Haben Sie schon mal erlebt, dass jemand Ihre Begleitung anspricht und Sie behandelt, als wenn Sie Luft wären? Diese durchaus gemäßigte Variante von Rassismus war das “erste Mal” zum Selbsterleben für mich. Auf der Beerdigung meines Vaters sprach mich eine befreundete ältere Schwäbin, der ich und meine Freundin beim Leichenschmaus gegenüber sassen, im breitesten Schwäbisch an: “Spricht Sie Deitsch?” wollte sie von mir wissen, – weil meine Gefährtin durnkelhäutig war. Dass die nicht nur in Düsseldorf geboren und ein wesentlich besseres Hochdeutsch sprach als die schwäbische Tante, kam in ihrer Vorstellungswelt nicht vor. Nun mag man einwenden, dass die Dame 86 Jahre alt, wenn auch bei guter Gesundheit war – aber man muss dazu auch wissen, dass in ihrer Villa im Stuttgarter Westen Trophäen aus der Kolonialzeit hingen – unter anderem ein Springbock und ein Löwenkopf. Geschichte pur. Es war nur die erste Szene aus zwei Jahrzehnten gemeinsamen Lebens mit ganz “normalem” alltäglichem Rassismus.
Nein, in Deutschland ist es nicht die offensichtliche Polizeigewalt, wie sie nun in den USA wieder zutage kommt, aber unsere rechte Gegenwart und auch unsere Geschichte. Es sind die kleinen Gesten, die kleinen versteckten Vorbehalte und Vorurteile, die Menschen mit nicht-weißer Hautfarbe zu spüren bekommen und nur sie auch empfinden. Und umgekehrt. Wir waren 1990 nach der Grenzöffnung in der DDR. Dann kamen Solingen, Hünxe, Rostock, Mölln – Brandanschläge und rassistische Morde hinterließen bei einem Menschen mit dunkler Hautfarbe eine ganz andere Spur als bei mir, auch wenn ich mit um einen geliebten Menschen sorgte. Wir sind danach nicht mehr in den Osten gefahren – meine Frau hatte Angst vor dem, was in Dunkeldeutschland mit schwarzen Deutschen passieren kann. Ich erlebte diese Angst geteilt, für mich allein nicht, für uns beide und unsere Tochter natürlich – nur weil ich weiss bin – dieses Gefühl in einer Zwiespältigkeit zu erleben, war hilflos und deshalb furchtbar.
Hier im Rheinland ist das ja anders – mir stonn zesamme – , singen die Höhner. Bis auf den Vermieter, der im Bewerbungsgespräch mehrfach nachfragte, “woher” meine Lebensgefährtin stamme. Oder die Maklerin des ökologischen (!) Bauprojektes, zu dem unser späteres Haus gehörte, und die uns partout eine Eigentumswohnung aufschwätzen wollte, das unverhohlene “Kompliment”, dass meine Frau aber gut deutsch spreche – all dieses sind alltägliche kleine Zeichen des Andersseins, des Ausnahmsweise, des nicht normalen … so schärften sich die Sinne für die kleinen Gesten und Vorbehalte aufgrund der Hautfarbe. Härter wurde es in einem Geschäft für teures Porzellan in Siegburg, als die Inhaberin meiner Frau – und unter allen Kundinnen nur ihr – mehrfach teure Stücke aus der Hand nahm mit der geringschätzigen körpersprachlichen Geste irgendwo zwischen “das ist nichts für Dich” und “das kannst Du Dir doch sowieso nicht leisten”. Wir verließen nach einem unerfreulich verlaufenen Gespräch ob ihres diskriminierend empfundenen Verhaltens dieses Geschäft, ohne etwas zu kaufen.
Da waren die Bediensteten im Standesamt Bonn-Duisdorf, die, als wir heiraten wollten, danach fragten, ob meine Freundin denn einen Einbürgerungsbescheid vorlegen könne. Wieso denn, fragen wir, sie habe doch einen deutschen Pass. Das genüge nicht, wurden wir belehrt, denn wer wie sie 1966 mit einem ausländischen Vater geboren wurde, bekam erst nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1976 nachträglich die deutsche Staatsbürgerschaft – aber nicht automatisch, sie musste beantragt werden. Das hatte die Mutter des FDP-Politikers Jorgo Chatzimarkakis versäumt und es war erst aufgefallen, als diese beflissenen Mitarbeiterinnen im Standesamt Duisdorf das nachgeprüft hatten, erklärten sie uns voller stolz. Chatzimarkakis, damals FDP-Kommunalpolitiker, bekam die Staatsbürgerschaft und sein Mandat aberkannt – sogar seine Bundeswehrzeit wurde nachträglich annulliert. Und diese deutschen Verwaltungsautist*innen bildeten sich noch etwas darauf ein. Es sind solche Gesetze und diejenigen, die sie blind ausführen, die strukturellen Rassismus begründen.
Der kleine, verdeckte Rassismus hat Wirkungen, von denen ich lange nicht wusste. Haben Sie im Alter von sechs bis zehn Jahren auch versucht, vor dem Spiegel die Haut mit ganz viel Seife immer wieder abzuwaschen? Wussten Sie, dass viele schwarze oder farbige Kinder das täglich in Deutschland tun, manche auch ernste und bleibende Verletzungen davontragen, weil sie es mit Schmirgelpapier oder Säure versuchen? Ich lernte das durch die “Initiative Schwarze Deutsche” kennen, denn nicht viele Betroffene reden darüber, es ist ihnen peinlich. Und es dauert, bis sie die Ursache reflektieren, dass sie als Kinder endlich “normal” sein wollten. Und “normal” ist in Deutschland bis heute eben nicht bunt und egal, wie Du aussiehst, sondern weiß. Es ist nicht nur die schwarze Hautfarbe, die unbewussten Rassismus mobilisiert. Als ich vor einiger Zeit einer alten Freundin, einer Vietnamesin, meine neue Wohnung “auf dem Land” – zwischen Köln und Bonn – zeigte, machte sie mich bei der An- und Abfahrt auf die abschätzenden Blicke einiger NachbarInnen aufmerksam. “Deutscher Mann und fernöstliche Frau – das Klischee”, meinte sie, sagten ihr die Blicke und Gesten – ich hätte das in meiner weißen Unbedarftheit niemals registriert.
Nur ein Vorurteil? Nun – hatte ich vergessen, dass meine Mutter Asiat*innen selbstverständlich “Schlitzaugen” nannte. Nun erinnere ich, dass ich als 10-jähriger Jugendlicher die Abenteuer eines gewissen Paul von Lettow-Vorbeck: “Kwa Heri Bwana” – ein “Jugendbuch” las – Heldengeschichten, wie die Deutschen vor dem 1. Weltkrieg den Herero und Nama-Aufstand unter Jakob Morangas und Hendrik Witboois mit tausenden Toten niedermetzelten, indem sie ein ganzes Volk ausrotteten. Und sein Bericht über den “Boxer”-Aufstand in China, den die Kolonialmächte gemeinsam niederschlugen. Bis heute sind diese Kapitel der Geschichte unaufgearbeitet, warten die Nachfahren der Herero und Nama in Namibia auf ein Schuldanerkenntnis und Entschädigung, die ihnen die Bundesregierung seit Jahrzehnten verweigert.
1993/94 während der ersten Flüchtlingskrise erarbeiteten die NRW-Grünen gemeinsam mit der Initiative Schwarzer Deutscher und anderen Bürgerrechtsorganisationen die Kampagne “Farbe bekennen – Rassismus ächten!”. Weil sich alles, was Neonazis und andere Menschenrechtsverletzer machen, sich im Kern auf Rassismus gründet. Weisse Rasse, Herrenmenschen, Umvolkung, Islamfeindlichkeit, Antisemitismus – all dieses ist im Kern eine Form von Rassismus. Es ist eine Ideologie der Schwächlinge, solcher, die glauben, sich nicht ohne das Erheben über Andere etwas zu gelten, über Herabsetzung anderer ihren eigenen Wert zu definieren.
Ich lernte kennen, dass es innerhalb der Migrationscommunity klare Hierarchien gibt, bei denen Du desto weiter unten stehst, je schwärzer Du bist. Meine Frau wurde, als wir in der Bonner Altstadt wohnten, vorzugsweise von Jungmannen der Migrationsbevölkerung angepöbelt oder mit anzüglichen Bemerkungen bedacht – nur zufällig, wenn sie alleine war? Ich glaube nicht. Denn schon 1975 im Ferienjob bei Daimler in Stuttgart hatte den Sachverhalt Jahre zuvor eine Malerei im Männerklo genau auf den Punkt gebracht. Da wurde jemand von einer Reihe Männer von hinten gef…t und über den Strichmännchen stand schön deutlich die soziale Reihenfolge aufwärts: Türke, Jugoslawe, Grieche, Spanier, Italiener und vorn blies kniend der Marokkaner. Rassismus ist seit Jahrzehnten in Deutschland ein verdrängtes Alltagsphänomen. Es wird Zeit, dass wir darüber sprechen und etwas ändern, damit endlich “bunt” normal wird.
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