Wenn deutscher Journalismus “Porno” recherchiert: wer ist der Böse?
Netzpolitik.org ist gewöhnlich ein substanziell arbeitendes, medienkritisches und unabhängiges Portal. Nicht in Geld schwimmend, aber auch nicht mehr arm. Sie haben sich ihre Reputation hart – und mutmasslich mit reichlich Selbstausbeutung – erarbeitet, so dass es erfreulicherweise eine in der jüngeren Vergangenheit gewachsene Spendenbereitschaft gibt. Und was sie veröffentlichen, ist digital frei zugänglich. Quellen werden – unfassbar, dass das immer noch hervorgehoben werden muss – anständig und nachvollziehbar verlinkt.
Warum dieses ausführliche Lob? Weil ich heute zum ersten Mal enttäuscht wurde. Sebastian Meineck: “Pornoplattform – Die Männer hinter xHamster – Die Bosse von xHamster haben sich jahrelang im Verborgenen gehalten. Jetzt enthüllen Recherchen erstmals zwei führende Köpfe hinter Deutschlands meistbesuchter Pornoseite.”
9 Personen haben nach Meinecks Darstellung an der Story recherchiert: vier Spiegel-Redakteur*inn*e*n, und fünf von STRG_F (einer für die junge Zielgruppe arbeitenden Gruppe im NDR). Beiden Medien gemeinsam ist, dass sie in der Aufmerksamkeitsökonomie grossen Wert auf ihre eigene Verhaltensauffäligkeit legen. Das korrespondiert – vorsichtig formuliert – nicht immer mit der inhaltlichen Substanz, die “unten rauskommt”. Bei ihren Arbeitgebern Spiegel und NDR darf vermutet werden, dass nicht immer und überall Sparzwang geherrscht hat. Nach Meinecks Darstellung gehörten Recherchereisen (Zypern) zur Recherche dazu. Wie schön. Schöner, als es netzpolitik-Autor*inn*en gewöhnlich haben. Und der Spiegel hat seine Version der Story selbstverständlich eingemauert – er will, dass Sie die Kosten übernehmen.
Ziel der Recherche war dieses Mal nicht der in der westlichen Hemisphäre vorherrschende Mindgeek-Konzern, sondern ein kleinerer Konkurrent, dessen populäre (aber keineswegs “meistbesuchte”) Pornoplattform xhamster zu einem Firmenkonglomerat namens “Wisebits Ltd”gehört.
Während Mindgeek seinen Hauptsitz in Luxemburg hat, sitzt Wisebits auf Zypern. Wie praktisch: beides EU. Strategisches Interesse bei der Verteilung der Firmenadressen auf dem Globus ist – Überraschung! – Steuervermeidung. Im Falle Wisebits sind die Rechercheur*inn*e*n von Spiegel und NDR auf zwei – mutmasslich clevere – Russen gestossen, die sich die zypriotische Staatsbürgerschaft gekauft haben (ein Sachverhalt, auf den MdEP Sven Giegold schon oftmals aufmerksam gemacht hat). So sind sie wenigstens sicher vor dem fiesen Putin – jedenfalls, falls sie diese Sicherheit mal brauchen. Abramowitsch z.B. fühlt sich in London nicht mehr sicher, und residiert jetzt in Israel (also ganz in der Nähe, mit dem Schlauchboot höchstens eine Tagesreise).
Warum ist die Recherche so enttäuschend? Weil sie die entscheidende Frage überhaupt nicht bearbeitet: was ist das Geschäftsmodell? Meine Antwort: es sind die von den Pornokonsument*inn*en gesammelten, und wild an jede*n solvente*n Kundin*en weiterverkauften Daten.
Pornokonsumenten schämen sich für das was sie tun. Sie reklamieren also keine Rechte, keinen Verbraucher*innen- und keinen Datenschutz (wie übrigens die Pornodarsteller*innen kaum auf relevantes Arbeits- und Gesundheitsrecht zurückgreifen können). Alle sind also von der Porno- und Datenkapitalseite beliebig ausplünderbar (= Extraprofit; bei Kaliforniens Marktführer kink.com ist der Boss übrigens eine Frau, Alison Boden). Das ist das Geschäftsmodell.
Es ist für ein Medium von der Qualität von netzpolitik.org geradezu unwürdig, auf die Ausleuchtung dieses Geschäftsmodells so zu verzichten, wie es Spiegel und NDR – mal wieder – getan haben. Von denen bin ich nichts anderes gewohnt. Mein Vorschlag an netzpolitik.org: beim nächsten Mal recherchiert ihr wieder selbst. Und bitte die Kapitalströme, die Kontrolle des Datenvermögens und die Querverbindungen in herrschende Klassen und organisierte Kriminalität; und bitte dabei Japan/Yakuza nicht vergessen.
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