Die Gremien der Union tagen in Permanenz – man könnte glauben, sie hätte noch etwas mit der künftigen Politik der Bundesregierung zu tun. “Allerwichtigste” Männer – namenlose Fraktionsvorsitzende aus den Bundesländern von CSU und CDU berichteten zu Wochenbeginn wortreich nichts inhaltliches von einer belanglosen Tagung. Anschließend berichtete Generalsekretär Paul Ziemiak nichts inhaltliches vom CDU-Bundesvorstand. Jaja, man stehe zur Verfügung, wolle keine Regierungskrise zulassen, falls die Ampel nicht komme. Das verkünden vor allem alte Männer, von denen einer älter aussieht, als der andere. Merz ist dabei, Röttgen auch. Aber wofür stehen die eigentlich? Was sind die Ziele der CDU?
Angela Merkel hat als Kanzlerin eine Politik gemacht, die die CDU um ein halbes Jahrhundert überholt hat. Im Grundsatzprogramm der CDU stehen noch Atomkraftwerke, die längst abgeschaltet sind und Thesen zu Ehe und Familie, für die ihre Verfechter eigentlich zum Schämen in den Keller gehen müssten. Oder die Bruder Woelki geschrieben haben könnte. Das offenbart den eigentlichen Charakter der CDU: Sie ist keine Partei, schon gar keine “Volkspartei”, sondern ein Kanzler*innen-Wahlverein. Das war bei Konrad Adenauer so, für den Westintegration, Marktwirtschaft und Antikommunismus die drei wichtigsten, sinnstiftenden Elemente der Politik waren. Katholizismus, Frauenbild der 50er, oft zwangsläufiger Flirt mit den ehemaligen NS-Beamten, wie seinem Kanzleramtsminister Globke, waren an der Tagesordnung. Mit Erhard und Kiesinger hat sich das nicht geändert, aber als Letzterer von der sozialliberalen Koalition 1969 abgelöst wurde, fiel die Union in ein tiefes programmatisches Loch.
Die CDU konnte nie wirklich Opposition
Ob Rainer Barzel 1972 oder Helmut Kohl 1976 – die CDU hatte außer einer Verneinung der sozialliberalen Politik keine einzige eigene neue Idee anzubieten. Nachdem sie die Anerkennung der Oder-Neisse-Grenze und die Aussöhnung mit dem Osten nicht verhindern konnte, bestand die Politik der CDU jahrelang darin, den Bundesrat und indirekt das Bundesverfassungsgericht als Reformbremse zu nutzen – Klagen gegen Liberalisierungen des Abtreibungs- und Kriegsdienstverweigerungsrechts, ein ideologisch überladener Schulkampf gegen Reformpädagogik und Gesamtschulen in den Ländern, zusammen mit der SPD die Regelanfrage beim Verfassungsschutz bei Bewerber*innen für den öffentlichen Dienst, die sogar Lokführern mit DKP-Parteibuch Berufsverbot erteilte, waren die rein destruktiven Elemente der CDU-Politik. Während des “Deutschen Herbst” des RAF-Terrorismus ließ sie sich von Helmut Schmidt in eine Art Allparteien-Krisenregierung einbinden. Allein die CSU und ihr damaliger Chef Franz-Josef Strauß zeigte sich um 1980 dem Zug der Zeit gegenüber aufgeschlossen, indem “FJS” den Milliardenkredit für den “Klassenfeind” in der DDR einfädelte. Bezeichnenderweise kam die CDU 1982 nicht durch Neuwahlen, sondern den Verrat der FDP-Spitze Genscher/Lambsdorff an der sozialliberalen Koalition und ein konstruktives Mißtrauensvotum an die Macht. Die FDP verlor darüber ihren linksliberalen Parteiflügel und wurde zur langjährigen Bürgerblockpartei.
Regieren ohne Inhalte
Die von Helmut Kohl bei seinem Amtsantritt versprochenes “geistig-moralische Erneuerung”, eine Art Rückkehr zum Adenauer-Staat fand allerdings nicht statt. Die Grünen, die Friedens-, Frauen- und Volkszählungsboykottbewegungen prägten stattdessen den gesellschaftlichen Diskurs. Die Inhalte der Kohl-Regierung, den rigorosen Neoliberalismus Ronald Reagans mit Privatisierung, schlankem Staat und Umverteilung von unten nach oben und Streichung der Sozialleistungen auf allen Ebenen setzte die FDP durch. Schon 1980 hatte Otto Graf Lambsdorff erklärt, in Deutschland verdienten Manager gerade mal das zehnfache der Durchschnittsarbeiter, in den USA das hundertfünfzigfache – da sei also noch Luft nach oben. Im Sinne der katholischen Soziallehre war das nicht. Nach der Privatisierung von Post, Bahn und dem Verkauf manch anderen Tafelsilbers wäre Kohl wahrscheinlich 1990 schon am Ende gewesen – hätte sich nicht die historische Chance zur Maueröffnung und Einheit ergeben, die er intelligent und mit dem richtigen Gefühl für die Gunst der Stunde gemanagt hat. Nicht ohne dabei zu einem Taschenspielertrick zu greifen, der dem Land tiefen Schaden zugefügt hat. Um sein Versprechen zu halten, dass die Einheit ohne Steuererhöhungen möglich sei, bürdete er deren Milliardenkosten der Sozial- und Rentenversicherung auf. Eine Hypothek, die er dem Land verantwortungslos hinterlassen hat.
Nach Kohl kam das Nichts
1998 war die CDU nach 16 Jahren Kohl am gleichen Punkt wie 1969 angekommen. Mit dem Machtwechsel zu Rot-Grün zeigte sich, dass die CDU/CSU allein als Kanzlerwahlverein erfolgreich, ohne dessen Macht aber heillos zerstritten und in Flügelkämpfe und Korruptionsaffären verstrickt war. Angela Merkel hat diese Situation erkannt und ihr politisches Handeln konsequent an die Realitäten angepasst. Die pragmatische Physikerin, in der DDR und in der FDJ sozialisierte Frontfrau lernte schnell, sich gegen die Intriganten des “Andenpakts” – von Koch über Wulff, von Beust, Röttgen, Oettinger, nebst Krause und Stoiber durchzusetzen. Ihr Coup 2002, Stoiber beim Frühstück in Wolfratshausen die Kanzlerkandidatur anzubieten, ist Legende. Kann sich irgendjemand, der damals schon Politik verfolgt hat, an ein bekanntes und originäres politisches Ziel der CDU erinnern? Auch damals ging es allein um die nächste Kanzler*innen*wahl – garniert mit ein paar neoliberalen Phrasen – man sei gegen Dirigismus, Bürokratie, Gleichmacherei, Subventionen, Steuerlast und mehr Freiheit für die Wirtschaft.
Nach Merkel kommt noch mehr Nichts
Die moderne Lehre vom Universum zeigt uns, dass “Nichts” nur noch durch “noch mehr Nichts” in den fernen Weiten hinter der Grenze des bekannten Universums von über 13 Milliarden (Licht-)Jahren übertroffen wird. Die CDU vollzieht das derzeit nach – heute begrüßte der Bundesvorsitzende der “Jungen Union” Tilman Kuban den Oldie, Blackrock-Lobbyisten und Millionär Friedrich Merz als Gastredner für die Zukunft der CDU. Das ist, als ob vor 65 Millionen Jahren, kurz nach dem Einschlag des großen Meteoriten auf der Erde, auf der “Vereinigten Versammlung der Weltsaurier” der Tyrannosaurus Rex eine vielbeklatschte Rede über die jahrtausendelangen Vorteile der Größe der Dinosaurier gegenüber allen anderen Lebensformen gehalten hätte. Und Norbert Röttgen, Armin Laschet und Jens Spahn machen die Nabelschau voll. Die “Junge” Union hat es geschafft, bei ihrer Bundeskonferenz nur Männer als Gastredner zum Schaulaufen zu bitten. Sie sollten sich in “Junge Männerunion” umbenennen.
Laschet als Sündenbock
Der Sündenbock der Wahlniederlage der CDU ist nun Armin Laschet. Der Spitzenkandidat der CDU, der zunächst von seinem politischen “Parteifreund” Söder (wir erinnern und an die Steigerung Freund -> Feind -> Parteifreund) monatelang “beraten” und wöchentlich drangsaliert wurde, nur um sich selbst die Rolle des “Kanzlerkandidaten der Herzen” anzueignen. Dabei beruhen alle Argumente, Söder wäre der bessere Kandidat gewesen, Laschet habe Fehler gemacht, auf Spekulationen der Kategorie “hätte, hätte, Fahrradkette”. Fakt ist, dass der Unionskandidat, aufgrund der bedrückenden Umweltkatastrophen nicht umhin kam, einen Klimawahlkampf zu führen, aber anders als die SPD, die der Union einfach die Bremserrolle zuschob, nicht erklären konnte, warum die CDU nicht schon in den letzten 16 Regierungsjahren mehr für den Klimaschutz getan hat. Die Ausflucht, man habe nach Fukushima die falschen Kraftwerke abgeschaltet, war so unlogisch wie unglaubwürdig. Da nützte es auch nichts mehr, in den letzten vier Wochen einen Antikommunismuswahlkampf mit der 37. Auflage der Rote-Socken-Kampagne gegen Bündnisse mit der Linkspartei zu führen. Auch dies war keine Begründung, weswegen man die Union wählen solle, und nicht FDP, Grüne oder SPD.
Das Ende der Volksparteien
Bei der Union hat sich bei dieser Bundestagswahl zum ersten Mal relevant und spürbar ein seit Jahren absehbarer Trend zum Abschied von milieu-, schichten- und kulturspezifischem Wahlverhalten manifestiert. Die katholische oder streng evangelische Anhängerschaft hat sich von der CDU emanzipiert, wählt z.B. in Teilen Baden-Württembergs inzwischen Grün. Das Wahlverhalten älterer Frauen hat sich ebenso gewandelt wie die Integrationskraft der CDU/CSU nach rechts seit Bestehen der AfD nicht mehr funktioniert. Bundesweit hat die CDU in vielen Gross- und Mittelstädten die Bürgermeister verloren. Bei Jugendlichen ist die Union ebenfalls weit abgehängt. Hier liegen Grüne und – allerdings nur bei den männlichen Jungwählern – die FDP vorn. Die wichtigste Erkenntnis aus den letzten Wahlen ist aber, dass Wählerinnen und Wähler erst kurz vor der Wahl, manchmal erst am Wahltag selbst, ihre Entscheidung treffen. Da gleichzeitig die Zahl der Briefwähler*innen immer stärker ansteigt, werden sowohl Prognosen, als auch Nachwahlbefragungen als politikwissenschaftliches Instrument immer ungenauer. Signifikant nachgewiesen werden konnte lediglich, dass eine große Zahl von Wähler*innen von der CDU zur SPD gewandert sind. Vermutungen gehen dahin, dass es sich dabei um Anhänger*innen von Merkels Kurs der aufgeklärten, vermeintlich linken Mitte gehandelt haben könnte, die diesen Kurs beim Personalangebot der CDU vermissten, zumal sich profilierte Frauen, wie AKK und Julia Klöckner, aus der ersten Reihe zurückgezogen haben. Auch die CSU wird sich diesem Trend nicht entziehen können.
Kein Land in Sicht
Es ehrt Armin Laschet, dass er den Nachfolgeprozess moderieren möchte, um Kandidatenchaos und -verschleiss zu vermeiden. Da sich Seilschaften, Zu- und Abneigungen in der CDU nicht geändert haben, wird es wohl auf die Kür von Jens Spahn als Nachfolger hinauslaufen. Kein anderer Bewerber und schon gar keine Bewerberin mit Zukunft (2025 wird Merz 71) sind in Sicht. Zudem steht Laschet, der – erinnern wir uns – vor zwei Jahren im “Tandem” mit Spahn für den CDU-Vorsitz antrat, bei diesem im Wort. Da sich bei der bisherigen Nabelschau der CDU auf dem Bundeskongress der Jungen Union bis auf Jens Spahn ausschließlich alte Männer die Türklinke in die Hand gegeben haben, wird der Erneuerungsprozess der CDU sicher noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern. Eine Chance für eine soziale, liberale und ökologische Erneuerung des Landes und Europas, die, wenn es SPD, Grüne und FDP geschickt anstellen, diesmal länger dauern könnte, als dreizehn Jahre sozialliberale, und sieben Jahre rot-grüne Koalition. Viel Zeit für eine grundsätzliche Erneuerung mit zeitgemäßen Inhalten sei der Union gegönnt.
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