Beueler-Extradienst

Meldungen und Meinungen aus Beuel und der Welt

Aus der Schulzeit der “68er”

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Im rahmen des erweiterten zeitgeschichtlichen unterrichts hatte mich oberstudienrat johannes grotecke vor ein paar jahren in die aula unseres alten gymnasiums der ehemaligen august-vilmar schule in nordhessen in die kreisstadt homberg/efze bei kassel eingeladen, in der aula der BTHS wie sie nun hiess – bundespräsident theodor heuss schule —vor der versammelten oberstufe als zeitzeuge über die sogenannte 68er studentenrevolte zu berichten –
ich habe mit dem damaligen schüler–zeitungs-redakteur hanspeter bernhardt das lektüre-programm für die von uns so genannte GEGENSCHULE entworfen (wilhelm reich,karl kraus,sigmund freud,karl marx,adorno und peter rühmkorf:“über das volksvermögen“, die wir im frühjahr 1968 aus protest gegen die zensur vom „homberger schulecho“, und der verweigerten sexuellen und politischen aufklärung durch schule und elternhaus zweimal die woche in einer homberger kneipen-hinterstube nachmittags anboten —der für die schülerzeitung homberger schulechos verantwortlichen redakteurs horst brühmann aus borken —ein einser-schüler und spätere suhrkamp-wissenschaftslektor wurde von der schule verwiesen nachdem der liberale direktor dr.horst clement, der vor gericht sich auf den übergesetzlichen notstand berief, als er gegen den erlass für die freiheit der schülerzeitungen das homberger schulecho erst zensierte und dann verbot

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Es ist kein nachteil, dass ich den bericht über meine aufsehen erregende rede und die veranstaltung in der lokalen presse HNA nicht zur hand habe. Ich schreibe ganz aus der erinnerung heraus an diesen denkwürdigen vormittag wo die alte aula mit ihren schweren vorhängen abgedunkelt gegen die hochsommerliche hitze, die von der ziegenhainer strasse durch die halbgeöffneten fenster kam.-es war furchtbar heiss und ich redete mich in rage –ich hatte bei meinem klassenkameraden Dr. Heinz nöding in hebel übernachtet und war am frühen morgen mit ihm und seiner frau, die an der BTHS französisch unterrichtet, nach homberg gefahren

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Wie kann ich den schülerinnen und schülern von heute DIE ANGST verständlich machen, die wir damals noch hatten als wir von 1955 –bis zum abitur 1963 diesen efeu-umschlungenen alten backsteinkasten besuchten—noch jahre später –wenn ich auf der durchreise einen sentimentalen stop mit meinem auto in homberg machte –zog mich das schulgebäude an und ich kam mir vor wie bei einer mutprobe wenn ich mit klammen herz und angehaltenem atem durch das gebäude ging —ob nun gerade pause war –oder nicht –einmal sah ich DEN HASSEL auf dem gang-weit vorne impulsiv hab ich mich hinter einer säule versteckt, so war mir der schreck in die glieder-gefahren–

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Dieser HÜNE von einem menschen war zuständig für die unheilige dreifaltigkeit von sport, evangelische religion und deutsch- es hiess er habe an der olympiade von 1936 als ersatzmann teilgenommen, jedenfalls habe ich eine ziemlich ungute und eine merkwürdige und lustige erinnerung an seine lehrkraft –
Ca 15 minuten vor ende der stunde gab er öfters in der turnhalle den medizin-ball frei-und wir halbstarken und pubertären Knaben brachten dieses unförmige und schmerzhafte wurfgeschoss auf klassenkameraden in anschlag und zur geltung, die nicht so flink beim ausweichen und wegspringen waren und sich als zielscheibe anboten —heinz nöding war stets eins dieser opfer- auch wenn es mich unangenehm berührte dass mein athletischer schulfreund volkhard mosler sich besonders hervortat –beim zerschmetternden abwurf –
HASSEL hockte breitbeinig oben auf der empore und belustigte sich am munteren gemetzel von völkerschlacht mit völkerball hin und wieder griff er ein mit einem schrillen pfiff auf seiner turnlehrer-pfeife-

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ALS KAISER ROTBART LOBESAM —ins HEILIGE LAND GEZOGEN KAM —dieses ludwig uhland- oder schiller-gedicht hatte ich im ev. religionsunterricht mit besonderem schmackes auswendig vorgetragen und eine EINS dafür vom HASSEL bekommen—ZUR RECHTEN— SAH MAN –WIE ZUR LINKEN—EINEN HALBEN TÜRKEN HERUNTERSINKEN ––
HASSEL und HEROLD, der bio- sport und chemie unterrichtete waren teil einer berüchtigten freizeit- clique—und HEROLDs aufklärungsunterricht in der ersten stunde BIO nach einer durchzechten nacht ist Legendär –
ELKE HEROLD –seine tochter war in unsrer parallelklasse A , die war überwiegend mit HOMBERGERn und lehrerskindern bestückt –wir anderen kamen als fahrschüler aus der umgebung vom land— die einen von obermöllrich und von wabern mit dem gelben post-bus oder wir aus borken freudenthal und cassdorf mit dem „chattengau“ bus-unternehmen der von herrn kraushaar gesteuert wurde, das ist der vater von wolfgang kraushaar —chronist der frankfurter 68er bewegung und von protest und widerstand und terrorismus (RAF) ihre mutter organisierte den einzigen lebensmittelladen im dörfchen gilsa bei fritzlar, wo elmar und wolfgang und sein freund ulrich erckenbrecht das abitur machten—1968-

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SPURENSUCHE in NORDHESSEN—1968 in der provinz –„DER FREIHEIT JÜNGSTES KIND“—2011 im marburger jonas verlag erschienen von den beiden homberger oberstudienräten johannes grötecke und thomas schattner konzipiert, die sich um historische recherchen und die verlegung von stolpersteinen zur erinnerung an die vertrieben juden grosse verdienste in nordhessen —wildung wabern hebel — erworben Haben –
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Abgesehen von der fragwürdigen anreicherung ihrer 68er-studie über uns nordhessiche rebellen mit fragwürdigen prominenten wie den kasseler schmid -zwillingen-(paul verbandelt mit ghetty und lamghans ) — einem lufthansa-kapitän und dem CDU mann dr. wulf schönbohm als „einem konservativen ex-68er“ sind die porträts von wolfgang kraushaar, monika steffen–funke, herbert preissler, michael bauer vom melsunger „geistesblitz“ und von volkhard mosler, anette bauer-kähler und dieter bott von der august-vilmar schule in homberg mit schönen jugendfotos verziert — die schilderungen von baader Meinhof aktionen in den nordhessicihen jugend-straf und erziehungs-anstalten sind allerdings mehr dem name-droping geschuldet als einer fundierten analyse
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ich hatte für auszüge aus dem briefwechsel mit hanspeter bernhardt und horst brühmann plädiert z.b. über die kriegsdienstverweigerung, die noch schriftlich begründet werden musste und durch mehrere instanzen gehen konnte— höre auf podcast WDR 5 die erregte schilderung von wolfgang kraushaar in seinem fall in den „tischgespächen“ märz 2018– – und geworben für die beschreibungen der öderie und der tristesse in nordhessischen literarischen zeugnissen, wie die von f.c.delius und peter o. chotjewitz –um den heutigen lesern und der jungen generation überhaupt verständlich zu machen wegen welcher emotionalen kälte und borniertheit wir aufbegehren –und fliehen– mussten, sonst wären wir erstickt
die überaus erfolgreiche kasseler schülerbewegung hätte ein eigenes buch verdient —horst maier –auf gehts — ihrer ambitionierten AUSEINANDERSETZUNG (ludwig pfeiffer, claudia rössler-klaus, wolfgang brenn, günter cramer) die mit reinhold weist von den grünen an der seite von hans eichel SPD der späteren ersten rot-grünen kasseler stadtregierung das profil gab-
Der gerade verstorbene feuilletonist MICHAEL RUTSCHKY vom melsunger gymnasium wie der bourdieu überstzer HORST BRÜHMANN (homberger schulecho“)
Nahmen sich leider nicht die zeit für die rückbesinnung auf ihre rebellische jugend

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ICH NANNTE IHRE NAMEN –auch wenn sie schon verstorben oder weggezogen waren –zuerst den vom lateinlehrer WIESNER, einem sadisten —aber auch den vom ehepaar reese, das zwar mich in ruhe liess aber doch wolfgang und werner und hans gnadenlos vorführten -und viele meiner klassenkamerden wieder zurück auf die dörfer geschickt haben statt sie zu fördern—-isolde bahr eine sensible homberger leherstochter-die ständig pillen gegen ihre schul-ängste schlucken musste, machte später selbstmord—
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Es war eine verpflichtung für mich und eine genugtuung die namen dieser pädagogischen quälgeister und liquidatoren in der alten aula laut zu nennen—
Und von unsren ängsten in der schule zu reden. mein klassenkamerad heinz nöding, der unten im publikum saß könne das bezeugen das stimmt doch heinz, was ich hier sage-???
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ich drückte meine hoffnung aus, dass den schülerInnen und schülern, die mir an diesem vormittag in unsrer alten aula zuhörten, ein typisches schul-schicksal wie das unsrige der 50er und 60er jahren erspart bleiben möge —an mir aber,—bat ich sie— sollten sie sich kein beispiel nehmen,
wenn sie erfolgreich nach oben kommen wollen
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WER mit-zittern—mit-fiebern—mit-mischen –mit-laufen mit-gestalten und mit-regieren möchte wie gerhard schröder und joschka fischer –die beide wie ich von unten aus bildungsfernen schichten kommen – der muss auch mit-marschieren und mit-bombardieren —der zahlt einen hohen preis dafür — seiner humanität und seine solidarität –
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Aber schon von meinen beiden homberger lehrern herrn walter thümer und herrn bernhardt modes —–noch lange vor meinem soziologie–studium in frankfurt bei adorno und marcuse – habe ich gelernt, dass linke und liberale opposition und rotation die voraussetzung ist für die kontrolle von macht und herrschaft in der demokratie —
Und dass radikal sein an die wurzel gehen heisst und das meint die abschaffung des kapital-verwertungs-prozesses als voraussetzung für eine demokratische und humane gesellschaft, in der nur noch halb soviel stress herrscht, weil nur noch halb soviel gearbeitet und unfug produziert wird und blödsinn konsumiert wird wie heute
das ist eine gesellschaft „in der man endlich ohne angst vrschiedensein kann“ (adorno)-
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Grauselig dass seehofer und die AFD mit angst und schrecken und bequemen sündenböcken —wie trump —versuchen, ihre wähler für blöd zu verkaufen-
Ihr appell an unsere ängste und kälte und an stumpfsinnigen patriotismus und an verlogene heimat-seligkeit und grenzen dicht mit totaler überwachung mit polizei und soldaten
Sollte kritisch durchdacht werden und –ihm sollte energisch widersprochen werden

Über Dieter Bott (Gastautor):

2 Kommentare

  1. Martin Böttger

    Ich kann die meisten von Dir geschilderten Phänomene bestätigen, und zwar für die darauf folgenden 70er Jahre.
    Sadistische Alt-Nazis als Sportlehrer, prügelstrafende Oberstudienräte in Unterricht und Treppenhaus – immerhin einen (isolierten) Sozi als Schulleiter, der meine Schülervertretung als Bündnispartnerin brauchte, um nicht abzusaufen. Er, Herbert Sokolowski, lebt übrigens noch (93?) und schreibt Bücher. Die rechten Studienräte-Seilschaften gibt es noch bis heute; wenn einer beerdigt wird, stehen alle am Grab und sorgen für lobhudelnde Nachrufe in der Lokalpresse, HEUTE!
    Das nur zur Begründung, warum ich Deinen Text so gerne genommen habe. Die nostalgische Verklärung dieser Zeit durch die herrschenden Medien ist Ideologieproduktion für den heutigen Bedarf. Wir sollen nicht erkennen, dass es einen historischen Fortschritt gibt, dessen Vorantreiben in unserer Hand liegt und unsere Verantwortung ist.

  2. Martin Böttger

    Noch eine Nachmeldung meinerseits: Dieter Botts Darstellung ist anekdotisch, aber wahr. Erlebnisse dieser Art gab es zu jener Zeit zahlreich.
    Was sich dagegen der milliardenschwere Apparat der ARD erlaubt hat:
    http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/deutschland-68-nicht-alle-liebten-rockmusik-15512375.html
    wird von Dieter kostenfrei und redlich getoppt. Ich bin darum glücklich, ihn über seine Fussballfan-Arbeit in den 90ern kennen gelernt zu haben.

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