Wer heute die Bundespressekonferenz verfolgte, musste den Eindruck gewinnen, dass die Maßstäbe der Auskunftspflicht der Bunderegierung im Rahmen des Grundrechts der Pressefreiheit sowie der EU-Bestimmungen und Urteile des Bundesverfassungsgerichts zur Informationsfreiheit – sei es durch die Corona-Krise, sei es durch andere Einflüsse tiefgreifend verschoben worden sind. Ein beispielhaft spannender Themenbereich gewann im Rahmen von Nachfragen heute erhebliche Brisanz und wurden von der versammelten Riege von Regierungssprecher*innen teils arrogant, teils ignorant, teils freundlich-belehrend nicht beantwortet. Worum ging es? Journalist*innen erkundigten sich nach möglichen erneuten Plänen von Verkehrsminister Scheuer, möglicherweise die Klimaschutzpläne der Koalition über eine EU-PKW-Maut zu untergraben und über die EU auszuhebeln.
Andy Scheuers neuer Plan für die Autoindustrie?
Anlass der ersten Fragerunde war die Information, dass das Bundesverkehrsministerium im Rahmen der Ratspräsidentschaft der Bundesrepublik einen Plan zur PKW-Maut aufgreifen wolle. Diese, so Journalistenfragen, konterkariere entweder die für 2021 beschlossene Einführung einer CO2-Bepreisung durch die Erhöhung der Mineralölsteuer oder führe zu einer Doppelbelastung der Autofahrer*innen. Zunächst stellte der Sprecher des Umweltministeriums dar, dass es beim ausverhandelten System der Besteuerung von Vielfahrern über den Kraftstoffpreis bleibe, und eine zusätzliche Belastung etwa durch eine Maut oder Vignette nicht kompatibel mit den Beschlüssen der Koalition sei. Im übrigen sei eine Vignette unfair, weil sie die Vielproduzenten von CO2 begünstige und die seltenen Fahrer bestrafe. Der Sprecher des Verkehrsministers stellte dar, dass der Gedanke einer PKW-Maut “schon seit 10 Jahren in der EU existiere”, von “allen Ländern” an Herrn Scheuer herangetragen worden sei, und man deshalb eine “ganz grundsätzliche Lösung” anstrebe. Und dies im Rahmen der deutschen Präsidentschaft, also bis Ende 2020. Nun muss man wissen: Würde die CO2-verbrauchsabhängige Lösung in Deutschland durch eine EU-Vignette ersetzt, die wie in der Schweiz und Österreich einmalig erworben wird, wäre die verbrauchsabhängige Lösung damit untergraben und vom Tisch. Fahrer*innen von Benzinschluckern und SUVs könnten sich die Hände reiben und manche rückwärtsgewandten Autohersteller auch.
Auf klare Fragen roboterhafte Antworten
Darüber, wie die denn aussehe, wolle, so der Sprecher des BM Verkehr, er ebenso wenig sagen, wie darüber, welche Meinung sein Chef denn dazu habe. Der Vorschlag befinde sich “in der Abstimmung”, und das EU-Programm für die Ratspräsidentschaft sähen das vor, so die Antwort. Auf Vorhalt des Journalisten Jung, in den Papieren sei die LKW-Maut, aber mit keinem Wort die PKW-Maut erwähnt, entgegnete der Ministeriumssprecher, “einige Staaten” hätten dies zu behandeln gewünscht. Welche Staaten dies denn gewesen seien, ließ er auf Nachfrage ebenso unbeantwortet, wie die erneuerte Frage, ob man damit eine Doppelbelastung der PKW-Fahrer anstrebe oder das verbrauchsabhängige System in Deutschland durch eine Vignettenlösung ablösen wolle. “Darüber befinde man sich in Abstimmung”, lautete die roboterhafte Antwort. Die Frage, wie viele und genau welche Staaten es denn gewesen seien, nachdem er selbst eingeräumt habe, dass nicht “alle”, sondern “einige” Staaten gewesen seien, wurde wiederum nicht beantwortet. Noch schlimmer: der Sprecher aus dem Umweltministerium glaubte, seinem verunsicherten Kollegen damit beispringen zu müssen, dass es ja nicht üblich sei “aus internen Arbeitsgruppen der EU” zu berichten. Wieso eigentlich nicht? Welche Staatsgeheimnisse beinhalten Pläne für eine PKW-Maut, dass über sie und über die Staaten, die eine solche ggf. auszudehnen wünschen und in welcher Weise, nicht berichtet werden dürfe? Und warum soll nicht bekannt werden, welche Staaten so etwas anstreben?
Mißachtung der Informationsfreiheit und der demokratischen Öffentlichkeit
Seit wann ist die EU eine Geheimgesellschaft, über deren Arbeit nicht berichtet werden darf? Es handelt sich vielmehr um einen glatten Verstoß gegen die Informationsfreiheitsrechte der EU, denn gerade im Bereich der Umweltgesetzgebung – und diesen betrifft eine PKW-Maut in besonderem Maße – gilt seit den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts die EU-Richtlinie zur Informationsfreiheit. Auch auf die Frage, welche Position denn der Verkehrsminister vertrete, denn wenn man eine grundlegende Lösung anstrebe, müsste die ja eine Richtung haben, kam wieder “das befindet sich in Abstimmung.” Danach habe man nicht gefragt, es ging darum, welche Meinung Minister Scheuer zu diesem Thema habe oder verfolge – die gleiche Antwort. Dieser Stil der Pressekonferenzen ist nicht neu. In der ehemaligen Sowjetunion pflegten die wenigen internationalen Pressekonferenzen der Regierungen genau so abzulaufen, dass auf Fragen keine oder nur roboterhaft dieselben ausweichenden Antworten gegeben wurden. Die stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung, Ulrike Demmer, setzte da noch eins drauf: auf die Frage, welche Meinung denn die Kanzlerin zu diesem Thema habe, meinte sie sichtlich genervt die Augen verdrehend, dazu könne sie “keine Auskunft geben”, die würde sie zu gegebenem Zeitpunkt äußern. Ulrike Demmer ist immerhin die von den Sozialdemokraten benannte Regierungssprecherin und arbeitete früher für das renommierte journalistische “Redaktionsnetzwerk Deutschland”. Sie sollte es also besser wissen. Mit Transparenz und Achtung vor der öffentlichen Meinung hat das nicht mehr viel zu tun.
Stil der Bundes-Pressekonferenzen seit “Corona” oder “Trumpisierung”?
Die “Corona-Krise” ist nicht spurlos an Form und Stil, aber auch am Informationsgehalt und der Haltung der Sprecher*innen der Bundespressekonferenz vorüber gegangen. Kritische Fragen werden für Beobachter offensichtlich von der Regierungsbank zunehmend genervt und unwillig beantwortet. Aber auch eine gewisse grundsätzliche Änderung in der Haltung gegenüber der freien Presse ist auch in Deutschland zu beobachten. Stehen wir vor einer Orbanisierung, Katschinskisierung oder gar Trumpisierung des Umgangsstils mit den Medien? Wachsamkeit ist immer angebracht, es gilt auch hier, den Anfängen zu wehren!
Die in der akuten Krise geltenden Regeln, dass Fragen schriftlich per Email hereingereicht wurden, hat nicht nur dazu geführt, dass darauf unvollständig oder halbherzig geantwortet wurde, sondern Nachfragen, die physisch anwesende Journalist*innen zwangsläufig gestellt hätten, unterblieben. Oder unter den Tisch fielen, weil sie sich hinten wieder einreihen mussten. Auch wurden schriftliche Fragen in größerer Zahl aus vorgeblichen Zeitgründen erst gar nicht aufgerufen. Eine für den kritischen Journalismus als “vierte Gewalt” unerträgliche Entwicklung. Diese Entwicklung scheint nun zum Stehen zu kommen, die Bundespressekonferenzen sind sichtbar besser physisch besucht und es werden kritischere Fragen gestellt. Das wiederum scheint der Regierungsseite nicht besonders zu gefallen. Es wird Zeit, dass sich die Bundespressekonferenz, die schließlich eine Vereinigung der Journalist*inn*en ist, darüber Gedanken macht, wie die Frage- und Informationsrechte ihrer Mitglieder auch und gerade in Krisenzeiten und angesichts möglicher erneuter Lockdowns im Herbst gestärkt werden können. Dazu gehören auch Online-Nachfragen bei Nichtbeantwortung oder Wischi-Waschi-Gemeinplätzen gegenüber virtuell anwesenden Journalist*innen. Es sollte auch im Interesse der Bundesregierung liegen, es nicht so weit kommen zu lassen, dass Journalist*innen sich Sachverhalte durch Akteneinsicht nach dem Informationsfreiheitsgesetz vor Gericht erstreiten müssen.
Haben bereits in den ersten Wochen der Corona-Pandemie davor gewarnt, dass ein demokratisches Selbstverständnis beschnitten wird und sich Dinge stark verschieben werden.