von Andreas Zumach
Die Schweizer Elite-Uni ETH Zürich erhöht die Gebühren um 30 Prozent. Nicht alle Studierenden können zahlen – am wenigsten die aus dem Ausland.
Darf die Ausbildung an Universitäten etwas kosten? In der Schweiz sorgt diese Frage immer wieder für öffentliche Auseinandersetzungen oder ist gar Thema von Volksabstimmungen. Sämtliche öffentliche wie private Universitäten, Fachhochschulen und andere Einrichtungen der höheren Bildung in der Alpenrepublik erheben – zum Teil saftige – Studiengebühren.
An der Eidgenössisch Technischen Hochschule (ETH) Zürich und ihrer Schwesteruniversität, der ETH im französischsprachigen Lausanne demonstrierten die StudentInnen vergangene Woche gegen die geplante Erhöhung der Gebühren um 30 Prozent. Statt bislang 1.160 Schweizer Franken (CHF) – nach derzeitigem Wechselkurs rund 1.000 Euro – jährlich soll das Studium an den beiden eidgenössischen Eliteunis ab 2018 1.660 Franken kosten – mehr als 400 Euro mehr als bisher und damit weit über dem Landesschnitt. Und das ist für einige Studierende ein Problem.
Der 20-jährige Jakob Stauffer, Biologiestudent im dritten Semester, „kann die zusätzlichen 500 Franken auf keinen Fall aufbringen“, wie er sagt. Zumal zu den jährlich fälligen Studiengebühren noch zahlreiche indirekte, versteckte Kosten kommen. Zum Beispiel Prüfungsgebühren sowie Ausgaben für obligatorische Praktika, Austauschsemester und Exkursionen sowie für Lehrmittel.
Sollte die vom ETH-Rat, dem Aufsichtsgremium der beiden Unis, angekündigte Erhöhung tatsächlich kommen, fürchtet Stauffer, dass er „das Studium abbrechen oder zumindest unterbrechen und erst einmal Geld für die nächsten Studienjahre verdienen“ muss. Schon jetzt jobbt Stauffer neben dem sehr lernaufwendigen Biologiestudium als Fahrradkurier, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Anders als seine KommilitonInnen aus besser betuchten Elternhäusern kann der Sohn einer verwitweten Mutter, die als Kassiererin in einem Supermarkt nur einen kargen Lohn bezieht, nicht mit finanzieller Unterstützung von zu Hause rechnen.
Zusätzliche Gebühren für Studierende aus dem Ausland
Bereits im Jahr 2012 ergab eine Umfrage des Verbandes der Schweizer Studierendenschaften (VSS), an der über 5.000 StudentInnen der ETH Zürich teilnahmen, dass die ETH bei einer Erhöhung der Studiengebühren auf 1.500 Franken jährlich rund 20 Prozent ihrer StudentInnen verlieren würde. VSS-Präsident Lukas Reichard, der ebenfalls an der ETH studiert, geht davon aus, „dass die geplante Erhöhung ausländische Studentinnen und Studenten besonders stark treffen würde“.
Die Lebenshaltungskosten waren in der Schweiz schon immer deutlich höher als im übrigen Europa oder in Übersee. Und Zürich nimmt innerhalb der Schweiz eine Spitzenstellung ein. Zudem gibt es an vielen Hochschulstandorten inzwischen Pläne, Studierende aus dem Ausland noch mit zusätzlichen Gebühren zu belasten. Auf der anderen Seite scheiterte im Jahr 2013 im Kanton Zürich eine Volksinitiative mit dem Ziel, Schweizer StaatsbürgerInnen mit Erstwohnsitz in dem Kanton gänzlich von Studiengebühren zu befreien.
Bereits 2009 mussten Studierende in der Schweiz laut einer landesweiten Untersuchung über ihre wirtschaftliche und soziale Lage im Durchschnitt 1.870 Franken monatlich aufbringen für Unterkunft, Essen, Krankenversicherung und Studiengebühren – umgerechnet rund 1.600 Euro. Infolge der allgemeinen Teuerung dürften diese monatlichen Kosten inzwischen bei fast 2.000 Franken liegen.
VSS-Präsident Reichard befürchtet, dass durch eine weitere Anhebung der Studiengebühren an den beiden ETHs die „soziale Spreizung weiter verschärft“ und finanziell Schwächeren der Zugang zu universitärer Ausbildung erschwert werden. Denn bislang nehmen Studiengebühren nur einen sehr kleinen Anteil des Gesamtbudgets der Schweizer Hochschulen ein – an den Universitäten Basel und Bern zum Beispiel nur 3 beziehungsweise 5 Prozent. Die öffentlichen Zuschüsse sinken jedoch, und dies – so die Befürchtung – wollen die Unis nun über steigende Stu diengebühren kompensieren.
Verheerendes Beispiel Großbritannien
In einem von der landesweiten Delegiertenkonferenz des VSS im November 2013 verabschiedeten Positionspapier verweist der Verband auf das „verheerende Beispiel Großbritannien“, wo „infolge der drastischen Erhöhung der Studiengebühren im Jahre 2012 nachweislich Kinder aus Nicht-AkademikerInnenfamilien von einem Studium abgehalten werden“.
Doch der ETH-Rat zeigt sich von sämtlichen Einwänden unbeeindruckt. Zum letzten Mal seien die Gebühren „vor 20 Jahren richtig erhöht worden“, im Jahr 2004 hingegen sei „lediglich eine Anpassung im Rahmen der Teuerung erfolgt“.
Der VSS lehnt Studiengebühren grundsätzlich ab. In seinem Positionspapier aus dem Jahr 2013 fordert der Verband „ein Bildungssystem, das allen Personen unabhängig von ihren finanziellen Möglichkeiten vollständig zugänglich ist“. Der VSS kann sich dabei auf einen Beschluss der Schweizer Regierung (Bundesrat) zu ihrer Bildungspolitik für die Jahre 2013–2016 berufen. Darin heißt es: „Ziel ist die Sicherstellung einer Bildung von hoher Qualität, die es allen ermöglicht, ihr Begabungspotenzial voll auszuschöpfen und die Fähigkeit zu entwickeln, eigenständig zu handeln und sich lebenslang weiter zu qualifizieren.“
Doch tatsächlich betreiben der Bundesrat, der für die beiden ETHS in Zürich und Lausanne zuständig ist, wie auch die Regierungen fast aller 26 Schweizer Kantone seit Jahren eine Politik, die dieser Zielsetzung entgegensteht. Die öffentlichen Ausgaben für Bildungseinrichtungen und für die Ausbildungsförderung sozial und finanziell Schwächerer werden fast überall gekürzt.
Studiengebühren und ihre Erhöhung, kritisiert der VSS, seien Instrumente, um „die öffentliche höhere Bildung in der Schweiz schrittweise zu liberalisieren, zu privatisieren und einen Bildungsmarkt zu schaffen“.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag.
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