Olaf Scholz und der Plattform-Kapitalismus
Die Welt wird immer schlechter. Und Verräter treiben uns in den Untergang. Hauptsache dabei ist nur, recht zu behalten, beim Untergehen. So ist der Deutsche, Frauen kaum mitgemeint. Die sind in politischen Bewegungen selbst aktiv, zeigen Adorno-Schülern, was eine politische Harke ist, statt wie einst den Männern beim räsonieren “den Rücken freizuhalten”. Solche Zeiten sind vorbei. Das ist Fortschritt. Gibt es Perlen unter den Räsonierern? Entscheiden Sie selbst. Die grösste Perle ist, meine ich, ganz am Schluss: von einer Frau.
Paul Schreyer/multipolar entlarvt den kommenden Bundeskanzler. Seine Recherche von Texten des jungen Olaf Scholz ist verdienstvoll. Abseits moralischer Kategorien von Solidarität oder Verrat zeigt sie in erster Linie, dass der designierte Bundeskanzler schon als junger Mann recht gescheit war. Und das – im das Bewusstsein prägenden Sein – geblieben ist. Es gibt schlechtere Eigenschaften für das von ihm anzutretende Amt. Und es war und ist eine zentrale Voraussetzung, um es überhaupt zu erreichen. Das ist von meiner Seite kein Ausdruck von Sympathie, aber von Realismus. Ohne den kommt, wer das Leben auf dem Planeten erhalten will, keinen Millimeter weiter.
Keinen Mangel an Realismus zeigt Klaus Dörre/Jacobin. In seiner kursorischen Linkspartei-Krtik liegt er richtig. Seine Sicht auf die “systemaffirmativen Mehrheiten bei Grünen und SPD” erinnert stark an den jungen Scholz, der im September 1982 prophetisch schrieb: “Nachdem die Grün-Alternativen auf die Arbeiterklasse nicht mehr setzen wollen, fehlt natürlich den Grün-Alternativen ein gesellschaftliches Subjekt der Veränderung.”
Wo ist sie hin, die Arbeiterklasse?
Um ihre Veränderung zu verstehen, muss mann und frau zunächst die Veränderung der Produktionsverhältnisse sehen und verstehen. Dazu eignen sich sogar Produktionen der verschrieenen Mainstreammedien. Mann muss sie nur gucken. Als Spielfilm z.B. heute Bjarne Mädel/ARD (verfügbar bis 13.1.22). Oder als Doku gestern ARTE: “Auslaufmodell Supermarkt? – Jahrzehntelang beherrschten große Supermarktketten den globalen Lebensmittelmarkt. Doch allmählich scheint ihr Geschäftsmodell überholt: Ein harter Preiskrieg zwischen den Einzelhändlern und die Ankunft digitaler Großkonzerne wie Amazon und Alibaba stürzen Supermarktketten in eine immer tiefere Krise. Der Dokumentarfilm zeigt auch, wie das Einkaufen von morgen aussehen könnte.” (Video 87 min, verfügbar bis 17.12.21)
Der letztgenannte Film kann dazu verführen, sich selbst als Konsument*in die Verantwortung aufzubürden. Das wäre klassisch neoliberaler Unsinn. Nein, genau hier ist Politik, sind Politiker*innen, Parteien und Staat gefordert. Jedoch nur, wenn sie auch gefordert werden, von zivilgesellschaftlichen Bewegungen und Protesten. Von alleine tun sie nichts, auch und gerade Olaf nicht. Er hat die intellektuelle Fähigkeit festzustellen, wo welcher Wind von Herrschaft weht.
Und das ARTE-Filmchen materialistisch zu verarbeiten, helfen zwei weitere aktuelle Texte. Weniger hilfreich Leon Gerleit/telepolis: “Ist Big-Tech überhaupt regierbar? – Neoliberaler Überwachungskapitalismus: Wie gefährlich ist Facebook und wer will die großen Fünf in die Schranken weisen?” Doch macht er sich den Abbruch des Denkens – “es bleibt kaum zu hoffen” – mit seinem Verweis auf den angeblich in den USA vorherrschenden Neoliberalismus intellektuell arg einfach und bequem. Die Debatte um die grossen IT-Konzerne hat in ihrer Systemkritik in den USA – leider – einen weiten Vorsprung vor dem in Deutschland vorherrschenden folgenlosen Gegreine und Talkshow-Gelabere. Denn es steht dort auf den Agendas fast aller wichtigen Parlamentsgremien. Das kann hierzulande noch was dauern …
Eine positive Überraschung war für mich Annette Schlemm/Junge Welt: “Pest und Potential – Unter den gegenwärtigen Verhältnissen ein Mittel verschärfter Ausbeutung – in einer sozialistischen Gesellschaft eines der gesellschaftlichen Planung. Zur politischen Ökonomie der »Plattformen«”. Lesen Sie den vor oder nach dem ARTE-Film – zumal er in einigen Tagen in einem Paywall-Archiv versinken wird (= “linke Medienstrategie”) Dann verstehen Sie ziemlich viel.
Dann fehlt nur noch, zur politischen Tat zu schreiten. Auch das wird dauern … (müssen)
Letzte Kommentare