von Sandra Schmidt
Drei Generationen Frauenfußballerinnen aus Argentinien

Auf den ersten Blick mutet es schon ein wenig paradox an, das Verhältnis zwischen Frauenfußball und Argentinien. Man könnte doch meinen, dass das Land von Menotti, Maradona und Messi auch seinen Frauenfußball fördert, einfach weil es Fußball ist. Und man könnte auch meinen, dass es dort, wo die 2015 gegründete Initiative Ní una menos Hunderttausende auf die Straßen bringt, um gegen Gewalt gegen Frauen zu demonstrieren, Frauen die Fußball spielen nicht der Rede wert sind. Weit gefehlt. Zu Beginn des Jahres hat Sandra Schmidt drei Generationen Frauen getroffen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, das zu ändern.

Andrea Conde – Für die Abgeordnete des Blocks Unidad Ciudadana im Stadtparlament von Buenos Aires ist Fußball eine Leidenschaft und auch Teil ihres politisches Programms: „Ich bin Vorsitzende der Kommission Frauen, Kinder und Jugendliche und ich bin überzeugt, dass der Sport im Allgemeinen eine grundlegende Bedeutung hat, wenn es darum geht, feministische Ansätze zu begreifen und zu verbreiten.“ Ausgangspunkt ihrer Initiative war der Umstand, dass es für Mädchen und Frauen, die im Armenviertel Villa 31 Fußball spielen möchten, kaum einen Ort gibt, an dem sie das tun können. Andrea und ihre Mitarbeiterinnen stellten mit Unterstützung verschiedener Viertelsinitiativen die Liga „Nosotras jugamos“ (Wir Frauen spielen) auf die Beine. Ein Projekt, das allem voran organisatorischer Natur ist: Wo gibt es einen Platz? Wann kann die Frauenliga dort spielen? Was kostet die Miete? Wer übernimmt die Kosten, wenn die Teams selber dafür nicht aufkommen können? 2018 konnten so über 300 Kinder, Mädchen und Frauen organisiert Fußball spielen. Gegenwehr nach dem Motto: „Wie Frauen, die Fußball spielen wollen? So was wollen wir hier nicht!“ habe es nicht gegeben. Eher im Gegenteil, man sei bei den Frauen auf Enthusiasmus und bei den Männern auf Verständnis gestoßen. Offizielle Stellen, wie der argentinische Fußballverband AFA waren nicht involviert. Die politische Orientierung spielt in der Liga explizit keine Rolle. Andrea Conde: „Jede, die Fußball spielen möchte, ist willkommen! Aber ja, wir denken nicht nur ans Spielen. Der Platz soll einen Raum bieten, in dem wir uns darüber verständigen, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Aus meiner Sicht ist der Zugang zum Sport ein Recht und zwar ein Recht, das Frauen in Argentinien immer noch viel zu häufig verwehrt wird.“
Als Andrea Conde Die Pionierinnen, eine Gruppe von ehemaligen Nationalspielerinnen, kennenlernte, entstand rasch ein gemeinsames Projekt: Einen Tag der Fußballerin sollte es geben. Und zwar den 21. August, jenen Tag, an dem ein argentinisches Frauenteam bei der inoffiziellen Weltmeisterschaft 1971 in Mexiko ausgerechnet gegen England in der Vorrunde 4:1 gewann. Noch bevor der Tag in diesem August erstmals offiziell gefeiert werden konnte, organisierte Andrea Conde in ihrem Büro ein Treffen mit einigen Pionierinnen, die quasi in Teamstärke und mit großen Mengen Mate gewappnet antraten.

Weltmeisterinnen von 1971

Elba Selva, Teresa Suarez y Lucila Sandoval – Dabei ist Elba Selva, die Spielerin, die 1971 alle vier Tore geschossen hat. Die bescheidene 74-Jährige wirkt immer noch so sportlich wie auf den alten Teamfotos. Außerdem ihre damalige Teamkollegin Teresa Suárez, der das Aufnahmegerät ein wenig unangenehm ist, und Lucila Sandoval, genannt Luky, die Gründerin der Pionierinnen. Sie argumentiert nicht explizit parteipolitisch und doch wird deutlich, dass ihr Engagement auch eines gegen die Regierung Macri und für ein im Grundsatz peronistisches Programm ist. Sie ist der Motor aller Aktivitäten, trommelt die alten Damen zusammen, wo immer es einen Termin für die Sache des Frauenfußballs gibt. Und sie hat auf jede Frage eine klare Antwort.

Elba, wie bist Du überhaupt zum Fußball gekommen?

Ich hatte als Kind mit dem Basketball spielen angefangen, habe aber nie getroffen und deshalb irgendwann angefangen, den Ball mit den Füßen gegen alles Mögliche zu schießen. Ein anderes Mädchen hat dann gesagt: Komm’, lass uns Fußball spielen gehen, da gibt es andere Mädchen, die spielen Fußball.

Spielten in Buenos Aires in den sechziger Jahren viele Mädchen Fußball?

Nicht annähernd so viele wie heute. Wir waren eigentlich immer die gleichen, die dann in verschiedenen Trikots an verschiedenen Orten, auch in den Provinzen, spielten.

Wie hat Deine Familie reagiert?

In meinem Fall wollte meine Mutter nicht, dass ich spiele, aber mein Vater schon. Er war ein großer Fußballfan und ich kenne alle Stadien, weil er mich immer mitgenommen hat. Er hatte damals keinen Sohn, die Rolle bekam ich einfach und er hat auch mit mir gespielt. Zu Hause hatten wir zwischen Küche und Essraum zwei Türen genau gegenüber, da hat er mir das Kopfballspiel beigebracht.

Teresa, wie war bei Dir der Anfang? Wer waren Deine Vorbilder?

Das erste Spiel, das ich spielte war Verheiratete gegen Singles, meine Mutter hatte mich angemeldet und so fing ich an bei mir im Viertel in San Fernando. Da waren viele Mädchen, die gut spielen konnten. Meine Vorbilder waren drei Schwestern, die Schwestern Ortiz, sie spielten richtig gut und ich versuchte, sie zu kopieren. In der Zeit, da habe ich diese Unruhe entwickelt, diese Lust, immerzu Fußball zu spielen.

Unter dem Dach der FIFA, dem Internationalen Fußballverband, gibt es Frauenweltmeisterschaften erst seit 1991. Das Turnier in Mexiko 1971 nannte man damals ‚Weltcup’ oder ‚Mundial’. Wie war die Vorbereitung?

Teresa: Mexiko war im Jahr davor hier gewesen und wir kamen aus verschiedenen Mannschaften zusammen und haben gegen sie gespielt. Da haben sie uns dann für 1971 eingeladen, glaube ich.
Elba: Also wir trainierten bei der UTA (Gewerkschaft der Busfahrer) und da haben wir uns dann fast einen Monat lang vorbereitet auf das Turnier. Die meisten von uns hatten auch vorher schon zusammen gespielt.

Elba, welche Erinnerung hast Du an das Spiel, in dem Du alle vier Tore gemacht hast?

Das war unglaublich! Das war alles perfekt organisiert und sie haben uns alles gegeben, was uns fehlte. Das Atztekenstadion war voll, da waren 110 000 Menschen, die uns zugeschaut haben und bei jedem Tor haben sie angefangen, Argentina! Argentina! zu skandieren. Das ist wirklich eine sehr schöne Erinnerung.

Wie sah man denn Anfang der 70er Jahre den Frauenfußball in Argentinien?

Elba: Sie haben uns nie akzeptiert! Wenn wir spielten gab es Kommentare wie: Geh’ besser Geschirr waschen! Nie hat jemand gesagt: Hej, die spielen aber gut! Oder hätte uns sonstwie Mut gemacht. Heute akzeptieren die Männer eher, dass Frauen genauso Sport treiben wie sie.

Luky, wie sind Die Pionierinnen entstanden?

Eigentlich begann alles 1988, als ich meinen ersten Vertrag unterschrieben habe. Da habe ich in diesem Büro des argentinischen Frauenfußballverbandes gestanden und dieses gerahmte Bild gesehen: Argentinische Auswahl Mundial Mexiko 1971 stand da drunter. Ich bin 1970 geboren und im Grunde hatte ich seit jenem Tag das Bedürfnis, diese Frauen von dem Photo zu finden. Immer, wenn ich in meinen 27 Jahren als Fußballerin auf’s Feld gegangen bin, habe ich mich gefragt: Ob wohl eine von ihnen im Publikum sitzt? Als ich dann 2016 meine Karriere beendet habe, da habe ich entschieden, sie zu suchen. Und ich dachte, eine Vereinigung von ehemaligen Spielerinnen ist wichtig und habe Die Pionierinnen ins Leben gerufen. Teresa, Dich habe ich als Erste gefunden und Du hattest mich sogar mal spielen sehen! Und dann habe ich Betty und Eva gefunden und ganz zum Schluss Elba.

“Es geht um die jungen Spielerinnen – mach es für sie!”

Was habt ihr beiden denn gedacht, als Luky auf Euch zugekommen ist?

Teresa: Mich hat das ziemlich viel Überwindung gekostet, da mit zu machen und zu Terminen zu gehen. Erst habe ich immer gesagt: Ich habe meinen Job, ich mache hier Sozialarbeit im Viertel und ich habe keine Zeit. Als wir dann letztes Jahr im Juni zum ersten Mal noch andere aus dem 1971er Team dabei sein sollten, da habe ich eine Freundin gebeten mich zu begleiten. Alleine hätte ich mich nie getraut. Aber seitdem bin ich dabei.

Elba: Ach, Luky, das habe ich Dir ja schon so oft gesagt, dass ich mich schäme, dass ich nicht früher gekommen bin. Sie hatte mir ja immer gesagt: Es geht nicht um Dich, es geht um die jungen Spielerinnen von heute. Deswegen musst Du kommen! Mach’ es für sie! Meine Freundin Martina hat dann auch gesagt: Du solltest das machen! Jetzt bin ich immer dabei, wenn ich etwas tun kann und das hätte ich von Anfang an tun sollen.

Luky, was für Aktionen machen Die Pionierinnen?

Also, ich habe ein Radioprogramm, wo ich ehemalige Spielerinnen aus allen Generationen einlade, damit sie ihre Geschichte erzählen. Viele hatten es schwer und haben sich doch durchgesetzt und so wollen wir den jüngeren Generationen Mut machen. Diese Frauen hier sind ja der Beginn des argentinischen Frauenfußballs! Wir gehen in die Viertel, zu Spielen der 4- oder 5-Jährigen, es gibt ja viel mehr Fußball als den, der von der AFA organisiert wird, gerade in den ärmeren Vierteln. Und wir gehen zu Demos und Solidaritätsaktionen, immer dann, wenn es um Frauenrechte geht, das ist ja letztlich unser Anliegen. Ich sage immer: Die Zukunft wird wunderbar sein!

Feministische Bewegung sehr präsent

Welchen Einfluss hat denn die feministische Bewegung, die ja gerade sehr präsent ist hier in Buenos Aires?

Dank dieser Bewegung schaut man uns schon anders an, und wir verstehen uns als Teil von ihr. Im letzten Jahr haben wir sehr viel mehr Zuspruch erhalten und das hat auch mit der feministischen Bewegung zu tun. Viel mehr junge Eltern bringen ihre Töchter jetzt in die Fußballklassen der ganz Kleinen. Aber wir arbeiten daran, dass sich der Fußball in den höheren sozialen Klassen durchsetzt, denn es ist wie immer: Wenn sich etwas da durchsetzt, dann erst akzeptiert es die ganze Gesellschaft.

Teresa, wie siehst Du die Zukunft des Frauenfußballs in Argentinien?

Ich wünsche mir, dass die Mädchen, die hier heute spielen, ein ordentliches Gehalt bekommen. So, dass sie davon in Würde leben können und Zeit haben für das Training und die Vorbereitung auf ihre Spiele. Davon sind wir noch weit entfernt, weil es an der notwendigen Unterstützung fehlt. Dabei hätten sie es verdient.

Camila Gómez Ares – ist eine von ihnen. Sie sitzt mit am Tisch und hat bislang nur zugehört. Cami, wie sie genannt wird, ist 24 und spielt seit fünf Jahren für Boca Juniors in der ersten argentinischen Frauenliga. In der ersten Liga spielte sie schon mit 14 Jahren, damals beim Erzrivalen River Plate. Mit der Nationalmannschaft gewann sie 2014 die Südamerikaspiele und stand im Team, das Argentinien den Startplatz bei der diesjährigen Weltmeisterschaft in Frankreich sicherte, wo sie wegen einer Verletzung fehlte. Auch Camis Weg zum Fußball ist eher eine Aneinanderreihung von glücklichen Zufällen als das Ergebnis einer konsequenten Talentsichtung und –förderung, die es im argentinischen Frauenfußball nicht gibt. Ihr größerer Bruder hatte sie schon als Einjährige als Torhüterin in die Türen des Hauses gestellt und der Ball habe sie immer mehr fasziniert als die Turnstunde, zu der ihre Schwester ging. „Damals war klar, dass die Mädchen zum Turnen gehen und die Jungs zum Fußball,“ erzählt sie: „Ich bin dann mit den Fußballschuhen von meinem Bruder zum Turnen und die Eltern der anderen Mädchen haben sich schrecklich aufgeregt.“ Irgendwann gaben ihre Eltern nach. In der Kinderliga in Vincente Lopez, einem Bezirk der nördlich an Buenos Aires grenzt, war Camila über viele Jahre das einzige Mädchen. Als sie zum ersten Mal einen Spielerausweis braucht, verwehrt der Verband ihn, den gebe es nur für die Jungs. „Meine Eltern haben dann die Regeln gelesen und da stand nichts von Mädchen oder Jungs. Vermutlich war nie jemand überhaupt auf die Idee gekommen, dass auch ein Mädchen Fußball spielen könnte. Meine Eltern haben Unterschriften gesammelt und alles Mögliche in Bewegung gesetzt und in dem Jahr mussten sie mir den Ausweis schließlich geben. Im Jahr danach haben sie die Regeln geändert und ich durfte nicht mehr mitspielen.“ Das war im Jahr 2000. Camilas Mutter fand einen Verein in Buenos Aires, in der die Kinderliga offiziell gemischt war. Bis sie mit zwölf Jahren einem der Trainer von River Plate auffiel, spielte sie dort, meist immer noch als das einzige Mädchen unter Jungs. Dann ging alles ziemlich schnell und Camila wurde zu einer der besten Mittefeldspielerinnen Argentiniens. Das ganze Leben ist um die täglichen Trainingszeiten herum organisiert, neben Studium und Arbeit. Erst in diesem Juli unterschrieb sie einen Profivertrag bei Boca Juniors: Anstatt nur Reisekostenzuschüsse erhält sie nun rund 450 Euro im Monat.

“Mannweib!” – etwas tun, was die patriarchalen Strukturen nicht zugestehen

Die Pionierinnen kennt Camila Gómez Ares bislang nur aus der Presse. Obwohl fast fünfzig Jahre dazwischen liegen, hat sich in mancherlei Hinsicht wenig geändert. Beleidigungen auf dem Spielfeld gibt es immer noch: „Das was Elba gesagt hat: Geh’ besser Geschirr waschen! – das höre ich am häufigsten. Oder dass wir nicht spielen können, oder Mannweib! – das kenne ich schon seit Kinderzeiten. Als sei Fußball Synonym für Mann.“ Für Camila ist es nur logisch, dass eine Fußballerin, die für ihre Rechte kämpft, auch eine Feministin ist. Dem vorherrschenden Machismus sei nur über einen gesellschaftlichen Wandel insgesamt beizukommen, ist sie überzeugt, denn nicht selten seien es andere Frauen, die sie in den Sozialen Medien beschimpften. Die mangelnde Wertschätzung spiegele sich nicht zuletzt im Desinteresse des argentinischen Fußballverbandes, der für die Frauen nicht mehr als Sonntagsreden bereithält. Die Abgeordnete Andrea Conde plädiert für politisch grundlegende Reformen, die versuchen jahrhundertealte patriarchalische Machtstrukturen aufzuweichen. Fußball spielende Frauen sind für sie letztlich ein Beispiel unter vielen: „Ich würde sagen, dass jede Frau, die Fußball spielt und Freude daran hat, eine Feministin ist, auch wenn sie es selbst nicht so formuliert. Denn sie wagt es etwas zu tun, was die patriarchalischen Strukturen ihr nicht zugestehen.“
Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus ila 430 Nov. 2019, hrsg. und mit freundlicher Genehmigung der Informationsstelle Lateinamerika in Bonn. Zwischenüberschriften wurden nachträglich eingefügt. Meine Verehrung an die extrakompetente Autorin, die bereits ein Menotti-Interview zugeliefert hatte, heute noch lesenswert.

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