Gegen USA und Russland – diesmal in Libyen?
Ich hatte mich schon gewundert, warum die seit dem Sturz Ghadafis andauernden mörderischen Bandenkriege in Libyen wieder Aufmerksamkeit in der deutschen Öffentlichkeit bekommen. Es hängt wahrscheinlich mit dem Vorsitzamt im UN-Sicherheitsrat und einer entsprechenden deutschen Interessenoffensive zusammen. Das muss nichts Schlimmes sein, kann aber. Das verdeutlichte heute der Herr Wadepuhl, mit dessen Interview ich aus dem Bett fiel. Zum unsinnigen “Zuschauen”-Geschwafel hatte ich hier bereits argumentiert.
Viele Frames werden da wachgerufen. Viele deutsche Konservative meinen bis heute, dass der Generalfeldmarschall Rommel ein Guter war. Hätte Hitler nicht den einen oder anderen “Fehler” gemacht, hätte Deutschland den 2. Weltkrieg auch “gewinnen” können, mit solchen Leuten wie Rommel. Leider haben sich dann die Tommys, Franzmänner und übergelaufenen, feigen Itakker Nordafrika unter den Nagel gerissen.
Doch jetzt, mit dem deutschen UN-Sicherheitsratsvorsitz, ist die Chance für eine politische Revanche gekommen. Und das weltweite Misstrauen gegen dieses deutsche Manöver ist gross. Im Kleingedruckten wird gemeldet, eine Sicherheitsratsresolution zu Libyen sei gescheitert – an den USA und Russland. Im neokonservativen aussenpolitischen Diskurs der USA hat sich der berüchtigte Robert Kagan, ein Überläufer von Trump zu Hillary Clinton, zu Wort gemeldet: “Die Neue Deutsche Frage” (dieser Link zu einer deutschsprachigen Zusammenfassung verschwindet in einigen Tagen in einem Paywall-Archiv; Wortlaut hier).
Wadepuhl & Freunde haben also ein Problem: wie kriegen sie eine UN-Resolution für das nächste Bundeswehr-Abenteuer hin? Gäbe es Alternativen?
Klares Ja, aber keine davon ist leicht, und noch weniger billig.
Erstens müssten so viele Menschen wie möglich aus dem Schussfeld der marodierenden Milizen in Libyen gerettet werden. Hier schreibt FAZ-Korrespondent Christoph Erhardt aus dem weit entfernten Beirut, aber immerhin mit arabischen Sprach- und Medienkenntnissen, wie es dabei aktuell zugeht, hier Mirco Keilberth aus der taz.
Arabische Sprachkenntnisse – wieviele Deutsche haben überhaupt welche? Und wieviele bei der Bundeswehr? In einer 15-Minuten-Recherche ist es mir nicht gelungen, das herauszufinden. Wer in Libyen – friedlich! – politisch intervenieren will, braucht Menschen mit solchen Kenntnissen und folgenden Zusatzqualifikationen:
Zweitens: Politikberatung, Verhandlungskompetenz, zivile Vermittlungsarbeit; die Bundesregierung könnte eine Zweigstelle der SWP in Tripolis einrichten – obwohl: in Syrien war das auch schon gewaltig schiefgegangen;
Drittens: Ökonom*inn*en, die eine Idee davon haben, wie eine Rohstoffökonomie vom Extraktivismus auf produktive, nachhaltige alternative Branchen umgestellt werden kann, eine Aufgabe, an der schon superreiche feudale Despotien unter ungleich günstigeren Bedingungen scheitern;
Viertens: Sozialarbeiter*innen, Streetworker*innen, die jungen Männern berufliche Alternativen zum Milizionär und Sklavenhändler aufzeigen.
Für was davon wurden Bundeswehrangehörige ausgebildet? Gibt es überhaupt mehrere Dutzend Deutsche, die diese Qualifikationen mitbringen? Wenn ja, können sie, dieser Wadepuhl-Hinweis ist sogar sachgerecht, im Westen in Algerien und im Osten in Ägypten gleich weitermachen.
Und wenn die Bundesregierung das alles in in ihrer politischen Omnipotenz hingekriegt hat, dann gibts auch keine Fluchtursachen mehr, und die Welt wird menschenwürdig. Eine Alternative zum “Zuschauen”.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net