Beueler-Extradienst

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Die braune Last der FDP

Es ist ein historisches Desaster, dass es gerade die FDP ist, aus deren Reihen der erste Regierungschef in der Bundesrepubik Deutschland kommt, der mit den Stimmen der faschistischen AfD ins Amt gewählt worden ist. Der aus dem Westen stammende Politiker Thomas Kemmerich kann sich nicht darauf berufen, dass er sich schließlich nicht hat aussuchen können, wer ihn ins Amt gewählt hat. Im dritten Wahlgang war arithmetisch völlig klar, dass er gegen Bodo Ramelow eine Mehrheit und diese ausschließlich mit allen Stimmen von AfD und CDU bekommen könnte. Zu behaupten, nicht im vollen Bewusstsein dieser Konsequenz kandidiert zu haben, muss jeder Glaubwürdigkeit entbehren. Dabei hätte gerade die FDP gute Gründe, historisch sorgfältige Distanz zum Rechtsextremismus zu üben.

Altnazis und “Naumann-Kreis” beherrschten die NRW-FDP

Denn die Liberale Partei blickt selbst auf eine bis heute unzureichend aufgearbeitete Vergangenheit zurück, in der Rechtsextreme immer wieder versucht haben, in der FDP Fuß zu fassen. So haben sich bereits kurz nach der Gründung der FDP 1947 vor allem in den Landesverbänden Hessen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen ehemalige SS-Leute und Nationalsozialisten engagiert. So etwa in Hessen die SS-Leute August Martin Euler und Martin Derichsweiler, von denen Burkhard Hirsch im 2019 erschienen Buch “100 Jahre Jungdemokraten” schreibt: “Euler setzte sich schon 1950 für ein Ende der Entnazifizierung ein”…”Deutsche Kriegsverbrecher nannte man ‘Kriegsverurteilte’. Natürlich gab es niemanden, der für irgendetwas verantwortlich gewesen war und keinen ‘Nestbeschmutzer’. Man produzierte ‘Persilscheine’, die größte Lügensammlung der deutschen Geschichte.”

Wenig bekannt ist, dass 1950 in Nordrhein-Westfalen eine parteinahe Organisation 10-18 jähriger Kinder und Jugendlicher, die “Jungen Adler” gegründet wurde. die von ehemaligen HJ-Führern geführt wurde und auf dem Bundesparteitag in München als “Saalschutz” in Erscheinung traten. Wegen der Aktivitäten ehemaliger NS-Funktionäre in der NRW-FDP gründeten die Jungdemokraten 1951 den Liberalen Studentenverband Deutschlands (LSD), in dem sich die Linksliberalen in FDP und Jungdemokraten gegen den rechtsextremen “Naumann-Kreis” sammelten. So zitiert der “Industrie Kurier” vom 16.5.1953, den stv. Bundesvorsitzenden Dr. Hermann Schaefer: “Die FDP gehe in einer gefährlichen Lage den Bundestagswahlen entgegen, weil durch die Verbindungen des ‘Naumann-Kreises’ mit Funktionären der FDP besonders in NRW eine Situation entstanden sei, in der die Kompromittierung durch ein paar unbelehrbare Nazis in einer Art ‘Fortsetzungsroman’ immer wieder auftauche. Die Partei müsse sich energisch der Unterwanderer erwehren.” Gegen den “Naumann-Kreis” ermittelte zu diesem Zeitpunkt die britische Besatzungsmacht.

Nationaler Pathos und revanchistische Ideologie

Die Auseinandersetzung mit rechter Unterwanderung in den drei Landesverbänden zog sich anschließend über Jahre hin. Während der spätere  Bundesvorsitzende der Jungdemokraten, Wolfgang Mischnick, bereits 1954 zu Gesprächen mit der FDJ nach Ostberlin reiste und ab 1957 als Vorsitzender damit die spätere sozialliberale Entspannungspolitik einleiten sollte, führten Jungdemokraten und LSD einen juristischen Grabenkrieg mit rechtsextremistischen Kräften im FDP-Vorstand, wie dem Vorsitzenden Middelhauve. Der Jungdemokraten-Vorsitzende Ulrich Keitel verurteilte “nationalen Pathos” und Middelhauve konterte in einem Brief vom 9.2.1955, Studenten, die keine “Vaterländische Gesinnung” hätten betrachte er als “böse Entartung”.

Wenig später forderte im Bezirksverband Köln der Vorsitzende Becher die Wiedereinführung der Reichsflagge Schwarz-Weiss-Rot und bezeichnete die Widerstandskämpfer des 20.Juni 1944 als “Landesverräter”. Im anschließenden Ehrengerichtsverfahren standen sich der Jungdemokraten-Vorsitzende Gerhart Baum und Middelhauve gegenüber. Weitere gerichtliche Auseinandersetzungen prägten den Umgang innerhalb der NRW-FDP Anfang der 60er Jahre. Günter Verheugen erinnert sich: “Es gab ein so genanntes Deutschlandtreffen der Jungdemokraten unter dem Herrmannsdenkmal in Detmold. Wir waren aus Brühl mit einer ganzen Busladung dabei. Es war der 17. Juni 1961. Abendliche Kundgebung mit dem FDP-Vorsitzenden Erich Mende, der durch ein Spalier gleichgekleideter, Pechfackeln tragender junger Männer (nur solche!) auf das Denkmal zuging und dann eine ziemlich wilde nationalistische Rede hielt.

Vom Herrmannsdenkmal zur Entspannungspolitik 

Verheugen wandte sich an seine Reisegefährtinnen und -gefährten: “Ich glaube wir sind hier auf dem falschen Dampfer und gehen lieber ein Bier trinken.” Ein gewisser Gerhart Baum hielt ihn auf und erklärte ihm bei einem Treffen einige Zeit später: Die FDP habe zwei Flügel, einen liberalen und einen in der Kontinuität der Nazis. “In NRW sei es besonders schlimm. Die Landespartei werde von ehemaligen Nazis beherrscht.Aber es gebe eine Opposition und die bedürfe jeder Art von Unterstützung.”

In der Tat war die FDP in NRW auch durch die Anwerbung ehemaliger Wehrmachtsoffiziere entstanden. Kopf dieser Kräfte war lange der Landesgeschäftsfürer Rieger, der ein akribisches Berichtssystem unterhielt, das auf der Loyalität von neun Bezirksgeschäftsführern beruhte, die vom Landesverband besoldet wurden und ihm über die Aktivitäten der Linksliberalen und Jungdemokraten akribisch und in Geheimdienstmanier berichteten. Als sich Verheugen 1967, inzwischen Chefredakteur des Jungdemokraten-Organs “Stimme der jungen Generation” mit der Mittäterschaft der Reichswehr an den Naziverbrechen auseinandersetzte, beschloss der Landesvorstand der FDP gegen die Stimmen von Hans-Dietrich Genscher und Verheugens Vater seinen Ausschluss.

Revanchismus bis 1972 und Rechtstendenzen nach 1990

Der nationalistische Flügel der FDP, zu dem schillernde Persönlichkeiten wie Ernst Achenbach, Wilfried Zoglmann, Erich Mende, und Gerhard Kienbaum gehörten, kämpften bis zum Mißtrauensvotum gegen die Regierung Brandt-Scheel 1972 gegen die Anerkennung der Oder-Neiße Grenze und hielten an der Vorstellung eines Deutschland in den Grenzen von 1937 fest. Erst nach jahrelangen innerparteilichen Kämpfen der Jungdemokraten und Linksliberalen Reformer wie Karl-Hermann Flach, Wolfgang Rubin, Thomas Dehler und Gerhart Baum und vielen anderen verließ der rechtsnationale Flügel letztlich die FDP. Allerdings erlebte er nach der “Wende” Genschers zur CDU-Regierung mit Kohl durch Positionen, die etwa der ehemalige Generalbundesanwalt Alexander von Stahl (Begründer der sog. “Stahl-Fraktion”) vertritt. Stahl war bis 1989 Staatssekretär im Bundesjustizministerium und von 1990-1993 Generalbundesanwalt. Seit seinem Ruhestand setzt sich Stahl laut Wikipedia regelmäßig für die rechtsextreme Publikation “Junge Freiheit” ein und hat sie wiederholt gegen ihre Nennung im NRW-Verfassungsschutzbericht verteidigt. 2006 unterzeichnete er zu ihren Gunsten einen Appell wegen angeblicher “Verletzung der Pressefreiheit”.

Auch in jüngster Zeit ist die FDP nicht von Versuchen rechter Kreise verschont geblieben, rechtsextremistischen Bestrebungen infiltriert oder unterwandert zu werden. So berichten Insider jüngst, dass Mitglieder der “Identitären Bewegung” versuchten, die “Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit” zu unterwandern, indem sie sich wiederholt nicht nur gezielt in großer Zahl für Seminare angemeldet, sondern sich auch systematisch auf Stellen beworben haben. Wohl mit dem Ziel, die liberale Stiftung und deren Mittel zu instrumentalisieren. Vor diesem zeitgeschichtlichen und gegenwärtigen Hintergrund gewinnt die Wahl des ersten Ministerpräsidenten mit den Stimmen der AfD aus den Reihen der FDP eine besondere Qualität. Die nationalliberale Vorgängerpartei der FDP in Weimar, die Deutsche Volkspartei (DVP) beging 1933 den fatalen Irrtum, sich den Nazis als eine der “drei Heersäulen der nationalen Front” gemeinsam mit DNVP und NSDAP anzubiedern.

FDP-völlig regierungsunfähig

Ein FDP-Provinzpolitiker namens Kemmerich hat diesen Fehler nun wiederholt. Er hat dies in einer schändlichen Haltung getan, Linkspartei und AfD seien gleich schlimm und sich vom rechtsextremistischen Höcke-Flügel zum Ministerpräsidenten wählen lassen. Und die CDU ist ihm in diesem fatalen Kurs gefolgt. Die Anmutung Kemmerichs und Christan Lindners an Grüne und SPD ist um so unglaubwürdiger, als eine solche Konstellation, selbst wenn sie zustande käme, ebenfalls keine Mehrheit im Landtag hätte und auf AfD oder Linke angewiesen wäre. Es zeigt die völlige  Regierungsunfähigkeit der FDP – noch schlimmer als bei der Verweigerung von Jamaika. Das gilt auch für Christian Lindner, der mit diesem politischen Kurs auf dem besten Weg ist, die FDP zugrunde zu richten. Kemmerich kann nur auf eine Art weiteren Schaden von seiner Partei und der Demokratie abwenden: Durch seinen sofortigen Rücktritt.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

Ein Kommentar

  1. Martin Böttger

    Zum FDP-Nazi Ernst Achenbach folgende Anekdote. In den 70er Jahren schrieb die damalige linke Wochenzeitung “Deutsche Volkszeitung (DVZ)”: “Ein makabres Beispiel von NS-Nibelungentreue liefert die Essener FDP”. Es ging um diesen Vorgang
    https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41700582.html
    Achenbach war seinerzeit auch Bezirksvorsitzender der FDP-Ruhr. Ich schrieb als Schülerreferent der Essener Jungdemokraten einen Leserbrief an die DVZ, dass ein Drittel der Essener FDP, darunter auch ich, in Opposition zu Achenbach und seinen Freunden agiere, und also nicht die gesamte FDP so beschimpft gehöre. Mein Leserbrief wurde abgedruckt. Der Essener FDP-Kreisvorstand beriet anschliessend, ob ich ausgeschlossen werden solle (die DVZ wurde als Zeitung der DFU, einer KPD-Ersatz- und später DKP-Bündnisorganisation politisch zugeordnet). Sie unterliessen es, weil sie richtig einschätzten, mich so als “Opfer” unnötig bekannt zu machen. Sie waren auf diese Weise schlauer, als die SPD dieser Zeit, die weit rigoroser vergleichbare Jusos rausschmiss.

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