Gegenwärtig bietet sich mir zur besseren Analyse dessen, was heute Die Grünen sind, ein Vergleich meiner Heimatstädte Essen (einst) und Bonn (jetzt) an. Nachdem Guido Reil – ein paar Monate Medienliebling – zu Recht fast vergessen ist (“Der Norden ist voll”, Übertritt von SPD zu AfD), versuchen sich in Essen neue Gestalten an seinem Erbe. Karl-Heinz Endruschat, bei dessen Übertritt von Grünen zur SPD inkl. Mandatsmitnahme im Stadtrat die meisten Essener Grünen drei Dankeskreuze zum Himmel beteten, stellt in bester Reil-Tradiiton fest, dass es im Essener Norden zuviele Muslime gebe.
Essener Grüne halten tapfer dagegen – machtlos
Er reitet damit in bewährter Weise die von der AfD bereits im Original besetzte Welle. Die katholischen und evangelischen Christen im Ruhrgebiet sterben weg. Folgerichtig werden immer mehr ihrer Kirchen stillgelegt, und wenn jemand dafür was bietet, verkauft. Sie verlieren also ein Stück dessen, was sie für ihre Heimat hielten. Gleichzeitig ziehen Muslime gerne in Gegenden, wo schon viele von ihnen sind. Und wo die Mieten niedrig sind. Das ist in Essen der Norden, nicht der Süden.
Tapfer öffentlich dagegen hält der Grüne Walter Wandtke. Den kenne ich nun schon so lange wie es die Grünen gibt. Er scheint durch all die Jahrzehnte der einzige Grüne nördlich der A 40 geblieben zu sein. Walter ist ein anständiger Kerl. Wer ihn allerdings auf Publikum loslässt, darf sich nicht wundern, dass kein Nachwuchs kommt. Walter kann nichts dafür, weil er anständig so geblieben ist, wie er immer war – das ist selten genug – aber in seiner persönlichen Interpretation auch aus der Zeit gefallen. Wie die Essener SPD. Sie scheinen einander zu bedingen, und die sich weiter drehende Welt geht achtlos über sie hinweg.
Grüne in der Ruhrgebietsopposition, wie sie immer waren: Kontinuität, Glaubwürdigkeit, machtlos.
Wie anders in Bonn. Als reiche Bildungsbürgerstadt war Bonn immer eine Grüne Hochburg. Wobei: nicht die Stadt ist reich (2 Mrd. Altschulden), aber ihre Bürger*innen privat (natürlich nur wenige, aber die sehr). Hier stellten sie schon mehrere Bürgermeisterinnen und Dezernent*inn*en, waren an Mehrheitskoalitionen mehrfach (94-99 Rot-Grün, 04-06 SPD/Grüne/FDP, 09-14 schwarz-Grün, seit 14 Jamaika) beteiligt. Vor dem Wahlerfolg 1994 war ich vier Jahre im Kreisvorstand der Bonner Grünen, 2 Jahre unter Vorsitz von Coletta Manemann, die gleichzeitig Fraktionsvorsitzende war (Amt und Mandat). In jener Zeit gelang es, den mehrheitlich immer linken, aber völlig zerstrittenen Kreisverband zu einer gemeinsamen Teamleistung zu befrieden, die erst die guten Wahlergebnisse möglich machte. Eine wichtige Rolle spielten damals dabei der spätere Grüne Bundesschatzmeister Dietmar Strehl (lebt heute in Bremen) und der damalige und heutige Fraktionsgeschäftsführer Tom Schmidt, in 2015 OB-Kandidat mit 22,1% der Stimmen.
Bonn: SPD-Stern sank – grüner Stern stieg
In 2007 erkannte die Bonner OBine Dieckmann als eine der Letzten bundesweit, dass es in der Stadt ein Problem mit der Integration gibt, das nicht mehr nebenbei mitbehandelt werden kann. Sie suchte eine*n Integrationsberauftragte*n und fand – auch nach zwei öffentlichen Aussschreibungen – keine*n, deren fachliche und politische Qualifikation ihr passte. Darum rief sie Coletta Manemann, zu dem Zeitpunkt sozialpolitische Sprecherin und schärfste rhetorische Waffe der Grünen im Stadtrat an, und fragte, ob sie das nicht machen wolle. Manemann hatte in 2004 das erste Direktmandat für die Grünen in der Inneren Nordstadt erobert. Alle bei den Grünen erkannten das Kalkül Dieckmanns und rieten Manemann dennoch: Machet! Dieckmanns Stern sank bereits (WCCB-Affäre), die Zeiten würden sich ändern. Starke Kräfte in der Verwaltung waren das, was den Grünen in ihrer Hochburg am meisten fehlte.
Manemann brachte dann auch die erwartete Leistung. Sie schmeichelt sich nirgends ein und pflegt das offene und ehrliche Wort gegenüber jederfrau und -mann. Viele fürchten sie darum, weil sie das selbst so schlecht beherrschen. Dabei ist sie gewiss, wie fast jede Frau, selbst ihre schärfste Kritikerin. Was sie bisher in Bonn geleistet hat, ist zum Glück nicht beispiellos, aber bundesweit Erste Liga. Und alle in Bonn, die sich fachlich mit Migrations- und Integrationspolitik auskennen, bestätigen das – in allen Parteien.
Bonner Grünen-Fraktion pflegt Aversion gegen erfolgreiche Arbeit
Ausser bei den Grünen. Sie stolpern über ihre eigenen Beine. Angeführt von zwei Kollegen mit der bürokratischen und intriganten Sozialisation ihres Arbeitsplatzes GIZ (die bundeseigene, aber zunehmend wie ein privater Konzern arbeitende Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit), sehen sie ihre Hauptbeschäftigung nicht darin, die stärkste Grüne Manemann zu unterstützen in ihrem Bohren dicker Bonner Verwaltungsbretter, und bei der Herkulesaufgabe der Flüchtlingsintegration, sondern ihre Arbeit, wie ein Lehrer gegenüber ungezogenen Schüler*innen, mit Nachsitzen und Strafarbeiten zu behindern. Anders als Lehrer, denen das verboten wäre, bremsen Sie sich selbst beim Mobben nicht, was allgemein, mal mit schadenfrohem, mal mit mitleidigem Kopfschütteln in den anderen Parteien wahrgenommen wird und schon seit Monaten Flurfunkthema im Rathaus ist. Es gipfelte jetzt darin, dass Manemanns eigene Fraktion ihr mit der Stadtgesellschaft und dem Fachpublikum in öffentlichen Diskursen erarbeitetes aktualisiertes Integrationskonzept – stoppte, im Stadtrat vertagte. Also das, was wir von der AfD oder dem rechten Flügel der CDU hätten erwarten dürfen.
Den grünen Stammesführern fehlte das „wissenschaftliche Monitoring“. Wenn Sie in den letzten Wochen eine der vielen Dokus über Altenpflege gesehen haben, kennen sie die Klage der Pfleger*innen, dass sie zwei Stunden ihrer täglichen Arbeitszeit auf “Dokumentation” verwenden müssen. Ja, das ist es wirklich, was der Integrationspolitik am meisten fehlt, oder?
Während also die programmatische Arbeitsgrundlage vertagt wurde, agieren die Kommunalpolitiker*innen beim “Kultur- und Begegnungsfest” umgekehrt: das darf weder auf alle zwei Jahre umgetaktet werden, noch darf die Verwaltung andere Arbeitsprioritäten setzen. Deutsche Vereinsmeier, in Stadträten naturgemäss überrepräsentiert, geben nix ab, ob sie Migrationshintergrund haben oder nicht. Da muss die Flüchtlingsbetreuung eben mal mit weniger Personal auskommen. Wir habens ja.
Integrationsratsmitglieder können nichts für seine Fehlkonstruktion
Es wäre eine Freude, wenn es sich hier um eine Debatte um verschiedene Politikkonzepte handelte. Im Kern geht es um einen Autoritätskonflikt zwischen Personen. Einige grüne Fraktionsmitglieder, und die mit 22% Beteiligung “gewählten” Mitglieder des beschäftigungstherapeutischen “Integrationsrates“, eine Missgeburt der NRW-Gemeindeordnung, für die natürlich nicht seine Miglieder, sondern der NRW-Landtag verantwortlich ist. Jede Menge Männer mit im adornoschem Sinne “autoritärem Charakter”, fühlen sich nicht genug beachtet. Mit Recht, denn bei denen im “Integrationsrat” hat es zu einer erfolgreichen Kandidatur für den Stadtrat nicht gereicht – entweder weil ihnen in diskriminierender Weise das Wahlrecht vorenthalten wird, oder weil ihre Parteien sich von ihnen genervt fühlen, und keine Lust haben sie für Stadtrat oder Bezirksvertretung aufzustellen. Das persönlich auszubaden hat Manemann keine Zeit. Das ist auch besser so.
Bonn ist verschrien – ein personalpolitisches Problem, selbstgemacht
Sie sollte nicht auf den Stadtrat und seine Rangkämpfe warten müssen, sondern Mund abputzen und weitermachen. Das Konzept ist gut, es ist fachlich diskutiert. Es ist mehr zu tun, als zu schaffen ist. Mehr zu schaffen wäre allerdings, wenn unsere Parlamentarier*innen sich weniger um sich selbst drehen und Foulspielen, und mehr mit dem beschäftigen würden, wofür wir sie gewählt haben.
Die Grünen speziell müssen sich fragen lassen, wen sie in Zukunft als “Volkspartei in spe” überhaupt noch für kommunale Verwaltungsjobs gewinnen wollen, wenn sie so wie in Bonn mit den von ihnen selbst nominierten Personen umgehen. Der Langmut der Betroffenen ist endlich. Das gegenseitige Wegbeissen, weil “ich” es besser könnte, als der/die Andere, ist zwar eine originalgetreue Übersetzung des Neoliberalismus in die Alltagspraxis, führt aber dazu, dass die Stadt Bonn jetzt schon Probleme hat, Führungspositionen nach öffentlichen Ausschreibungen zu besetzen. Es spricht sich auf diesem übersichtlichen Arbeitsmarkt bundesweit rum und treibt die Gehälterpreise.
Die andere Option für die Bonner Grünen wäre, ganz auf Personalpolitik zu verzichten und Sekte bleiben – selbst nichts falschmachen, immer sind es die andern (“die Verwaltung”) gewesen: mir sagt ja keiner was, auf mich hört ja keiner – für die Aufwandsentschädigug eines Ratsmitgliedes kann das ausreichen. So eine Absicht sollten sie ihren 20% Wähler*inne*n in Bonn dann aber ehrlicherweise vor der Wahl mitteilen.
Überlegen Sie doch mal selbst, ob Sie nicht zum nächsten Stadtrat oder zur nächsten Bezirksvertretung kandidieren wollen! Jetzt wäre der Zeitpunkt dazu, im nächsten Jahr stellen die Parteien ihre Kandidat*inn*en für 2020 auf. Schlechter als die, die es jetzt machen, wären Sie auch nicht. Vor allem die Frauen unter Ihnen.
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