Von Günter Bannas
Vergangenheiten vor einer Neuauflage? Angesichts der ungeklärten CDU/CSU-Personalangelegenheiten sollte an früher erinnert werden, wie es einmal war und was geschah. Erstens muss mit der Legende aufgeräumt werden, wonach die CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl und Angela Merkel – taktisch klug, freiwillig und vorausschauend – die Kanzlerkandidatur der Union einem anderen Politiker überließen, um später dafür umso länger die Kanzlerschaft zu übernehmen. Vielmehr hatten sie sich nicht durchsetzen können, weil der rechte Flügel der CDU auf dem amtierenden CSU-Vorsitzenden als Spitzenkandidaten bestand – vor der Bundestagswahl 1980 auf Franz Josef Strauß, 2002 auf Edmund Stoiber. In beiden Fällen verloren die Unionsparteien die Bundestagswahl. Erst danach kamen Kohl und Merkel durch. Das bedeutet zweitens, dass es eben nicht einen stipulierten Anspruch des CDU-Vorsitzenden (als Chef der größeren Unions-Schwester) auf die Kanzlerkandidatur gibt. Dass Spannungen zwischen den Vorsitzenden der beiden Parteien zu deren Schwäche führen müssen, ist drittens ebenfalls keine Gesetzmäßigkeit. Vielmehr deckte die CSU ein konservatives Spektrum ab und band damit außerhalb Bayerns diese Wählerschaft an die CDU. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang, dass das Verhältnis zwischen Kohl und Strauß weit mehr von persönlichen Aversionen geprägt war als das zwischen Merkel und Seehofer. Weil die CSU viertens eben kein Landesverband der Union ist, musste der gemeinsame Kanzlerkandidat seit jeher zwischen zwei Gleichberechtigten ausgehandelt werden – auf je unterschiedliche Weise. 2002 beugte sich Merkel dem Druck aus der CDU (namentlich dem von Volker Kauder und Roland Koch), fuhr zum Frühstück nach Wolfratshausen und überließ Stoiber die Aufgabe. 1979 kam es in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu einer Kampfkandidatur: Strauß wurde gegen Ernst Albrecht als Spitzenkandidat installiert. Der Unterschied zu damals: Innerhalb der CDU ist die Führungsfrage nicht beantwortet. Es ist nicht einmal ausgeschlossen, dass der Parteitag zur Wahl eines neuen Vorsitzenden Corona-bedingt abermals verschoben werden muss. Was dann? Oder was, wenn dem neuen CDU-Chef klargemacht würde, als Kanzlerkandidat nicht erwünscht zu sein? Ein Ausweg für alle Fälle: Entscheidung in der Bundestagsfraktion, in der die beiden Parteien ihrer Stärke entsprechend repräsentiert sind. Wie damals eben.
Günter Bannas ist Kolumnist des HAUPTSTADTBRIEFS. Bis März 2018 war er Leiter der Berliner Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus “DER HAUPTSTADTBRIEF AM SONNTAG in der Berliner Morgenpost”, mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion. © DER HAUPTSTADTBRIEF
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