Am wenigsten versteht die Medienbranche von medialem Overkill. Wenn die alltägliche Arbeit eingestellt oder zurückgedrängt wird, um das Volk mit staatlichen Gedenkfeierlichkeiten zu beschenken, wächst schnell Überdruss heran. Schon als Jugendlicher in den 70ern ärgerte ich mich an Sonntagen im November, dass die Radiosender ihre Hitparaden ausfallen liessen, weil zwangsgetrauert werden sollte. An Karfreitagen gibt es gar politische Widerstände gegen die herrschenden Vergnügungsverbote. Darüber wundern sie sich dann – die die es umsetzen. Bei mir entsteht so ein Überdruss z.B. bei Wintersport. Sässe ich den ganzen Tag davor, stürbe ich an Langeweile. Aber 3-4 von 85 Mio. glotzen das voller Begeisterung, vor allem, wenn dabei geschossen wird (“Biathlon”) und machen ARD oder ZDF mit Marktanteilen (also dem Prozentanteilen von denen, sie insgesamt vor der Glotze hocken) von 10-15% glücklich. Und sparen viel Geld für redaktionelle Leistungen, die sonst investiert werden müssten, um das Programm zu füllen.
Wenn also 20-25% Überdruss an den Auschwitzerinnerungen entwickeln, sollte das nicht dramatisiert werden. Das ist geringfügig mehr, als AfD wählen, oder Flüchtlinge im Mittelmeer “absaufen” lassen wollen. Niemand ist gezwungen, den ganzen Tag vor ZDF-info (“Hitler privat”) zu hocken, das in der Tat das zweifelhafte Geschichtsbild Guido Knopps in einer dauerhaften Wiederholungsschleife recycelt.
In der mir eigenen strengen Auswahl habe ich zu Auschwitz jüngst bei ARTE zugeschaut, und gestern bei Phönix. Es ging immer auch um die Frage, ob “es” hätte verhindert oder wenigstens viel früher gestoppt werden können. Dazu sind die Meinungen bis heute geteilt geblieben. Nach meinem Gefühl, mehr kann es nicht sein, liegt Detlef Borchers/heise-online nah an den Tatsachen. Er analysiert ausserdem kritisch, wie das Gedenken von der gegenwärtigen Politik auf eine Weise instrumentalisiert wird, dass es für die Zukunft beunruhigen muss.
Alexander Hurst/New Republic (in deutscher Übersetzung in den Blättern) fürchtet z.B. für den Fall einer “drohenden” Trump-Wahlniederlage, dass der die schlummernden Potenziale für nackte Gewalt, Militär, Milizen und rassistische Vigilantenverbände, nur herbeikommandieren müsse, um einen neuen Bürgerkrieg zu inszenieren.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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