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Wer besitzt das Nervengift Nowitschok?

Ein Zufallsfund in der Recherche zu einem anderen Thema. Eine Anfrage zur Frage, wer außer Russland sonst noch alles über dieses Nervengift namens Nowitschok verfügt. Die Linke Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen wolle erfahren, wer außer dem russischen Inhaltsgeheimdienst FSB sonst noch dieses Teufelszeug namens Nowitschok besitzt. Inwieweit es zu trifft, “dass der Bundesnachrichtendienst (BND) in den 1990er Jahren über einen russischen Wissenschaftler eine Probe des Nervengifts Nowitschok beschafft hat, die in einem Labor in Schweden analysiert, deren Formel an das Bundesministerium der Verteidigung und den BND sowie von diesem unter anderem an die Geheimdienste in den USA und Großbritannien übermittelt wurde, woraufhin in einigen NATO-Staaten auch winzige Mengen des Giftes produziert wurden, um Schutzausrüstung, Messgeräte und Gegenmittel zu testen (dpa vom 16. Mai 2018)…”
Alles geheim
Vorweg: eine Antwort im eigentlichen Sinne gab es nicht. Doch was der für die Nachrichtendienste zuständige Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Johannes Geismann schreibt, ist trotzdem interessant. Es dient sicher der politischen Weiterbildung, weil es aufzeigt, wie gründlich die Bundesregierung das Informationsrecht des Parlaments und die Bevölkerung missachtet und was man im Bundeskanzleramt von der parlamentarischen Demokratie hält. Spannend ist auch die berufliche Vita des Staatssekretärs, die sich lohnt in einem weiteren Beitrag betrachtet zu werden. Doch der Reihe nach und zurück zur Nichtantwort durch den Staatssekretär Johannes Geismann. Der schreibt:
“Gegenstand der ersten Teilfrage sind solche Informationen, die in besonders hohem Maße das Staatswohl berühren und daher selbst in eingestufter Form nicht beantwortet werden können.”
Das bedarf der Erklärung. Es ist üblich, dass Antworten der Bundesregierung, die geheime Informationen betreffen, dem Abgeordneten zu seiner persönlichen Information etwa eingestuft als “Nur für den Dienstgebrauch” zwar übergeben – aber in der öffentlich zugänglichen Bundestagsdrucksache, aus er ich hier zitierte, nicht veröffentlicht werden. Weiterhin gibt es noch die Möglichkeit der Einstufung als “geheim” – dann kann der Abgeordnete diesen Teil der Antwort nur in der Geheimschutzstelle des Bundestages einsehen. Das ist mit der Formulierung “in eingestufter Form” gemeint. Zurück zur Nichtantwort
Der Staatssekretär erklärte, dass die Antwort auf die Frage, wer außer den Russen sonst noch alles dieses Nervengift Nowitschok besitzt, so geheim sei, dass man diese Frage überhaupt nicht beantworten dürfe. Das heißt, die Bevölkerung wird zwar weltweit und somit auch in Deutschland gegen Russland aufgewiegelt, weil „russische Agenten“ angeblich einen Doppelagenten außer Dienst und dessen Tochter und Julia Skripal und den russischen Anwalt, Rassisten und Steuerhinterzieher Alexei Anatoljewitsch Nawalny vergiftet haben sollen. Aber wer sonst noch dieses Gift besitzt, das ist ein Staatsgeheimnis.
Uninformiert aber aktiv
Der Bundestag erhielt und erhält zwar von der Bundesregierung keine Antwort, wer alles dieses Gift besitzt, verabschiedet aber Entschließungen gegen Russland und berät sogar über Sanktionen.
Dabei handelt es sich bei dem Gift möglicherweise um eine Weiterentwicklung jener B-Waffen die von Deutschen entwickelt erstmals im Ersten Weltkrieg eingesetzt wurden. Es wäre naiv anzunehmen die Deutschen hätten diese Waffen nicht auch weiter entwickelt. Hinzu kommt, dass das Zeug ordentlich weiter verteilt wurde. Den verschiedenen Berichten zufolge befinden sich zumindest kleine Mengen außer in Russland auch in Schweden, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und alle NATO-Staaten.
BND vor Bundestag schützen
Weiter gehts in der Nichtantwort: „Das verfassungsrechtlich verbürgte Frage- und Informationsrecht des Deutschen Bundestages gegenüber der Bundesregierung wird durch gleichfalls Verfassungsrecht genießende schutzwürdige Interessen wie das Staatswohl begrenzt. Eine Offenlegung der angefragten Informationen in diesem konkreten Einzelfall birgt die Gefahr, dass Einzelheiten zur konkreten Methodik und zu in hohem Maße schutzwürdigen spezifischen Fähigkeiten des BND bekannt würden. Infolgedessen könnten sowohl staatliche als auch nicht-staatliche Akteure Rückschlüsse auf spezifische Vorgehensweisen und Fähigkeiten des BND gewinnen. Dies würde folgenschwere Einschränkungen der Informationsgewinnung bedeuten, womit letztlich der gesetzliche Auftrag des BND – die Sammlung und Auswertung von Informationen über das Ausland, die von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland sind (§ 1 Absatz 2 des BND-Gesetzes – BNDG) – nicht mehr erfüllt werden könnte.”
In einfache Sprache übersetzt heißt das, ob und was der BND mit C-Waffen anstellt, geht den Bundestag und die Bevölkerung nichts an. Der Schutz des BND ist oberstes Gebot. Was das von Geismann angeführte „Staatswohl“ sein soll, möchte ich in einer Anfrage vom Deutschen Bundestag erfahren. Sobald ich mehr weiß, werde ich es hier verraten.
Den Begriff „Staatswohl“ habe ich jedenfalls im Grundgesetz nicht gefunden. Doch Geismann beruft sich darauf, um den Abgeordneten selbst eine Antwort in der Geheimschutzstelle zu verwehren. Denn in seinem Bescheid heißt es weiter:
„Gewinnung von auslandsbezogenen Informationen ist für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und für die Aufgabenerfüllung des BND jedoch unerlässlich. Eine VS-Einstufung und Hinterlegung der angefragten Informationen in der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages würden ihrer erheblichen Brisanz im Hinblick auf die Bedeutung für die Aufgabenerfüllung des BND nicht ausreichend Rechnung tragen. Die angefragten Inhalte beschreiben die Fähigkeiten und Arbeitsweisen des BND so detailliert.” Zum Nachlesen: Sammelübersicht der Schriftlichen Fragen, dort Seite 1, Frage Nr. 1
Zuvor hatten die Linken schon mal versucht, mit einer Kleinen Anfrage ihrer Fraktion, Licht ins Geheimdienstdunkel um Nowitschok zu bringen. Natürlich wurde schon diese Fragen ebenfalls nicht beantwortet.

2 Kommentare

  1. Roland Appel

    Das “Staatswohl” kommt im Roman “Die 3 Musketiere” von Alexandre Dumas vor. Kardinal Richelieu, bis zu seinem Tode 1642 Premierminister Ludwigs des XIII, stellt dort angeblich einer Dame einen Freibrief zum Mord aus: “Im Interesse seiner Majestät und zum Wohle des Staates hat der Besitzer dieses Schreibens getan, was getan werden musste.” lautet der Mordbrief. Das besagte “Staatswohl” ist ein Begriff aus dem Zeitalter des Absolutismus. Dass ein Staatssekretär, der auf das Grundgesetz und die Demokratie vereidigt wurde, diesen Begriff benutzt und wohl auch so denkt, spricht Bände.

  2. Helmut Lorscheid

    Ja unter anderem deshalb werde ich mich ja noch weiter mit diesem Butzemann aus dem Kanzleramt näher beschäftigen. Der Johannes Geismann lohnt der näheren Betrachtung. Ich habe heute bisschen in Düren herum gefragt. Demnächst mehr in diesem Theater.

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