Die Parteien vor den Wählern
Die Bürger haben schwer zu tragen. Noch ist Corona nicht besiegt, da gilt es, den aktuellen Bundestagswahlkampf zusätzlich zu verkraften. Schon seine Vorgänger 2013 und 2017 gestalteten die Parteien als Zumutung. Im Wahljahr 2021 legen sie es darauf an, die Wähler noch stärker zu strapazieren. Die Parteien machen sich nicht mehr die Mühe, den Wählern Respekt zu erweisen.
Unkalkulierbare Mandatswucherung
Die Pandemie legte bloß: Die Abgeordneten in Bund und Ländern haben das Land von Wahlperiode zu Wahlperiode herunter gewirtschaftet. Das Schulsystem erstickt an föderaler Vielfalt und technischer Rückständigkeit. Es sichert gigantische Bürokratien. Sie belasten die Familien und erschweren das Berufsleben der Eltern.
Großer Rückstand prägt das Gemeinwesen auch an vielen anderen Stellen. Am deutlichsten zeigt er sich in den Parlamenten. Der Bundestag, der das Land in Schuss halten soll, ist unfähig, sich selbst zu reformieren. Er ist zu einem Apparat von unkalkulierbarer Mandatswucherung verkommen.
Wie viele Abgeordnete dem nächsten Bundestag angehören werden, ist vor der Wahl ungewiss. Sicher ist nur: Es werden mehr sein als bisher. Schon lange ist er weit über seine Sollgröße hinaus gewachsen. Er bläht sich noch schneller auf als die Missstände im Land.
Eng mit Stagnation verbunden
Seit 2015 stagniert die Republik. Die Abgeordneten und ihre Parteien beschäftigten sich vornehmlich mit der Zuwanderung. Getrieben von der Sorge, Mandate an die rechtsextreme AfD zu verlieren, erkor die CSU dieses Thema zu ihrer Hauptaufgabe.
Seither versuchen die Abgeordneten der Union, Merkels „Wir schaffen das“ mit aller Kraft zu widerlegen. Seither verbindet sich mit der Union das Eingeständnis: „Wir schaffen das nicht. Wir wollen das nicht. Wir können das nicht. Wir haben Angst vor der AfD.“ Die CSU sorgte dafür, dass die Union mit Stagnation verbunden wurde, die Rückschritt bedeutet.
Was der Union die AfD, war der SPD Die Linke. Aus Angst vor ihr ging die SPD dazu über, ihre eigene Politik zu bekämpfen. Sie erklärte ihre Agenda-Politik zum Sündenfall. Sie schredderte deren Kerngedanken, dass der Staat auch Anforderungen an die Bürger stellt. Sie weigerte sich 2017 sogar, dem Auftrag der Wähler zu folgen und zu regieren.
An Bedeutung gewonnen
Woran sollen sich die Wähler in diesem Wahlkampf 2021 orientieren? Die Zahl der Parteien, die über die Fünf-Prozent-Hürde springen können, hat sich mit der Wahl 2017 vermehrt. Seither sind die großen Parteien in Umfragen weiter geschmolzen. Derzeit schafft es keine mehr an die 30-Prozent-Marke.
Mehrheitskoalitionen aus zwei Parteien sind kaum noch möglich. Um Mehrheiten zu erreichen, braucht es drei Parteien oder zwei, die sich von einer dritten Partei dulden lassen. Die Gewichte der Parteien nähern sich. Kleine Parteien gewinnen an Bedeutung.
Bisher teilten die Parteien dem Wähler nicht mit, zu welcher Koalition seine Stimme führen wird. Sie entscheiden erst nach der Wahl. 2017 waren nur drei von sechs Parteien koalitionsfähig. Die SPD verweigerte sich. Sie machte den Weg für die FDP und die Grünen frei. Doch dann kniff auch die FDP vor der Verantwortung. Die SPD sah sich ins Spiel zurückgezwungen. Kaum je hat eine Partei ihren Daseinszweck widerwilliger erfüllt als sie.
Volatil wie Börsenkurse
Im aktuellen Wahlkampf zeigen sich alle sechs Parteien regierungswillig. Viele Koalitionskombinationen scheinen möglich. Derzeit weiß der Wähler noch weniger als 2017, was die Parteien aus seinem Votum machen werden. Dass sie ihre Optionen offenhalten, geht zulasten des Wählers. Er bleibt bis zur Wahl im Ungewissen.
Die SPD würde sich mit den Grünen verbünden. Sie schließt auch ein Bündnis mit der Linken oder der FDP nicht aus. Die Union würde sich mit der FDP verbinden. Ob die Union als dritten Partner die Grünen oder die SPD im Blick hat, lässt sie offen. Den Grünen traut man Bündnisse mit der SPD und den Linken zu, aber auch mit Union und FDP ebenso wie mit SPD und FDP.
Keine der drei Kanzlerkandidaten-Parteien legt sich auf eine Koalition fest. Sie fürchten, Koalitionsaussagen könnten ihre Wahlchancen verschlechtern. Die Wähler reagieren auf die Ungewissheit elastisch. Die Umfragewerte verhalten sich seit der Jahreswende ähnlich volatil wie Börsenkurse.
Als ungewöhnlich töricht erwiesen
Die schwankende Wählergunst befördert Spekulationen über Koalitionen. Die Mutmaßungen über Bündnisse entwerten die Wahlprogramme. Sie werden in Koalitionsgesprächen weiter relativiert. Niemand weiß, was bei drei Partnern von deren Wahlkonzepten übrig bleiben wird.
Diese Ungewissheit vergällt manchem Zeitgenossen die Freude am Urnengang. Die Kanzlerkandidaten tun das Ihre, die Unlust der Wähler zu fördern. Die grüne Baerbock erwies sich im Wahlkampf als ungewöhnlich töricht. Sie wollte sich den Zugang ins Kanzleramt mit einem frisierten Lebenslauf erschleichen.
Auch gab sie das geistige Eigentum anderer als das Ihre aus. Die Täuschung flog auf. Baerbock steht als kleines Licht da. Für viele Sympathisanten der Grünen ist sie eine Zumutung. Statt sie aus dem Verkehr zu ziehen, lassen sie die Grünen weiterhin auf die Wähler los. Ähnlich schamlos präsentiert die SPD ihre Berliner Spitzenkandidatin Giffey, die sich den Doktortitel mit Täuschung erschlich. Den Grünen zahlten die Wähler die Zumutung bereits heim. Die Umfragewerte der Partei sind stark gesunken.
Zur Zielscheibe für Hohn und Spott gemacht
Noch dümmer als die Grünen agierte die Union. Die Schwesterparteien, denen man nachsagt, machtbewusst zu sein, verloren sich im Geschwisterkrieg. Sie eröffneten ihren Wahlkampf mit einer parteiinternen Schlammschlacht. Derartige Aktionen stoßen Wähler bekanntlich ab. Sie demotivieren vor allem die bürgerlichen Anhänger der Union.
CDU und CSU gaben den Wählern zu verstehen, dass ihnen ihr Machtkampf näher liegt als die Lage der Republik. Der Streit zwischen Söder und Laschet drehte sich um die Frage, welcher Kandidat mehr Mandate verhieß. Die Union stritt um die Kanzlerkandidatur, als wäre die Bundestagswahl reine Formsache und mit der Wahl des Kanzlerkandidaten so gut wie entschieden.
Dass die CDU Laschet nominierte, Söder aber nicht mit aller Macht in die Schranken wies, kommt die Union teuer zu stehen. Ihre Konkurrenten müssen den CDU-Kanzlerkandidaten nicht fürchten. Söder macht Laschet bis heute schlecht. Söder hat Laschet über Monate systematisch zur Zielscheibe für Hohn und Spott gemacht und die Wahlkampagne der Union entwertet.
An Hatz und Hetze beteiligt
Obwohl das Verhalten des CSU-Chefs an das des verachteten Trump erinnert, genießt Söder hohe Sympathiewerte. Dass die Anhänger anderer Parteien sein Laschet-Mobbing gut finden, ist verständlich, bringt es ihren Lagern doch Vorteile. Bedenklich ist jedoch, dass auch viele Mitglieder der CDU Söder Beifall zollen. Der Applaus zeigt, wie marode die Union ist.
Laschet kann machen, was er will: Jede Bagatelle wird ihm angekreidet. Wieder einmal beteiligen sich die Medien an Hatz und Hetze, der schon der frühere Bundespräsident Wulff zum Opfer fiel.
Als wollte Laschet Söders Urteil bestätigen, fiel er im Hochwassergebiet auch noch grinsend aus der Rolle. Wen wundert es da, dass die Wähler ihn und die Union in den Umfragen abstrafen? Ihre Werte sanken schneller als das Hochwasser der Erft.
Unter Söder kontinuierlich geschrumpft
Laschet aber steht das Wasser bis zum Hals. Wenn es nach der Bundestagswahl verdunstet, wird sich zeigen, wie groß die Schäden sind, die er und die Union davongetragen haben. Auch Söder ist zum Opfer seiner Anti-Laschet-Kampagne geworden. Obwohl der CSU-Chef bundesweit große Sympathie genießt, schafft er es nicht, in Bayern seine CSU zu mobilisieren.
Sie ist auf 28 Prozent abgesackt. Die Umfrage belegt: Söders Behauptungen, Laschet sei der Grund, weshalb die CSU schrumpfe, und er, Söder, wäre der bessere Kanzlerkandidat, sind Lachnummern. Die CSU steht heute um ein Viertel kleiner da als bei der verheerenden Bayernwahl von 2018, als Söder in der Rolle des Spitzenkandidaten den Ton angab und krachend abschmierte.
Seit er in der CSU an führender Stelle mitmischt, ist sie kontinuierlich geschrumpft. Vermutlich erkennen immer mehr Bayern, dass Söder charakterlich ungeeignet ist, Führungsämter zu bekleiden. 2018 verlor er 10,5 Prozentpunkte und bescherte der CSU mit 37,2 Prozent das schlechteste Landtagswahlergebnis seit 1950. Ein Jahr zuvor erreichte die CSU bei der Bundestagswahl in Bayern mit 38,5 Prozent ihr schlechtestes Bundestagsresultat seit 1949. Damals verlor sie gegenüber der Wahl von 2013 ebenfalls 10,5 Prozent.
Als Machtdilettanten erwiesen
Dass sich die Union und die Grünen zum Wahlkampfauftakt 2021 selbst ins Knie schossen, stellt in der jüngeren Wahlkampfgeschichte eine tiefe Zäsur dar. Seit Merkel für das Kanzleramt kandidiert, also seit 16 Jahren, behauptete die SPD unangefochten ihr Monopol, sich rund um die Bundestagswahlen umfassend lächerlich zu machen.
Schröder weigerte sich 2005, Merkels Sieg anzuerkennen. Steinmeier umgab sich 2009 mit einem so großen Team, dass er unsichtbar wurde. Steinbrück fiel 2013 die Kanzlerkandidatur nur zu, weil Gabriel und Steinmeier kniffen. Völlig unvorbereitet stapfte Steinbrück im Wahlkampf 2017 in alle Fettnäpfe. Parteichef Gabriel schaute genüsslich zu.
Den Vogel aber schoss 2017 Schulz ab. Er war seit 1998 der erste SPD-Kanzlerkandidat, den die SPD-Linken durchsetzen konnten. Sie erwiesen sich als Machtdilettanten. Schulz wollte 2017 erst ins Kanzleramt, dann in die Opposition und schließlich ins Kabinett. Das wurde schließlich selbst der SPD zu bunt. Sie drängte ihn zu gehen.
Als Fake aufgebaut
Heute agiert die Partei nicht weniger diffus. Sie distanziert sich von sich selbst. Sie fordert einen Politikwechsel, obwohl sie seit acht Jahren in einer Koalition mit der Union mitregiert. Nun soll damit Schluss sein. Die SPD will das Kanzleramt übernehmen und die Union in die Opposition zwingen.
Um diesen Traum zu verwirklichen, verwendet die SPD eine ungewöhnliche Strategie. Sie baut sich als Fake auf. Um die Union loszuwerden, imitiert sie die Union. Ihr Kanzlerkandidat Scholz wirbt für sich und seine Partei, indem er die scheidende CDU-Kanzlerin Merkel nachahmt, die große Teile der SPD für den Niedergang der Partei verantwortlich machen.
Dieses Spielchen dient ihr dazu, möglichst viele jener Wähler zu gewinnen, die sich bei Merkel gut aufgehoben fühlten. Die SPD will mit den Grünen und falls nötig auch mit Der Linken koalieren. Die SPD weiß, dass viele Bürger ein rot-grün-rotes Bündnis ablehnen. Deshalb schweigt sie über ihre Absichten.
Nach allen Regeln der Kunst niedergemacht
Der linke SPD-Flügel schafft es nicht, bei bürgerlichen Wählern Vertrauen aufzubauen, das die Umfragewerte der Partei steigert. Scholz dagegen schafft das schon. Er gehört zur rechten Minderheit der Partei. Er dient der SPD-Linken als Feigenblatt. Er kann Wähler, die Vorbehalte gegen die Partei Die Linke haben, über eine möglichen Kooperation mit ihr beruhigen.
Scholz vermittelt den Eindruck, er könne die Linke bei einer rot-grün-roten Kooperation in den Griff bekommen. Ob diese Erwartung realistisch ist? Es wäre nicht das erste Mal, dass Scholz daneben liegt. 2019 bewarb er sich um den Vorsitz seiner Partei. Er war sich seiner Wahl ziemlich sicher.
Dennoch wurde er von der linken Mehrheit in der SPD besiegt und von den unbedeutenden SPD-Randfiguren Esken und Walter-Borjans geschlagen. Sie machten ihn im innerparteilichen Wahlkampf nach allen Regeln der Kunst nieder. Nicht einmal ein Viertel aller SPD-Mitglieder votierte für Scholz.
Wie das Männlein im Walde
Als Parteichef hielt ihn die SPD für unbrauchbar. Als Kanzlerkandidat zeigt er sich nützlich. Er dient seinen innerparteilichen Gegnern als Strohmann. Sie schauen zu, wie er Merkel imitiert, Presse, Funk und Fernsehen bewegt und in den sozialen Medien Widerhall findet. Die SPD-Linken halten sich im Hintergrund. Sie fürchten nicht zu Unrecht, die Wähler zu verschrecken.
Mit Scholz ist es der SPD gelungen, viele Wähler über ihre Absichten einzulullen. Mit „mit dem purpurroten Mäntelein“ und „dem kleinen schwarzen Käppelein“ wirkt er wie Hoffmann von Fallerslebens „Männlein im Walde“. Viele Wähler verbinden mit den Farben rot und schwarz offenbar nichts mehr. Der Plan der SPD scheint aufzugehen. Ihre Umfragewerte steigen.
Die Union und die Grünen stellten sich in diesem Wahlkampf so dusselig an, als wäre es ihr erster. Sie begreifen immer noch nicht, dass sie es sind, die mit ihren dilettantischen Eskapaden Scholz und die SPD-Linken für die Wähler interessant machen. Dabei bietet Scholz viele Ansatzpunkte für Kritik.
Große Probleme mit Geldwäsche
Er stilisiert sich als Macher. Oft betont er: „Ich habe dafür gesorgt, dass…“. Als Hamburgs Bürgermeister ließ er zu, dass eine Bank, die der Hamburger SPD immer wieder hohe Spenden zukommen ließ und den Staat beim Cum-Ex-Steuerbetrug um Millionen betrog, zunächst schadlos blieb. Vor dem U-Ausschuss berief sich Scholz immer wieder auf Gedächtnisverlust.
Seit Langem hat er große Probleme mit Geldwäsche. Der Wirecard-Betrug konnte sich entfalten, weil Scholz zusah, wie die ihm unterstellte Aufsichtsbehörde BaFin bei der Wirecard-Kontrolle versagte, BaFin-Mitarbeiter verbotenen Insiderhandel betrieben und sich weltweit der Eindruck breitmachte, deutschen Finanzbehörden seien korrupt. Jüngst untersuchten Staatsanwälte das Scholz-Ministerium, weil der Zoll, der Scholz untersteht, Hinweise auf Geldwäsche vorenthalten habe, die mit der Finanzierung von Terror, Waffen- und Drogenhandel zusammenhänge.
Heute rühmt sich Scholz, er habe die BaFin reformiert. Viele Aktionäre, die beim Wirecard-Betrug Geld verloren, staunen. Erst lässt Scholz das Kind in den Brunnen fallen. Dann prahlt er, den Brunnendeckel repariert zu haben. Scholz will Kanzler werden, hat aber nicht einmal sein Ministerium im Griff.
Strohhalme und Balken
Dass die SPD Scholz im Wahlkampf um den Parteivorsitz als Inkarnation des Rückschritts niedermachte und ihn nun im Bundestagswahlkampf erfolgreich als Hoffnungsträger der reformbedürftigen Republik verkauft, haben sich Union und Grüne selbst zuzuschreiben. Versunken im Morast ihrer internen Probleme ließen sie die SPD lange gewähren.
Nun schauen sie dumm aus der Wäsche und der SPD zu, wie sie einen Wahlkampf für Simpel betreibt. Er läuft darauf hinaus, finanzschwachen Wählern und denen, die sich dafür halten, Geld zu versprechen. Die Verheißung fällt auf fruchtbaren Boden. Die Pandemie hat ihn gut gedüngt.
Viele Menschen haben in der Pandemie ihr Leben verloren. Zahllose andere verloren ihr Hab und Gut. Viele rutschten in die Pleite oder nahe an ihren Rand. Die Klimaprobleme machen ebenfalls Angst. In solchen Lagen neigt der Mensch dazu, die vorbei schwimmenden Strohhalme für tragfähige Balken zu halten. Ein Irrtum, der die Wähler nach der Wahl teuer zu stehen kommen kann.
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