Das “Integrationsbarometer”
Vor einigen Wochen hatte Naika Foroutan bereits darauf hingewiesen, dass sich in Deutschland mehr Menschen für Flüchtlinge alltäglich-praktisch engagieren, als AfD wählen. Die “Stimmung”, die uns in erster Linie durch veröffentlichte Meinungen auf Kanälen aller Art vermittelt wurde und wird, ist anders. Da weht der Wind von weit rechts. Auch die Mitte und die Linke arbeiten sich daran ab, statt zu tun, was ihre demokratische Aufgabe wäre: im demokratischen Wettbewerb eigene Themen zu setzen und zu bearbeiten – nur das verspräche Erfolg.
Die den Diskurs immer noch privilegiert beherrschenden öffentlichen und privaten Medien müssen sich hierzu selbst befragen. DLF-Kommentatorin Claudia van Laak hat das gestern richtig erfasst. Immer noch lassen sie sich von der AfD-nahen Bild genannten sogenannten Zeitung am Nasenring durch die Agenda ziehen, obwohl dieses Organ des Springer-Konzerns, im Besitz einer Freundin Angela Merkels, seit den 90ern zwei Drittel seiner verkauften Auflage verloren hat. Das heisst: “das Volk” liest den Trash gar nicht mehr, aber die Medienfuzzis in Hauptstadtberlin, haben anscheinend nichts anderes gelernt. Insbesondere an den nachrichtenarmen Wochenenden ist es immer noch so, dass die Themensetzung der Springerpresse, unterstützt durch bereitwillige Interviewpartner*innen der Parteipolitik, den Diskurs bestimmt, bis in die Nachrichtensendungen öffentlich-rechtlicher Medien hinein, die sich verhalten wie ein Kaninchen, das sich danach sehnt, dass die feindliche Schlange endlich zubeisst.

Es sind sehr, sehr viele, die sich von Politiksimulationen abwenden

Die Menschen, die das “Integrationsbarometer” eines Bündnisses milliardenschwerer deutscher Industriestiftungen angetroffen zu haben scheint, es sind sehr, sehr viele, haben sich innerlich von dieser inszenierten Politiksimulation ab-, und dem sozialen Alltag in ihrer Lebensumgebung zugewandt. Aus demokratietheoretischer Perspektive eine sehr erfreuliche Immunreaktion. Es bleibt das Problem, dass diese Menschen sich weder durch politische Parteien, noch durch gesellschaftlich relevante Medien repräsentiert sehen.
Dass das so ist, hat, in unschöner historischer Tradition, etwas mit der anhaltenden Indifferenz der saturierten konservativ-bürgerlichen Mitte in Deutschland zu tun, repräsentiert nicht nur durch (mehrere) Parteien, sondern z.B. exakt die Konzerne, die ihre Stiftungen hier haben barometern lassen.

Die Jämmerlichkeit des sich kapitalisierenden Sports

Sehen Sie nur, als aktuelles Beispiel, das Jämmerlichkeit des sich immer stärker kapitalisierenden Sports. Sein relevantester Teil wird in diesem Blog bereits ausgiebig begleitet. Dass es anders geht zeigte nicht nur der Fußball in Schweden, sondern jetzt auch der deutsche Basketball. Die Hauptströmung, der Mainstream wird aber durch den DOSB und einen grössten Mitgliedsverband DFB bestimmt. Und Sponsorenkonzerne. Die Allianz, Grossaktionär bei dem Fusballkonzern aus dem süddeutschen Raum, deren Geschichte mit masslosen historischen Verbrechen belastet ist, und die sich auch heute berechtigter Kritik ausgesetzt sieht, hat sich nun – ausgerechnet – dem von einem deutschen FDP-Politiker geführten Internationalen Olympischen Komitee als Geschäftspartner an den Hals geworfen. Das IOC muss seine Spiele in Zukunft wohl an Orten austragen, die demokratische Bürger*innen*entscheide in ihren Verfassungen nicht vorsehen, mitunter sogar Demokrat*inn*en verfolgen, und so Fluchtursachen schaffen.
Medienpolitische Nebenbemerkung: bei der recherchestarken und in München um die Ecke residierenden SZ-Sportredaktion habe ich zu diesem naheliegenden Thema (online) noch nichts gefunden. Der Versicherungskonzern ist doch nicht etwa ein grosser Anzeigenkunde, Kreditgeber oder gar Miteigentümer?
Aber der “menschliche Erkenntnisprozess” soll ja “prinzipiell unabschliessbar” sein (Leverkusener Manifest der Jungdemokraten, 1971).

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net