Gerade hat vor einem Gerichtshof in Den Haag das Verfahren gegen diejenigen begonnen, die vermutlich vor sieben Jahren für den Abschuss einer niederländischen Passagiermaschine über der Ostukraine verantwortlich waren. Die beabsichtigte Verhandlung vor einem UN-Tribunal scheiterte an einem russischen Veto im UN-Sicherheitsrat.

Ein einzelnes Land kann also mit seinem Veto drängende Maßnahmen der Weltgemeinschaft verhindern und 192 Staaten bevormunden. Diese Regelung ist zwar merkwürdig, war jedoch eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Vereinten Nationen im Oktober 1945 zustande kamen. Die sogenannten fünf Siegermächten des Zweiten Weltkriegs wollten auf ihre maßgebliche internationale Rolle nicht verzichten. Deshalb räumt die UN-Charta ihnen ein besonderes Recht ein: Die USA, die UdSSR, China, Großbritannien und Frankreich sind ständige Mitglieder des Sicherheitsrates und genießen bei Abstimmungen über Friedenswahrung und globale Sicherheit ein Vetorecht.

China wurde zunächst durch Taiwan (Republik China) vertreten. Insbesondere die USA widersetzten sich der Übernahme dieses Sitzes durch die Volksrepublik China. Im Oktober 1971 bewirkte dann ein Beschluss der UN-Vollversammlung diesen Übergang. Taiwan ist seitdem international zunehmend isoliert. Russland nahm 1991 formlos und international geduldet den Sitz der Sowjetunion ein.

Der Sicherheitsrat ist das für die internationale Sicherheit und den Weltfrieden zuständige UN-Gremium. Nur der Sicherheitsrat kann völkerrechtlich bindende Resolutionen verabschieden und Maßnahmen bis hin zum Einsatz militärischer Mittel beschließen. Er besteht aus fünfzehn Mitgliedern, nämlich den fünf ständigen und weiteren zehn, die nach einem regionalen Verteilungsschlüssel für zwei Jahre gewählt werden: drei aus Afrika, je zwei aus Europa, Lateinamerika und Asien und eines aus Osteuropa. Zur Europagruppe gehören auch Australien, Israel, Kanada und Neuseeland.

Deutschland war bislang fünf Amtszeiten Mitglied des Sicherheitsrates. Allerdings ist die BRD erst seit Juni 1973 UN-Mitglied. Lange Zeit scheiterte dies am bundesdeutschen Alleinvertretungsanspruch, der eine gleichzeitige Mitgliedschaft der DDR ausschloss. Dies wollte und konnte die UdSSR nicht akzeptieren. Erst die Ostpolitik von Bundeskanzler Brandt führte dazu, dass beide deutsche Staaten aufgenommen wurden.

Sicherheits- und friedensrelevante Beschlüsse des Sicherheitsrates bedürfen der Zustimmung von mindestens neun Mitgliedern, darunter aller fünf ständigen. Immerhin hat sich die Praxis herausgebildet, dass die Stimmenthaltung eines ständigen Mitglieds nicht als Veto gewertet wird (obwohl der Wortlaut der UN-Charta die „Zustimmung“ aller fünf verlangt).

Wie sind nun die fünf ständigen Mitglieder in der Vergangenheit mit ihrem Vetorecht umgegangen? Ein Blick in die Statistik ergibt überraschende Erkenntnisse.) Insgesamt wurden bis einschl. 2020 263 Vetos eingelegt: Die meisten (117) kamen von der Sowjetunion/Russland, gefolgt von den USA (82). Großbritannien (29), China (19, erst seit 1971) und Frankreich (16) liegen deutlich darunter.

Während die Jahre 1946 bis 1960 fast ausschließlich von sowjetischen Vetos geprägt waren (71 von 75), traten danach die USA stärker in Erscheinung (64 von 113 Vetos von 1971 bis 1990). In der letzten Dekade gab es wieder häufigere Vetos Russlands (21 von 39), auch China (14 von 39) machte sich erstmals spürbar bemerkbar. Großbritannien brachte sich vor allem in der Zeit von 1971 bis 1990 zur Geltung (24 von 113 Vetos).

Betrachtet man die verschiedenen Dekaden, so erkennt man merkliche Unterschiede. Eindeutiger Höhepunkt war 1981 bis 1990 mit 66 Vetos, deutlich einvernehmlicher ging es 1961 bis 1970 (13), 1991 bis 2000 (7) und 2001 bis 2010 (16) zu. In der letzten Dekade stieg die Zahl der Vetos wieder auf 39.

Schlussfolgerungen auf die jeweilige weltpolitische Lage sind durchaus zulässig. Das Stimmverhalten in den ersten Jahrzehnten spiegelt die Frontstellung im Kalten Krieg. Die Sowjetunion legte oft ein Veto ein, um die Aufnahme neuer UN-Mitglieder zu verhindern, die sie als Teil des Westblocks ansah. Großbritannien blockierte Beschlüsse zu Südrhodesien, Namibia und Südafrika. Die USA verhinderten regelmäßig (aber nicht immer) Resolutionen zu Palästina/Israel. In den letzten Jahren scheiterten Beschlüsse zu Syrien an Russland und China.

In Wissenschaft und Politik wird überwiegend die Ansicht vertreten, dass Struktur und Arbeitsweise des Sicherheitsrates überholt sind. (Politik und Zeitgeschichte vom 18.5.2021: UN-Sicherheitsrat – Fakten und Analysen) In der UN-Millenniumsproklamation 2000 wird dies ausdrücklich betont. Bemängelt wird nicht nur die undemokratische Praxis, dass fünf Staaten sich keiner Wahl stellen müssen und ein Vetorecht ausüben können, sondern auch die überholte Zusammensetzung des Rates, die nicht mehr der Zahl der Mitgliedstaaten, ihrer Einwohnerzahl und ihrer gewachsenen Bedeutung entspricht.

Eine Abschaffung des Vetorechts und der ständigen Mitgliedschaft dürfte ein aussichtsloses Bestreben sein. Möglich wäre vielleicht eine Vergrößerung des Rates. 2005 legte der UN-Generalsekretär ein Modell vor, dass eine Erweiterung um sechs ständige und drei weitere Mitglieder vorsieht. Japan und Deutschland als dritt- und viertgrößter Beitragszahler haben bereits ihren Anspruch auf einen ständigen Sitz angemeldet. Genannt wird auch Indien, während es in Lateinamerika (Brasilien, Argentinien, Mexiko) und Afrika (Ägypten, Südafrika, Nigeria) mehrere Bewerber geben dürfte. Ein Vetorecht für neue ständige Mitglieder wird wohl kaum durchsetzbar sein.

Über Heiner Jüttner:

Der Autor war von 1972 bis 1982 FDP-Mitglied, 1980 Bundestagskandidat, 1981-1982 Vorsitzender in Aachen, 1982-1983 Landesvorsitzender der Liberalen Demokraten NRW, 1984 bis 1991 Ratsmitglied der Grünen in Aachen, 1991-98 Beigeordneter der Stadt Aachen. 1999–2007 kaufmännischer Geschäftsführer der Wassergewinnungs- und -aufbereitungsgesellschaft Nordeifel, die die Stadt Aachen und den Kreis Aachen mit Trinkwasser beliefert.