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Sachsens Spitzel gegen die Demokratie

Sachsen ist ja nun nicht verdächtig, dass es dort für ein Verfassungsschutzamt wenig zu tun gäbe. Pegida, Neonazis aller Schattierungen, Querdenkerdemos und nicht zuletzt die AfD und ihr angeblich aufgelöster “Flügel” könnten einen demokratischen Verfassungsschutz, der seinen Namen verdient, rund um die Uhr beschäftigen. Statt sich um diese zum Teil höchst aggressiven Rechten zu kümmern, sammelte der sächsische Verfassungs”schutz” Daten über demokratische Landtagsabgeordnete aus öffentlich zugänglichen Quellen und legte Dossiers an. Nicht nur von Parlamentarier*innen, sondern auch mindestens einem der beiden stellvertretenden Ministerpräsidenten von der SPD, Martin Dulig. So der Bericht des parlamentarischen Kontrollgremiums für den Verfassungsschutz im Landtag des Freistaats Sachsen.

Die parlamentarischen Kontrollkommission hat in ihrer jüngsten Sitzung mehrheitlich einen „“Nachbericht zum Abschlussbericht zur Sammlung und Speicherung von Abgeordnetendaten durch das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen“ beschlossen, zu dem es übrigens ein Grünes Minderheitenvotum gibt, über das kaum berichtet wird. Daraus geht hervor, dass das Landesamt für Verfassungsschutz in den vergangenen Jahren illegal Daten über Abgeordnete des Sächsischen Landtages gespeichert hat. Christin Melcher, stellvertretende Vorsitzende der Fraktion B90/Die Grünen hatte bereits 2020 ein Auskunftsersuchen beim Landesamt für Verfassungsschutz gestellt. Aus dem erteilten Bescheid wird deutlich, dass der Verfassungsschutz in seinen Datenbanken offenbar willkürlich Angaben über Landtagsabgeordnete speichert. Die fortdauernde Speicherung von Informationen, welche Demoaufrufe eine Abgeordnete unterzeichnet oder an welchen Sitzungen von Ausschüssen sie teilgenommen hat, sind offensichtlich rechtswidrig,  ein offener Verfassungsbruch.

Valentin Lippmann, innenpolitischer Sprecher der Bündnisgrünen im Sächsischen Landtag berichtet, dass  der Verfassungsschutz seine Äußerungen zu Querdenken-Demos und der mangelhaften Arbeit der Sicherheitsbehörden speicherte. Über den Wirtschaftsminister und SPD-Abgeordneten Martin Dulig wurden ähnlich Daten, unter anderen seine Internet-Äußerungen zu Demonstrationen von Rechtsextremisten oder Einschätzungen über rechtsextremistische Aktionen, gespeichert. Es wurden also Daten von Demokraten und ihrer Auseinandersetzung mit den Feinden der Demokratie gespeichert. Warum macht jemand so etwas illegal? Ich bin kein Anhänger von Verschwörungstheorien, aber wenn ich bei der Kripo wäre, würde ich denken: eigentlich gibt es nur eine schlüssige Erklärung: wenn nach dem von Teilen der AfD, Reichsbürgern und Querdenkern angestrebten Umsturz die Nachfolgeinstitution des Volksgerichtshofs Terrorurteile spricht, kann sie sich freuen, auf solche Informationen über Demokraten zurückzugreifen.

Wie ist es möglich, dass ein Landesamt für Verfassungsschutz derartig aus dem Ruder läuft? Ein Teil der Erklärung führt zu einem ehemaligen Bonner Burschenschaftler einer schlagenden Verbindung: dem 2013 in Brandenburg entlassenen Verfassungs”schutz”-Chef Gordian Meyer-Plath. Der hatte offensichtlich im Osten neues Entwicklungpotenzial für seine mehr als grenzwertigen und rechtsextremen Auffassungen von Recht und Gesetz gefunden geglaubt, die er im sächsischen Verfassungs”schutz” strukturell etablieren durfte. Ins Amt gehoben hat ihn eine CDU-FDP-Koalition unter Ministerpräsident Tillich. Teile des Minderheiten-Berichts müssen gegen die IT-technischen Mittel aufhorchen lassen: „Das seit 2017 genutzte Datenverarbeitungssystem DOMEA trägt dazu bei, dass das Landesamt für Verfassungsschutz durch Einspeisung sämtlichen zu bearbeitenden Schriftverkehrs auf einem riesigen durchsuchbaren Datenberg sitzt, der auch Informationen zu Personen enthält. Durch Volltextsuche kann das system jederzeit – unabhängig davon, ob die Daten zur der Person konkret erhoben worden – dazu genutzt werden, Personenprofile zu erhalten.”

Dabei gab es weder automatisierte Löschungen noch Relevanzprüfungen der Daten. Der Speicherung von Daten durch den Verfassungsschutz muss unverzüglich durch rechtsstaatliche Prozesse Einhalt geboten werden. Lippmann: “Derartige Datenspeicherungen darf es bei einem Geheimdienst in keinem nur denkbaren Szenario geben.” Recht hat der Mann, aber trotz des grünen Bemühens im  sächsischen Landtag muss festgestellt werden, dass dieses Bundesland im Osten zum wiederholten mal deutlich macht, dass alte Vorurteile gegen die mangelnde Affinität zur Demokratie im Osten nicht von ungefähr kommen. Wobei nicht nur in diesem Fall demokratiefeindliche Gestalten, die aus dem aus dem Westen einwanderten oder importiert wurden,  die Urheber solcher Vertuschungesspielchen sind. Überhaupt soll an dieser Stelle einmal klargestellt werden, dass eine Vielzahl von westdeutschen Rechtsextremisten aus dem Westen in den 90er Jahren glaubte, im Osten ein ideologisches Klondyke zu finden – oder sich der Überwachung durch den Staatsschutz zu entziehen.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

3 Kommentare

  1. Helmut Lorscheid

    Roland Appel schreibt: “…Recht hat der Mann, aber trotz des grünen Bemühens im sächsischen Landtag muss festgestellt werden, dass dieses Bundesland im Osten zum wiederholten mal deutlich macht, dass alte Vorurteile gegen die mangelnde Affinität zur Demokratie im Osten nicht von ungefähr kommen.2
    Sicher richtig. Man sollte aber die Herkunft es juristischen Personals (im Innenministerium, Justizministerium, Polizei und Verfassungsschutz) bedenken. Das kam nach dem Beitritt zur BRD großenteils aus westdeutschen Bundesländern. Nicht selten handelte es sich um Juristen, die nicht zu den ganz großen Leuchten gehörten. Für Sachsen reichte es. Dort konnten Sie – im Gegensatz zum Herkunftsland – trotz ihrer Macken Karriere machen. ‘Das führte beispielsweise bei der “Aufarbeitung” des “Sachsen-Sumpfs” ganz überwiegend nicht etwa die Täter, sondern die Ermittler angeklagt und verurteilt wurden. Es gab z.B. die Situation, dass ein Mädchen, welches jahrelang sexuell mißbraucht wurde gegen ihren Zuhälter aussagen wolle. Als sie den Gerichtsssal betrat, erkannte sie den Richter wieder – als einen der Täter. Der Mann machte weiterhin Karriere, die junge Frau wurde juristisch verfolgt. Um teure Prozesse zu vermeiden, nenne ich hier keine Namen.

  2. Klaus Richter

    Zum Kommentar: letzter Absatz; das ist schon sehr unglaublich und höchstwahrscheinlich erfunden. Aber man darf alles schreiben, ohne Ross und Reiter zu nennen. Falls die Behauptung zutreffen sollte, braucht man auch keine juristischen Auseinandersetzungen befürchten.

  3. Roland Appel

    Was ich an der Geschichte nicht verstehe: Warum hat der/die Anwältin keinen Befangenheitsantrag gegen den Richter gestellt? Das hätte doch sofort einen handfesten Skandal gegeben?

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