Die Union sieht sich von zwei Skandalen belastet. Dabei sind es eigentlich drei. Einige ihrer Abgeordneten waren einem Diktator zu Diensten. Andere missbrauchten ihr Mandat, um sich in der Pandemie an der Not der Wähler zu bereichern. Zum dritten Skandal entwickelt sich die Reaktion der Union auf Verfehlungen ihrer Abgeordneten. Die Maßnahmen, die CDU und CSU erwägen, um Wiederholungen zu verhindern, reichen nicht aus. Es scheint, als habe die Union noch nicht begriffen, wie ernst ihre Lage ist.
Großes Glück gehabt
Dabei hat sie doch genügend Skandalerfahrung, um der Lage halbwegs gerecht zu werden. Kurz nach dem Ende der Ära Kohl wurde Ende 1999 bekannt, dass sie ihre Rolle als Regierungspartei über viele Jahre mit kriminellen Mitteln abgesichert hatte.
Diese Spendenaffäre, in der ihre Anführer Kohl und Schäuble tragende Rollen spielten, ging für die Union noch halbwegs glimpflich ab. Der Betrug an den Wählern kostete sie politisch nur drei Jahre auf der Oppositionsbank. Schon 2005 konnte sie die Bundesregierung erneut übernehmen.
Die Union hatte großes Glück. Mit Merkel an Spitze gelang der CDU ein neuer Start. Auch die SPD half. Ihre Flugaffäre in NRW nahm der Spendenaffäre die Exklusivität. Die Agenda-Politik von SPD-Kanzler Schröder tat nach der Bundestagswahl 2002 ein Übriges. Sie erregte viele Bürger und drängte den Spendenskandal in den Hintergrund.
Die Kanzlerschaft verpasst
Die heutigen Skandale drehen sich, soweit man sehen kann, weniger um Spitzenkräfte der Union als um Leute von lokaler oder regionaler Prominenz aus der zweiten und dritten Reihe. Die Verfehlungen erscheinen kleiner als der Spendenskandal und von geringerem Gewicht. Doch der Schein trügt.
Die Skandale um die Masken, um den Lobbyismus für eine Diktatur und um die Maßnahmen zur Optimierung der Transparenzregeln sind alles andere als ein Klacks. Sie können den Unionsparteien stärker schaden als Kohls Spendenaffäre.
Damals konnten die Konkurrenten der Union vom CDU-Skandal kaum profitieren. Bei der Bundestagswahl 2002 verlor die SPD 2,4 Prozentpunkte. Die Grünen legten nur 1,9 Punkte zu, die FDP nur 1,2. Mehr als beide zusammen wuchs die Union – um 3,4 Punkte. CSU-Chef Stoiber, der Kanzlerkandidat der Union, verpasste die Kanzlerschaft nur um Haaresbreite.
Die Bindung gelockert
Die heutigen Skandale sind für die Union gefährlicher. Das politische Umfeld, in dem sie sich ereignen, hat sich verändert. Die Grünen sind zur Konkurrenz um bürgerliche Wähler geworden. Bei der Bayernwahl 2018 liefen CSU-Wähler in Scharen zu den Grünen über. Früher waren sie Bürgerschreck. Heute bieten sie Flüchtlingen aus dem Unionslager eine neue Heimat.
Die Konservativen in CDU und CSU haben die Union mit jahrelangen Angriffen gegen Merkel nachhaltig geschwächt. Diese Attacken und der Putschversuch gegen die Kanzlerin 2018 hat die Bindung bürgerlicher Kreise an die Union gelockert, zum Vorteil für die Grünen und die FDP, wie sich bei den jüngsten Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zeigte.
Der FDP drohte vor der Pandemie die Abwahl aus dem Parlament, weil sie 2018 den Fehler beging, eine Bundeskoalition mit der Union und den Grünen auszuschlagen. Nun verknüpft FDP-Chef Lindner die Versäumnisse der Unionsminister in der Pandemie mit den Unionsskandalen, um CDU und CSU Wähler abjagen, durchaus mit Erfolg, wie die Umfragen für den Bund zeigen.
Sehr sicher gefühlt
Die Union hat sich an den Gedanken gewöhnt, die SPD bei der Bundestagswahl im Herbst als Koalitionspartner zu verlieren. Dennoch sahen CDU und CSU bisher keinen Grund zu verzagen. Sie gehen davon aus, dass die Grünen für die SPD in Bresche springen und der Union helfen werden, die Regierungsmacht zu behaupten.
Wie sicher sich die Unionsfunktionäre waren, auch nach dem Ende der Ära Merkel das Kanzleramt zu besetzen, zeigte sich daran, dass sie ihren Wählern in den vergangenen Monaten einiges zumuteten. Ihr Putschversuch gegen Merkel richtete sich nicht nur gegen die Kanzlerin, sondern auch gegen die Wählermehrheit, die an Merkel festhalten wollte.
Die Union ließ auch zu, dass die konservative Minderheit ihrer Funktionäre die gerade gewählte CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer demontierte. Die CDU nahm auch hin, dass die Konservativen den Politik-Pensionär Merz als Kandidaten für den Parteivorsitz und das Kanzleramt in Stellung brachten, obwohl er mitgeholfen hatte, Merkel zu destabilisieren und Kramp-Karrenbauer zu demontieren.
Umfragewerte verdoppelt
Derartige Palastkämpfe kannten die Wähler bisher vor allem von den Grünen, der SPD und der FDP. Alle drei nahmen Schaden. Die Volkspartei SPD wurde zur Kleinpartei. Die FDP fiel 2013 aus dem Bundestag. Die Grünen dagegen stellten ihre Flügelkämpfe 2017 ein. Ihre Umfragewerte verdoppelten sich. Die Personalkonflikte in der Union weisen darauf hin, dass sich nun auch ihre Funktionärselite von der Erfahrungswelt der Bürger abgekoppelt hat.
Der Union scheint die Entfremdung nicht zu bemerken. Sie behauptet, bei den Skandal-Abgeordneten handele es sich um Einzelfälle. Alle anderen arbeiteten Tag und Nacht zum Wohle des Volkes. Mit der Pandemie wachsen bei vielen Bürgern die Zweifel. Vielen dämmert, dass Deutschland in der Regierungszeit der Union hinter den Erfordernissen der Zeit zurückgeblieben ist. Viele fragen sich, ob und wann der Union wohl ein Licht aufgehen wird?
Bleibt alles, wie es ist, wird sie auf der Strecke bleiben. Die Strukturen der Verwaltung und der Politik müssen optimiert werden. Ist der Union diese Aufgabe zuzutrauen? Sie scheitert doch schon seit Jahren daran, den Bundestag zu reformieren. Er zählt von Wahl zu Wahl immer mehr Abgeordnete und hat unzumutbare Ausmaße angenommen.
Zur Bereicherung missbraucht
Die Zahl der Mandate müsste halbiert, die Zahl der Bundesländer noch stärker reduziert werden. Von Gleichberechtigung kann Deutschland keine Rede sein, solange Bremen mehr Gestaltungsmacht hat als das doppelt so große Köln oder elf Bundesländer mehr zu sagen haben als der Regierungsbezirk Düsseldorf, der eine Million Einwohner mehr zählt als Rheinland-Pfalz, das größte der elf kleinen Länder.
Dass Unionsabgeordnete ihr Mandat zur persönlichen Bereicherung missbrauchen, müsste für die Union Anlass sein, die Transparenzregeln unübertreffbar zu verschärfen. Stattdessen präsentiert sie ein Konzept, das hinter den Plänen anderer Parteien zurückbleibt und den Eindruck verstärkt, sie meine es nicht ernst.
Die Wähler verleihen Mandate auf Zeit. Abgeordneten dienen nicht sich selbst. Betreten sie den Reichstag durch den Haupteingang, können sie an dessen Sturz ablesen, wozu sie da sind. „Dem deutschen Volke“ steht dort. Die Unionsabgeordneten täten gut daran, diesem Daseinszweck zu entsprechen. Kommen sie nicht in die Gänge, wird die Union demnächst in der Opposition landen und gegen Schwindsucht zu kämpfen haben.
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