In einer Kolumne der taz wurden Polizeibeamte mit Abfall gleichgesetzt. Die Achtung der Menschenwürde ist aber nicht verhandelbar – das muss auch in Zukunft der kleinste gemeinsame Nenner sein
Vor einigen Tagen ist in der taz ein Text veröffentlicht worden, in dem empfohlen wurde, Polizeibeamte unter bestimmten Umständen auf einer Mülldeponie unterzubringen. Weil sie sich nämlich auf der Halde, „wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind“, bestimmt auch „selber am wohlsten“ fühlen dürften. „Unter ihresgleichen.“
Es wäre wunderbar, wenn sich jetzt niemand dazu berufen fühlte, mir nachzuweisen, dass ich oben irgendwo ein sinnentstellendes Komma gesetzt habe. Oder aus anderen Gründen die Aussage der Kollegin nicht korrekt wiedergegeben hätte. Bitte. Genug davon.
Journalismus, wie seriös oder unseriös auch immer, hat stets ein Ziel: von einem möglichst breiten Teil des Publikums verstanden zu werden. Es geht in unserem Beruf nicht um Textexegese, und wir befinden uns nicht in einem germanistischen Proseminar.
Deshalb fasse ich zusammen: Polizeibeamte wurden in dem Manuskript, um das es hier geht, mit Abfall gleichgesetzt. Ich denke, die Autorin wollte genau das sagen. Es wäre herablassend, ihr zu unterstellen, dass sie ahnungslos über ein Feld von Tretminen tanzte.
Sie wusste, was sie schrieb. Und sie hat die Menschenwürde verletzt. Was denn sonst?
Je erbitterter Kontroversen ausgetragen werden, desto wichtiger ist es, dass sich die Beteiligten wenigstens darüber verständigen können, worin die gemeinsame Grundlage besteht.
Wie oft ich mich auch über die taz geärgert habe: Am kleinsten gemeinsamen Nenner habe ich bisher nie gezweifelt. Nämlich dem Vorrang der Menschenwürde.
Die böseste, verletzendste Diskussion, an die ich mich erinnere, ging um die Frage, ob internationale Militäreinsätze gegebenenfalls unter Preisgabe des Völkerrechts befürwortet werden sollten. Ich war und bin dagegen. Aber nicht einmal auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung habe ich geglaubt, dass diejenigen, die eine andere Position einnahmen als ich, etwas anderes als vor allem die Menschenrechte im Blick hatten. Ach, Erich Rathfelder. Lass uns uns mal wieder treffen.
Das war ernst damals. Sehr ernst. Und dennoch von wechselseitigem Respekt geprägt. Die Kolumne von Anfang dieser Woche, in der eine Berufsgruppe mit Abfall gleichgesetzt wird, wirkt auf mich unernst, kokett, provokant. Ich spüre keine Verzweiflung, sondern ich meine, Clickbaiting zu erkennen. Was für eine kleine Münze.
Kann es wirklich wahr sein, dass wir uns innerhalb unserer Zeitung allen Meinungsverschiedenheiten zum Trotz nicht mehr darauf verständigen können, was unter Menschenwürde zu verstehen ist – und wie wir auf deren Verletzung reagieren sollten?
Die internen Diskussionen offenbaren Gräben, über die wir reden müssen. Dringend. Wer die Kolumne verteidigt, tut dies im Regelfall unter Verweis auf eine Opferrolle. Zusammengefasst: Ihr privilegierten Weißen habt ja keine Ahnung. Ihr wisst nicht, wie es sich anfühlt, aufgrund äußerer Merkmale diskriminiert zu werden, lebenslang benachteiligt zu sein. Und deshalb eine – ja, auch unsachliche – Wut zu empfinden. Stimmt. Das wissen wir nicht. Aber das rechtfertigt nicht jeden Tabubruch. Die Achtung der Menschenwürde ist nicht verhandelbar, egal, wer sie verletzt.
Deshalb werde ich die Kolumne, um die es hier geht, auch nicht brav nach außen hin verteidigen und nur intern kritisieren. Das wäre falsch verstandene Solidarität. Den Korpsgeist, der andere Organisationen auszeichnet, halte ich im Hinblick auf die taz nicht für erstrebenswert. Dafür – oh ja, wirklich: dafür – ist die Zeitung nicht gegründet worden.
Dieser Beitrag ist eine Übernahme von taz.de, mit freundlicher Genehmigung von Autorin und Verlag. Die kritisierte Kolumne finden Sie, wenn Sie es denn wollen, hier.
Was für ein Aufwand! Drei längliche Texte (Gaus, Junge, Reinecke, eineinhalb taz-Seiten) um was zu sagen? “Menschenwürde ist nicht verhandelbar” (Gaus) “Menschen als Müll zu bezeichnen, widerspricht dem Menschenbild der taz”(Junge) und “… (wir) benötigen ein paar diskursive Basisregeln”. M. E. Selbstverständlichkeiten für ein Presseerzeugnis.
Wenn man nach Abdruck eines Textes als Redaktion (übrigens von außen) darauf hingewiesen wird, dass dieser Text gegen die Menschenwürde verstoße und man dieser Auffassung folgt, so wäre eine plausible Reaktion, dass man (als Redaktion) mitteilt, man habe einen Fehler gemacht und um Entschulduigung bittet bei denen, deren Menschenwürde man mißachtet hat. Weder das Wort “Fehler” noch das Wort “Entschuldigung” taucht in den drei länglichen Texten auf (entschuldigt hat sich nur die CSU für ihren unangemessenen Tweet).
Was sind die Texte denn anders als ein unangemessener Werbeblock? Und wenn am Ende Stefan Reinecke noch die Klassenfrage (!) stellt, hört sich das so an: “Praktisch aber spielt der 16-jährige Biodeutsche aus bildungsfernem Haushalt in einer Kleinstadt, für den ein Polizeijob ein Geschenk wäre, keine Rolle. Mit einer Biografie als schwuler urbaner Migrant lässt sich auf den Aufmerksamkeitsmärkten mehr Kapital generieren als mit einem Dasein als Normalo in Eisenhüttenstadt”. Gefälliger hätten das auch Höcke und Kalbitz nicht formulieren können.
Ich finde solche Texte im besten Fall entbehrlich.
Dieser Kommentar musste sein !
Bei brisantem Thema „Polizei abschaffen“ im Kontext von „Polizeigewalt“, Vorwurfs Deckung strukturellen Rassismus in der Polizei durch falsch verstandenen Korpsgeist, nahm ich an, dass Bettina Gaus Kolumne „Macht“ für dieses Thema prädestiniert sei. Es kam anders. Hengameh Yaghoobifarah nahm sich in ihrer taz Kolumne „Habititus“ Thema mit dem Aufmacher „Polizei abschaffen“ 15.6. an.
Durch Hintertür nimmt sich Bettina Gaus dieses Themas nun aber doch an, nicht inhaltlich, nein, indem sie Hengameh Yaghoobifarah Kolumne wie einst Marcel Reich Ranicki 1995 auf dem Spiegel Spektakel Titelbild Günter Grass Roman „Fonti“, vor Kühnheit zitternd, zerreißt. So wusste Martin Walser seinen Zustand beim Verfassen einer Sonntagsrede zu benennen, Walsers Dankesrede zum Empfang Friedenspreises Deutschen Buchhandels 11.10.1998 in der Paulskirche, bei der er vor Instrumentalisierung des Holocaust zu fremdem Zweck warnt, gleichzeitig wünscht, dass anwesender Bundespräsident Roman Herzog nach dessen Ruck Rede, den seit Jahren einsitzenden DDR Nato Topagenten Rainer Rupp als Friedenskundschafter begnadigt. Warum erzähle ich das. Sowohl Martin Walser als auch Bettina Gaus wollen zu viel, scheitern auf ganzer Linie, weil sie sich nur ans große Format wagen, das kleine, das kollegiale meiden?
Anderes Beispiel Jean Ziegler UNO Beauftragter für Welternährungsfragen ist für Auftaktrede Salzburger Festspiele 2011 gebucht, plötzlich findet Veranstalter Ziegler nach dessen Buch „Imperium der Schande“ zu radikal, lädt ihn aus, lädt Joachim Gauck, späteren Bundespräsidenten als Redner ein. Gauck findet nichts dabei als Ausputzer zu dienen, ohne in seiner Rede kollegiales Wort an Ziegler zu finden, geschweige denn Zieglers vorliegendes Manuskript kollegial in seine Rede einzubauen
Natürlich ist Hengameh Yaghoobifarah Kolumne kritisierbar, weil sie ihre Satire Pointe handwerklich vermasselt, ausgesteuerte Polizisten Schar auf Abfall Halden visualisiert unter Ihresgleichen wähnt, statt von Unsersgleichen zu schrieben, die sich einreihen. Damit diskriminiert sie jene Millionen papierloser Menschen, die in Not geraten, arbeitslos, obdachlos, ohne zustellbare Adresse sind, wie der liebe Gott, global auf Abfall Halden von diesen leben, sich Unterkünfte aus Abfall bauen. Wird auf Abfall Halden Menschenwürde verletzt Frau Gaus? Nein, die Menschenwürde ist ihrem unzerstörbaren Wesen nach unantastbar