Das Covid-19-Virus geht nicht weg. Einen Impfstoff gibt es nicht. Ob und wann es einen geben wird, ist offen. Gegenmittel gibt es auch keine, allenfalls solche, die den Erkrankungsverlauf lindern oder verkürzen. Gefährdete Leben werden damit nicht gerettet. Das bedeutet, dass uns dieser Game-Changer noch mehrere Jahre, mindestens, beschäftigen wird. Es ist höchste Zeit, sich gedanklich damit zu beschäftigen, wie das menschliches Leben ändert, ändern soll, oder lieber nicht soll. Wenige beginnen damit. Die meisten Medien spekulieren sich leider lieber bewusstlos. Ihrer halluzinierten Rolle als “Vierte Gewalt” kommen sie damit nicht nach, sondern demonstrieren zunehmend Verzichtbarkeit.
Das ist vielleicht der einzige rationale Motivationskern der wachsenden Zahl an irgendwie richtungs- und bewusstlos Wütenden. Das Virus und die Politik gegen das Virus droht dem Sozialen am Menschen einen nicht nur sozioökonomischen, sondern auch physischen Garaus zu machen. Das betrifft alle, egal welcher Richtung und Denkweise sie anhängen. Gesetzmässigkeiten der sozialen Distanz und Berührungslosigkeit werden nicht heimlich und hintenrum, sondern geradeaus eingeführt. Der Verstand sieht es – zunächst und kurzfristig – als “einzig vernünftig”, und es gibt kaum gesellschaftliche Probleme der Durchsetzung. Wohl aber eine wachsende Zahl individueller Probleme.
Die Spezies Mensch hat Bedürfnisse, durch Jahrtausende evolutionär gewachsen, sie hat Organe, einen Stoffwechsel- alles auf soziale Nähe, Berührung, Reizung, Sinnlichkeit ausgerichtet. Wer dagegen vorgeht, es gar untersagen will, wird instinktiv als Feind wahrgenommen. Wo der Verstand ausgeschaltet ist, dominiert das. Aber selbst, wo er in Betrieb ist, ist so ein Gefühl ein wichtiger Faktor eigenen persönlichen Befindens. Ein Politikum. Wer die nahe Zukunft politisch mitgestalten will, muss sich mit diesem Sachverhalt beschäftigen, und Lösungen dafür vorschlagen.
Solche Lösungen fallen nicht vom Himmel, sondern können auch nur durch öffentlichen Austausch/Diskurs entstehen. Mir fallen spontan dutzende öffentliche Orte ein, wo das nicht passiert. Zwei habe ich entdeckt, die das Heraufziehen sehen, was ich hier meine.
Gerhard Hanloser/Freitag hat sich – weniger publizitätsträchtig, aber erfolgreicher und substanzieller als Dunya Hayali – unter die Berliner Demonstrant*inn*en gemischt und versucht zu verstehen. Auf der Basis alter Erkenntnis “es gab im Zuge von 1968 ein Wissen aufseiten der Linken, dass der Kapitalismus die Zwischenmenschlichkeit zerstört” kommt er zu einem zentralen Satz: “Ich denke, einige kritische Psychologen und Psychoanalytiker haben es verpasst, auf dieses artikulierte Leid in der Bewegung zu reflektieren, gesellschaftlich-politisch auch darauf einzugehen.” Richtig.
Naomi Klein, kanadische Bestsellerautorin (“No Logo”, “Schockstrategie”) kommt aus einer ganz anderen Richtung, ihrer eigenen Quarantäne im Interview mit Guardian-Chefin Katharine Viner an eine ähnliche Stelle: “Das Silicon Valley hatte schon vor Corona die Agenda, möglichst viele unserer persönlichen körperlichen Erfahrungen durch technologische Vermittlung zu ersetzen.” Ich wage zu prophezeien, und stimme da mit Klein vermutlich überein: dieser Weg führt zu keinem guten Ende. Diskutieren wir besser über einen Besseren.
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