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Kemmerich durch Nazis Ministerpräsident

Der FDP-Vorsitzende von Thüringen hat sich mit den Stimmen von Bernd Höcke und seinen Neonazis sowie der CDU und FDP zum Ministerpräsidenten wählen lassen. Der Tabubrecher, der sich eben noch mit den Stimmen des Faschisten Höcke in Amt heben ließ, behauptete anschließend, gegen jeden Radikalen von rechts oder links Politik machen zu wollen. Wes Geistes Kind muss ein Politiker sein, der im Ernst glaubt, sich mit den Stimmen der AfD wählen lassen zu können, dabei von “bürgerlicher Politik” zu reden und meint, anschließend mit CDU, SPD und Grünen “konstruktive” Gespräche führen zu können? Dieser Mann ist eine Gefahr für das Land, seine Partei und für die Republik. Seine Wahl ist auch vor den historischen Hintergrund der Weimarer Republik ein Skandal.
Ein Hauch von Weimar, nannte Gerhart Baum den Vorfall, aber es ist schlimmer. Was oberflächlich als taktisches Spielchen eines verantwortungslosen Provinzpolitikers erscheinen mag, ist ein unglaubwürdiges Taktikspiel ohne jede Berechenbarkeit und politische Moral. Kemmerich behauptete in seiner Antrittsrede, sich gegen Extremismus “von Links und rechts” abzugrenzen, um danach die nächste Abstimmung auf Vertagung der Sitzung mit den Stimmen der heimlichen Koalition von AfD, CDU und FDP zu gewinnen. Die Behauptung “bürgerlicher Politik” erweist sich als Selbstbetrug. Kemmerich betreibt damit im Übrigen das ideologische Geschäft der AfD, die seit Jahren versucht, sich unter Verwendung dieser Begrifflichkeit in den Kreis der akzeptablen Parteien zu schleichen. Und das im Land des Faschisten Bernd Höcke.

Wenn Christan Lindner anschließend von “Freiheit und Weltoffenheit jenseits der AfD und Linkspartei” spricht, ist zu befürchten, dass zumindest Teile der FDP Gefahr laufen, geistig ins Fahrwasser ihrer Vorgängerpartei in Weimar, der nationalliberalen Deutschen Volkspartei zu geraten, die sich als Teil der “nationalen Front” begriff und den Untergang der Demokratie besiegelte. Deren historisches Wahlplakat von 1933 zeigt unter dem Titel  “Deutschlands Wiederaufstieg” drei Marschkolonnen unter den Bannern von DVP, DNVP und NSDAP, die in die gleiche Richtung marschieren – den “christlich-nationalen Block”. Die Haltung Lindners, man könne es nicht beeinflussen, wer ihren Kandidaten in geheimer Wahl unterstütze, ist scheinheilig und historisch verantwortungslos. Einzigartig auch, dass ein FDP-Vorsitzender nach einer solchen Erklärung keine Journalistenfragen zulässt.

Markus Söder hat recht, wenn er es als fragwürdig bezeichnet, dass sich die FDP einer Jamaika-Koalition verweigert hat, sich aber in Thüringen mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten wählen lässt. Aber auch Mike Mohring und die CDU müssen sich vorhalten lassen, dass sie nichts getan haben, um eine solche Koalition zu verhindern. Auch sie haben mitgewählt. Dass Paul Zimiak angesichts dieser Sachlage für Neuwahlen plädiert, ist konsequent. Es wäre sicher der beste Weg aus diesem politischen Desaster. Ob es aber dazu kommt, ist unwahrscheinlich. Eher wahrscheinlich ist, dass sich nach einer Schamfrist CDU und FDP zurechtkuscheln und sich als Minderheitsregierung von der AfD tolerieren lassen. Zur Freude von Höcke, Gauland, Weigel und Co, die sich einer Art Machtergreifung seit heute ein Stück näher fühlen dürfen – dank eines skrupellosen FDP-Politikers.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

4 Kommentare

  1. Martin Böttger

    Neuwahlen “der beste Weg aus dem Desaster”? Wieso das? Volk, Du hast falsch gewählt (zweifellos), also “Nachsitzen!”? Aus meiner Sicht ist es an CDU und FDP, Konsequenzen zu ziehen. Entweder in ihrem jeweiligen Thüringer Landesverband. Und wenn der nicht will, auf ihrer Bundesebene, die zu Taten statt Worten gezwungen werden muss. Grausam ist das Ganze für das eigentlich schöne Bundesland Thüringen: sein Ansehen in Deutschland und der Welt ist auf lange Zeit schlimmer geschädigt, als es Sachsen bisher geschafft hatte. Der arme Goethe in seinem Grab.

  2. Horst Eberlein

    “Der Landtag kann dem Ministerpräsidenten das Mißtrauen nur dadurch aussprechen, daß er mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen Nachfolger wählt. Den Antrag kann ein Fünftel der Abgeordneten oder eine Fraktion einbringen. Zwischen dem Antrag und der Wahl müssen mindestens drei, dürfen jedoch höchstens zehn Tage liegen. Die Wahl erfolgt in geheimer Abstimmung.” (Artikel 73 Thüringische Landesverfassung)
    Eigentlich müsste jetzt die CDU Bodo Rammelow als Ministerpräsidenten vorschlagen, um ein Zeichen für die Achtung der Demokratie und ihrer historischen Verantwortung zu setzen. Doch so etwas ist ja unvorstellbar. Lieber macht man die AFD durch Neuwahlen zur stärsten Partei in Thüringen oder paktiert insgeheim mit Teilen der AFD, um eben Neuwahlen und einen weiteren Stimmenverlust der CDU zu verhindern. Nicht das Volk, sondern der Landtag sollte nachsitzen.

  3. Roland Appel

    Lieber Martin,
    glaubst Du wirklich, dass der gestrige Fauxpas der FDP sie nicht aus dem Landtag katapultiert? Und dass ein Bodo Rameloh nach einem solchen Ereignis nicht gute Chancen hätte, eine klare Mehrheit zu bekommen? Nach dem Mißtrauensvotum 1972 haben Leute Willy Brandt gewählt, die jahrelang eingefleischte CDU-Anhänger waren. Ich glaube an die Vernunft der Menschen, solche hinterhältige Taten wie die von Kemmerich und die Reaktion von Kubicki und Lindner zu bewerten.

  4. Martin Böttger

    Ich glaube auch gerne an Vernunft. Sonst gäbe es diesen Blog nicht. Dieser Glaube ist aber oft nicht der richtige “Berater” in der Politik. Mit Vernunft sollte jede*r bei sich selbst anfangen, und sie nicht an Andere (“Volk”, “Wähler” u. ähnl.) delegieren. Es ist nämlich nie auszuschliessen (“Der menschliche Erkenntnisprozess ist prinzipiell unabschliessbar.” 1971), dass das Verfolgen solcher Projektionen selbst unvernünftig ist.

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