Die diesjährigen Waldbrände in Sibirien und Amazonien sowie die Eisschmelze überall da, wo noch welches war, machen uns klar, dass die Menschheit vor Problemen steht, die ein einzelner Staat nicht lösen kann. Die Zerstörung des Völkerrechts und jeglicher multilateraler Systeme durch das System Trump kann auf diese Weise eine ähnliche Wirkung entfalten, wie ein militärischer Weltkrieg.
Darum ist es gewiss richtig, wenn sich der deutsche Aussenminister verbal für die Verteidigung multilateraler Systeme und Beziehungen einsetzt. Damit ist er (und wir) jedoch nicht aus dem Schneider, sondern damit geht es erst richtig los. Mit wem will er diese Verteidigung schaffen? Was tut er (und wir) dafür? Diese “Geschwindigkeit”, die wir derzeit sehen können, reicht mit tödlicher Gewissheit nicht aus.
Wenn die Regimes Russlands und Brasiliens wochenlang ihre Wälder abbrennen lassen, bevor sie überhaupt auf die Idee kommen, dagegen etwas zu unternehmen, dann geht das einerseits “alle” an. Die Frage an “alle” ist dann ganz pragmatisch: wie wollt und könnt ihr diese Regierungen zu einem anderen, entschlossenen (und nachprüfbaren) Handeln bewegen? Diese – auch aus meiner persönlichen Sicht – einerseits unterschiedlichen, andererseits aber beide aussergewöhnlich unangenehmen Regierungen, die ich, wäre ich Bürger ihres Landes, aktiv bekämpfen würde – sind nach ihren eigenen Gesetzen auf legale Weise gewählt worden. Selbst, wer das anders sieht, muss eingestehen: sie sind Realität. Genügt es uns, sie zu Schuldigen des kommenden Weltuntergangs zu erklären? Natürlich nicht, wir wollen ja weiterleben, und wünschen es auch für unsere Nachkommen. Dann bleibt nur, diesen Regimes Angebote zu machen, die sie nicht ablehnen können. Keine Einzelpunkte, sondern umfangreiche Pakete, die Schritt für Schritt abgearbeitet und überprüft werden können. Das nennt mann Aussenpolitik. Nur mal als Denkfigur: wenn wir euch Feuerlöschen und Aufforsten helfen dürfen, dann würde diese und jene Russlandsanktion aufgehoben. Wenn die Krim zu einer autonomen und neutralen Region würde, gäbe es keine G7 mehr, sondern nur noch G8 oder besser G20.
Wenn Brasilien den Erhalt des Regenwaldes garantiert, mglw. umfangreiche Wiederaufforstungsprogramme betreibt, und aufhört, Teile seiner eigenen Bevölkerung systematisch zu diskriminieren, bekommt es privilegierte Zugänge zur EU.
Um solche positiven Sanktionen überhaupt seriös und geschäftsfähig anbieten zu können, wäre ein erheblich ausgeweiteter Sockel an Gemeinsamkeit in der EU erforderlich. Wo soll der herkommen? Auch das wird gewöhnlich Aussenpolitik genannt. Das reicht von gemeinsamen Einwanderungsregeln, Mindestlöhnen, Steuern und Umweltstandards, bis zum Verzicht auf Niederkonkurrieren durch aggressive Exportwirtschaft. All das wären schöne Themen im EU-Wahlkampf gewesen. Aber wo waren sie?
Dieses Szenario zeigt mir selbst, dass ich in Deutschland keine Parteien oder gar Regierungskonstellationen kenne, die auf diese Aufgabe vorbereitet sind. Ich kenne nur wenige Stellen in Berlin (und das sind keine Parteihäuser oder Ministerien), wo überhaupt über sowas nachgedacht wird. Das führt zu dem Schluss, dass die Klimabasisbewegungen – auch das wäre schon eine Kunst – zugleich grösser und radikaler werden müssen. Ich bin 62 und weiss, dass die Zeit immer knapper wird. Leider auch für die Jüngeren.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net