Stellen Sie sich vor, Sie rufen arglos die Auskunft an, weil Tante Emma umgezogen ist. Zunächst hängen Sie in der Warteschleife – kennt man schon – dann meldet sich eine superfreundliche Callcenteragentin, entschuldigt sich erstmal für die lange Wartezeit und bietet Ihnen ein kleines “Entschuldigungspaket” in Form von 1 Woche kostenloser “Netflix”-Nutzung an. Woher wusste sie, dass Sie sauer waren? Aufgrund einer Spracherkennungssoftware, die anhand Ihrer Stimme Ihre Stimmung analysieren kann. Und noch ganz viel mehr – ohne dass Sie das geahnt hätten!
Ob das bereits künstliche Intelligenz ist, darüber lässt sich trefflich streiten, ist aber auch irrelevant: Auf jeden Fall lernt die Software, zu erkennen, ob die Sprecherin des Satzes “ich möchte eine Telefonnummer in Berlin haben” fröhlich, entspannt, ängstlich, genervt oder aggressiv ist. Das wird derzeit in einem Forschungsprojekt mit der privaten Auskunft 11880 – “hier werden Sie geholfen”- ausgetestet. Derartige Stimmerkennung ist aber erst der Anfang der Möglichkeiten. In der nächsten Stufe erkennt die Software Ihre Stimme und ordnet sie Ihren Daten – in diesem Fall der Rufnummer, falls sie sie nicht unterdrückt haben, zu. Ein eindeutiges biometrisches Erkennungsmerkmal. Wenn Sie das nächste Mal bei der Auskunft anrufen, wird sie das Portal deshalb namentlich begrüßen: Hallo Frau Möbius, schön, dass Sie wieder bei uns anrufen, was kann ich für Sie tun? Darf ich Ihnen wieder ein thailändisches Restaurant vorschlagen oder darf ich Ihnen eine Probe unseres neuen biodynamisches Hundefutters zuschicken? (Die Analyse der Hintergundgeräusche des letzten Anrufs hatte freundlich-aufforderndes (!) Bellen enthalten, das Hunde nur ihren Futterspendern gegenüber äußern).
All dies ist bereits “schöne neue Gegenwart”. Die Forschungssoftware ist am vergangenen Freitag in den Fernsehnachrichten vorgestellt worden. Allerdings in einer völlig unkritischen und – man mag es fast nicht glauben – völlig naiv-neutralen Art. Weder erkannten die Autoren des Beitrags, dass es sich um biometrische Daten handelt, mit denen gearbeitet wird, noch war ihnen anscheinend die Rechtslage bewusst, nach der solche Daten nach der Europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) besonders geschützt sind.
Die “schnelle Nummer” 11 88 0 braucht deshalb nach geltendem Recht nicht nur eine besondere Rechtsgrundlage, um derlei biografische, sensible Daten überhaupt erfassen und speichern zu dürfen, und muss mehr als die Einwilligung sein. Das ganze Projekt müsste die Betroffenen Fragen, ob sie einverstanden sind, dass im Forschungsprojekt ihre biometrischen Daten ausgewertet und gespeichert werden. Zuvor müssten sie hinreichend informiert werden und in die Lage versetzt werden, der Erfassung, Analyse und Speicherung zu widersprechen. Genau dafür wurde die Europäische Datenschutz-Grundverordnung geschaffen. Und genau da entfaltet sie ihre Wirkung als Schutz der Bürgerrechte jedes und jeder Einzelnen von uns. Wenn darauf einigermaßen kompetente Journalisten nicht kommen und hinweisen, ist das ein Alarmsignal, das ein erschreckendes Licht auf das bürgerrechtskritische Potenzial in den “Qualitätsmedien” wirft.
Denn die Wirklichkeit der Daten im Zuge der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz und selbst lernenden Systemen der IT wird immer sensibler, nähert sich einer Verdatung des Kernbereichs unserer Persönlichkeit immer stärker. Immer mehr wäre kritische Distanz und Sorge um die Freiheitsrechte der Einzelnen angebracht. Aber immer schneller dreht sich die Spirale des Einsatzes solcher Techniken. So könnte zum Beispiel “Alexa” von Amazon damit in naher Zukunft nicht nur intimste Familiengespräche belauschen, sondern künftig auch Dossiers über die seelische Verfassung der “freiwillig” ausgeforschten Klienten anlegen. Sie wüsste damit mehr, als der Hausarzt. Mit dem Unterschied, dass für den das Patientengeheimnis gilt und z.B. “Amazon” solche Daten kommerziell und skrupellos sammelt, verknüpft, speichert und ausbeutet. Dank DSGVO sind wir nicht wehrlos – aber wir müssen das erkennen und entsprechend handeln.
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