“Gesundheit oder Freiheit?”
Wer so fragt, hat jedenfalls Freiheit nicht im Sinn. Er legt vielmehr offen, worauf er hinaus will. Das macht Yuval Noah Harari in der NZZ deutlich. Er verfügt über intime Sachkenntnis des Ausnahmezustandes – in Israel gibt es nichts Anderes. Seine Abhandlung behandelt erfreulicherweise einen grösseren Horizont. Harari hat ein weit grösseres Blickfeld als die hiesigen “Alphajournalisten” und Provinzpolitiker*innen, und sagt uns voraus, dass wir Vieles von dem, was wir uns jetzt gefallen lassen, in vielen Jahren und Jahrzehnten nicht werden revidieren können. Welch eine intellektuelle Wohltat gegenüber all dem Trash, der sich derzeit in der Heimquarantäne über uns ergiesst.
Weitere Gucklöcher in die Welt:
Teseo La Marca/telepolis beschreibt den Ausnahmezustand als Revitalisierung der Mafia. Je länger das dauert, umso mehr ist das auch in Deutschland zu erwarten (zumal die entsprechenden Strukturen längst hier sind). Je mehr verboten wird, umso mehr Schwarzmarkt, und umso mehr Extraprofite entstehen. Die Prohibition weit über den Alkohol hinaus. Die “Investor*inn*en” freuen sich schon.
Noch schlimmer und mörderischer geht es in Indien zu. Gilbert Kolonko/telepolis schreibt mir immer zu pessimistisch, aber ich fürchte: nicht falsch.
Tatort – Fiktion?
Wie weit wollen/sollen wir uns fremder Kontrolle überlassen? Das ist keine Frage, die jede*r für sich entscheiden kann. Es ist eine klassische gesellschaftliche Frage. Doch die Interessen, ökonomische, politische u.v.a., werden nicht öffentlich und transparent vertreten und vorgetragen, sondern klandestin. Mit Demokratie verträgt sich das nicht. Ein aufklärerischer TV-Krimi kann da eine starke Macht sein.
Ich gestehe, das ich an den jüngsten Tatort mit negativer Vorprägung herangetreten bin. Ich halte die Gattin des Verlegermilliardärs Burda, Maria Furtwängler, zwar für eine attraktive, durchsetzungsstarke Frau, weniger für eine talentierte Schauspielerin. Da sind die “Geschmäcker” verschieden, und diese Frage delegiere ich gerne an Fachleute. Umso mehr war ich überrascht, dass sie bei einem Inhalt, bei dem es ihr Gatte aus politischen Gründen abgelehnt hätte (seine Zeitschrift Focus arbeitet bevorzugt gern mit Geheimdiensten zusammen), mitgespielt hat. Die Inszenierung der Geschichte war, um es höflich zu formulieren, nicht herausragend. Der dargebotene Inhalt dagegen war wissenschaftlich und politisch brisant und spektakulär. Wäre ich der verantwortliche NDR-Redakteur gewesen, bin ich mir nicht sicher, ob ich ihn durchgewunken hätte. Entscheiden Sie selbst, wenn Sie es nicht wie gut 9 Mio. getan haben, ob Sie es noch ansehen wollen.
Stephan Schleim/telepolis hat dazu jedenfalls einen ausgezeichneten kritischen Begleittext veröffentlicht. Den sollten Sie auf keinen Fall verpassen.
Kommentar von Ulrich Faigle
Mit allem Nachdruck warne ich vor einer arte-Dokumentation zur Schweinegrippe vor etwa 10 Jahren, die auf youtube unter dem Titel “Profiteure der Angst” angeschaut werden kann (https://www.youtube.com/watch?v=ytVm7ogvsAc). Das Risiko besteht, dass man Parallelen zur gegenwärtigen Coronapandemie zu entdecken glaubt und dann Gefahr läuft, die Darstellung von Corona in der Öffentlichkeit und die politischen Reaktionen mit Vorsicht zu bewerten. Wie Beispiele in der Geschichte zeigen, kann eine politische Führung leicht beschädigt werden, wenn man durch kritisches Nachfragen und den Wunsch nach einer sauberen Analyse der Lage Zweifel säht und das Vertrauen in ihre Aktionen unterminiert. Wehret den Anfängen!