mit Update 4.1.
Heute gibt es keinen Tatort, und keinen Polizeiruf 110. Stattdessen hat die ARD ein weiteres Schirach-Spektakel programmiert, dem niemand entgehen soll. Zappen hat keinen Zweck: alle Dritten Programme senden das Gleiche, nur in anderer Reihenfolge. Anne Will hat noch Urlaub, der ganze Abend wird damit vollgemacht. Ob Sie irgendwann für oder gegen Folterdrohungen abstimmen sollen, keine Ahnung.

Ich habe auch keine Ahnung, warum die das machen. Sieht die ARD bei sich einen Volkserziehungsauftrag? Leidet der adelige Schriftsteller und nebenberufliche Rechtsanwalt Schirach unter einem Aufmerksamkeitssyndrom? Oder geht es um die Profitratenoptimierung des strippenziehenden Produzenten Oliver Berben? Oder alles zusammen? Da nichts davon in meinem Interesse ist, werde ich mich dem Spektakel trotz Quasi-Quarantäne entziehen. Sie können mir ja hinterher davon erzählen.

Die Macht der ARD reicht längst nicht mehr so weit, wie in den 50er- und 60er Jahren, in die sich ihre heutigen Quotenoptimierer so gerne zurückträumen. Heute gibt es “dieses Internet”, das Deutschland selbst heute Abend mit der Welt da draussen in Verbindung halten wird.
Wenn Sie aus Gewohnheit auf eine sonntäglichen TV-Abend bestehen, empfehle ich Ihnen Tagesschau24. Dort gibt es einen echten Winter zu sehen: den von 1978/79. Ich glaube ARD-Brennpunkte waren da noch nicht erfunden. Damals wären sie angebracht gewesen. Ich war in diesem Winter. In Norddeich, dem Fährhafen nach Norderney. Bevor es mit dem Schnee losging, hatte ich im Kino meinen ersten Porno gesehen. Als das Wetter dann da war, der Blizzard, pendelten wir nur noch die 200m zwischen unserem Ferienhaus und der nächstgelegenen Fischkneipe. Dort wurden zum Nachtisch Stiefel getrunken. Im besoffenen Kopp durch den Schneesturm nachhause, das war im Rückblick betrachtet lebensgefährlich. Wir waren Anfang 20, verliebt und unverwundbar. Dachten wir. Als wir Norddeich wieder verlassen konnten, nahm ich den D-Zug nach Bonn. Eine Freundin und ein Freund fuhren im Simca heim nach Duisburg. Bei ihnen fiel die Heizung aus. Sie mussten während der Fahrt das Eis von der Frontscheibe kratzen, innen. Heute nennen wir es Aerosole. Sie schafften es unfallfrei und unverletzt.
Sehen Sie u.a. in dieser recht spannenden MDR-Dokumentation, was damals im Nord- und Ostsee-Europa los war. Das nannten wir damals Winter. Ich will es nicht wiederhaben.
Update 4.1.: die Einschaltquote von 10 Mio. wird zwar von der ARD pflichtschuldigst bejubelt, ist aber erfreulich niedrig. In der Summe entspricht das einem quotenerfolgreichen Tatort, der aber gewöhnlich “gegen” die Dritten Programme senden muss. In denen sammelt sich das Senior*inn*enpublikum, dem ein Tatort “zu aufregend” ist, und die sonntags oftmals zusammengerechnet den “Quotensieg” gegen ARD und ZDF erringen. So gesehen, ist das “Event” recht sparsam ausgegangen.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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