von Rainer Bohnet
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) positioniert sich pro Große Koalition. Das verkündete heute der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann. Vorab sei gesagt, dass ich befangen bin, denn ich bin auf der örtlichen Bonner Ebene für den DGB aktiv, nämlich im DGB-Kreisvorstand Bonn/Rhein-Sieg. Trotzdem erlaube ich mir eine eigene Meinung und fälle zunächst ein kurzes und knappes Urteil: “Mangelhaft.”
Die deutschen Gewerkschaften sind überparteilich und sie vereinen Mitglieder aller politischen Parteien. In der Vergangenheit standen viele Gewerkschaftsmitglieder auf der Seite der SPD, nach der Einführung der Hartz-Gesetze wurde diese enge politische Freundschaft gekündigt. Viele Funktionäre wandten sich daraufhin den Linken zu. Es gibt allerdings auch CDU-Mitglieder mit Gewerkschaftsausweis, ebenso bei den Grünen. Bei der FDP kann man Gewerkschaftsmitglieder traditionell mit der Lupe suchen. Hingegen haben relativ viele Gewerkschaftsmitglieder bei der letzten Bundestagswahl die AfD gewählt, was darauf hinweist, dass diese soziologisch ähnlich ticken wie die Gesamtbevölkerung.
Aber was reitet jetzt den DGB-Vorsitzenden, wenn er nach 2013 zum zweiten Mal eine Große Koalition fordert? Um dieser Frage näherzukommen, muss man zunächst erklären, wie sich der DGB-Bundesvorstand zusammensetzt. Dieses Führungsgremium ist ziemlich übersichtlich, denn in ihm sitzen die Vorsitzenden der acht Einzelgewerkschaften. Man muss auch wissen, dass der gesamte DGB ausschließlich durch Beiträge der Einzelgewerkschaften finanziert wird. Es besteht daher eine offenkundige Abhängigkeit des DGB gegenüber den Einzelgewerkschaften, die z.B. im Fall von ver.di und IG Metall durchaus eigene Wege gehen und sich zu gesellschaftspolitischen Fragen positionieren.
Die erneute Befürwortung einer Großen Koalition, die ich aus politischen und philosophischen Gründen ablehne, ist gesellschaftlich und gewerkschaftspolitisch kontraproduktiv. Sie verletzt einerseits die Neutralitätspflicht und verkennt auch die Chancen und Möglichkeiten einer Minderheitsregierung. Denn durch die Stärkung des Parlaments und der damit verbundenen Verlagerung der Debatten und der Entscheidungen in den Deutschen Bundestag würden die Einflussmöglichkeiten der außerparlamentarischen Opposition ebenfalls gestärkt. Hinzu kommt, dass die negativen Auswirkungen der Großen Koalition mittlerweile hinlänglich bekannt sein dürften.
Lieber DGB, bitte halte Dich bei Empfehlungen für bestimmte Parteien oder Koalitionen zurück und formuliere stattdessen klare und deutliche Forderungen für gute Arbeit, gegen Kinder- und Altersarmut, für eine sichere und auskömmliche Rente, für bezahlbare Wohnungen, gegen Waffenexporte, für fairen Handel, für eine Transformation der Autoindustrie und der Kohleenergie sowie für eine sozialverträgliche Digitalisierung. Alles Themen, mit denen sich der örtliche DGB in Bonn/Rhein-Sieg bereits befasst hat oder sich in absehbarer Zeit befassen wird.
Die deutschen Gewerkschaften sind selbstverständlich politisch, obwohl sie bekanntlich nicht so kämpferisch wie in Frankreich oder Italien sind. Sie haben wegen der Umwälzungen in der Arbeitswelt leider an Einfluss und Macht verloren. Sie müssen aufpassen, dass ihnen nicht das gleiche Schicksal wie der SPD passiert und marginalisiert werden.
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