progressiverock- und Metal-Band Nekroposi. Und vervollständigte seine Ausbildung am Center for Advanced Studies in Music an der TU Istanbul.
Später arbeitete er als Toningenieur für die türkischen Beiträge zur Eurovision. 2002 bat ihn die Kuratorin Fulya Erdemci um eine Soundinstallation für ein Projekt im öffentlichen Raum. In den 90er Jahren hatte Erek noch mit „dark people“ abgehangen und mit dem Anarchismus sympathisiert. „Plötzlich war ich in der Kunstwelt“, wundert sich der Künstler noch heute.
Die Mischung aus Raum, Klang und Bild ist seitdem zu seinem Markenzeichen geworden. Für Orhan Pamuks „Museum der Unschuld“ in Istanbul kreierte er eine Klangkulisse. „Room of Rhythms“ nannte er die Installation, in die er auf der Istanbul-Biennale 2015 eine zum Abriss bestimmte Garage verwandelte. Mit dem Auftritt in Venedig in diesem Jahr steht er nun in einer Reihe mit türkischen Künstlern wie Sarkis, Hüseyin Alptekin oder Ayşe Erkmen.

Nationalrepräsentation ist out

Die Idee für seine jüngste Arbeit will er bei einem Besuch in den Ruinen der antiken Stadt Priene im Südwesten der Türkei bekommen haben. In dem Amphitheater des „Pompeji Kleinasiens“ kamen ihm die Geräusche eines benachbarten Cricketspiels plötzlich „wie ein Konzert“ vor. „Çın“ – das türkische Wort für Gespenst, Dämon, Spuk – hat Erek seine jüngste Arbeit nicht ohne Grund genannt. Aus den sieben glänzenden Lautsprecherboxen auf der Brücke dringen seltsame Geräusche. Ein Klang wie eine Kreuzung aus dem Nachhall eines Lautsprechers und dem Sirren des Tinnitus.

Dazwischen mischen sich Satzfetzen: „Block your ears/face history/may the war end“. Was Erek formalistisch „sound-ornamented facade“ nennt, lässt sich durchaus symbolisch lesen. Auch das Land am Bosporus gleicht im Moment einer schwirrenden Gerüchteküche. Mit politischen Statements hält sich der stille Künstler selbst freilich zurück.
Den mit hellen Holzbalken wie bei einem Fachwerkbau ausstaffierten Gang zu dem Nachbarraum der Sale d’Armi nennt Erek die „internationale Route“ zwischen den Nachbarstaaten. „Ich wollte die Straße zwischen den Ländern offen lassen“ hatte er zur Eröffnung der Schau doppeldeutig erklärt. Nationalrepräsentation ist out. Aber manchmal hat das überholte Prinzip der Nationalpavillons in Venedig doch noch seinen guten (Hinter-)Sinn.

Dieser Beitrag ist eine Übernahme von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag.
Hier gibts Abbildungen auf Ereks Homepage.

Über Ingo Arend:

Der Autor ist Politologe und Historiker, er schreibt über Kunst und Politik. Stationen machte er beim Freitag, bei der taz und beim Deutschlandfunk Kultur. Er ist Mitglied im Präsidium der neuen Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK).