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Die FDP

Zwischen „50 Jahre Freiburger Thesen“ und Ampelkoalition 2021

Vor 50 Jahren, vom 25. – 27. Oktober 1971, trafen sich in Freiburg die Delegierten aus den Bezirksverbänden der F.D.P. um ein neues Parteiprogramm zu beschließen. Es sollte so etwas wie die programmatische Grundlage der mit der Bildung der ersten Regierung Brandt/Scheel im Oktober 1969 koalitionspolitisch bereits vollzogenen sozial-liberalen Orientierung der F.D.P. geschaffen werden. Herausgekommen ist ein für damalige Verhältnisse geradezu revolutionäres und in weiten Teilen kapitalismuskritisches Programm, das in Teilen auch der heutigen FDP gut zu Gesicht stehen würde, wenn sie es nicht spätestens mit dem Kieler Bundesparteitag vom 6. bis 8. November 1977 in den Papierkorb geworfen hätte. Dass die heutige FDP mit dem Freiburger Programm jedoch kaum noch etwas verbindet, ist aktuell an den Ergebnissen der sogenannten Sondierungsgespräche ablesbar.
Hatte sich die FDP in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts unter Schmerzen von ihrer national-liberalen Tradition verabschiedet, ging es in Freiburg vor allem um die Gerechtigkeitsfrage, die eng verbunden war und ist mit den wirtschaftlichen Machtverhältnissen in unserem Land. Das Freiburger Programm stellt dazu fest:
„In einer Gesellschaft, in der Besitz und Geld der Schlüssel für fast alle Betätigung der Freiheit ist, ist die Frage des gerechten Anteils an der Ertragssteigerung der Wirtschaft und am Vermögenszuwachs der Gesellschaft nicht nur eine Gerechtigkeitsfrage: sie ist die Freiheitsfrage schlechthin.“
Dementsprechend forderte die FDP damals eine grundlegende Reform des Kapitalismus. Dazu gehörten Forderungen nach einer breiten Vermögensbildung mit überbetrieblicher Vermögensbeteiligung ebenso wie Thesen zur Reform des Bodenrechts mit Einführung einer Bodenwertzuwachssteuer. Angesichts der aktuellen exorbitanten Preisentwicklung bei Grund und Boden, hätte eine Realisierung damaliger FDP-Forderungen die Mietpreisbremse und die Kommunalisierung von Wohnungsbaugesellschaften überflüssig gemacht.
„Den Gemeinden muss eine angemessene Bodenvorratspolitik‚ ermöglicht werden. Der Anwendungsbereich des besonderen Vorkaufsrechts soll auch auf Flächen außerhalb von Bebauungsplänen erweitert werden. Das gemeindliche Grunderwerbsrecht ist auszuweiten …
Die Kompliziertheit und lange Dauer von Enteignungsverfahren verzögert dringende öffentliche Vorhaben in untragbarer Weise . . .
Es gilt also, unter Beibehaltung der grundsätzlichen privaten Verfügung über Grund und Boden, zu verhindern, dass aus spekulativen Motiven Grundstücke einer knappheitsgerechten oder gesellschaftlich erwünschten Nutzung entzogen werden und dabei der von der Gesellschaft geschaffene Wertzuwachs in Gewinnen Einzelner aufgeht. Dem kann eine Besteuerung des Wertzuwachses bei Bauland deutlich entgegenwirken.“

Auch über leistungsloses Einkommen durch Erbschaft hat sich die FDP damals Gedanken in Form einer neukonzipierten Nachlassabgabe gemacht.
„Die bisherige Erbschaftsteuer wird abgeschafft. An ihre Stelle tritt eine Nachlassabgabe. . . Das Aufkommen aus der Nachlassabgabe und der Schenkungsteuer wird der überbetrieblichen Vermögensbeteiligung zugeführt . . .
Der Grundfreibetrag in Höhe von 250 000 DM sowie die Freistellung des Ehegatten stellen 99 Prozent aller Nachlassfälle von der Abgabepflicht frei. Damit werden die Ziele der liberalen Vermögensbildungspolitik und die Verwirklichung des Rechts auf Eigentum wirksam unterstützt . . .
Die abgabepflichtigen Vermögensteile werden bis zu einem Wert von sechs Millionen DM nach einem durchgestaffelten Tarif erfasst, der so gestaltet ist, dass die tatsächliche Belastung bei sechs Millionen DM 22 Prozent beträgt. Für alle darüber hinausgehenden Beträge wird ein Steuersatz von 75 Prozent angewandt . . .
Soweit ein Nachlass Unternehmen oder Teile von Unternehmen umfasst, ist die Nachlassabgabe nicht in bar, sondern anteilig in Beteiligungsrechten zu leisten . . .
Alle Zuwendungen unter Lebenden werden nach dem Tarif für die Nachlassabgabe besteuert.“

Einer besonderen Erwähnung bedarf der Passus zur Unternehmensmitbestimmung. Sah der von Werner Maihofer eingebrachte Entwurf noch eine Besetzung des Aufsichtsrats mit 4 Vertretern der Anteilseigner, 2 Vertretern der Leitenden Angestellten und 4 Vertretern der Arbeitnehmerseite vor, setzte sich in einer Kampfabstimmung mit einer Stimme Mehrheit das sog. Riemer-Modell mit einer 6:4:2 Besetzung durch.
Diese Abstimmung wird zu recht als Schlüsselentscheidung des Parteitags angesehen.1 Wenn es richtig ernst wird, sollte das Kapital doch das Sagen haben. Die Entscheidung für das Riemer-Modell ermutigte all diejenigen, die die Gerechtigkeitsfrage doch nicht für die Freiheitsfrage schlechthin hielten. Letztlich blieb die Phase des sozialen Liberalismus ein Zwischenspiel, dem endgültig mit dem sog. “Lambsdorff-Papier“ von 1982 der Todesstoß versetzt wurde.
Folgerichtig knüpft die heutige FDP mit ihren Beiträgen zum Sondierungsergebnis der Ampelgespräche auch in keinem erkennbaren Punkt an die Freiburger Thesen von 1971 an. Ihr Verhältnis zum Staat scheint nach wie vor von neo-liberalem Gedankengut geprägt. Freie Fahrt für freie Bürger ist dabei nur der augenfälligste und zugleich primitivste Impuls. Wohlfeile Modernisierungsforderungen und der Ruf nach mehr Digitalisierung verdecken nur die sonstige Inhaltsleere.
Der Gerechtigkeit halber muss man der FDP zubilligen, dass sie ihre rechtsstaatliche Tradition in all den Jahren seit Bildung der ersten schwarz-gelben Koalition unter Helmut Kohl nie verraten hat. Dafür stehen Namen wie Gerhart Baum, Burkhard Hirsch und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Wenn die FDP zu dieser Linie auch in einer Ampel-Koalition steht, wird man ihr dankbar sein können. Mit welchen Namen dies künftig verbunden sein wird, ist noch nicht erkennbar.
Fazit: Solange es nicht um die Machtfrage geht, wird wahrscheinlich auch künftig verschiedentlich Gelegenheit sein, sich über eine Regierungsbeteiligung der FDP zu freuen. Wer allerdings im Zuge der näher rückenden Ampelkoalition auf eine Renaissance des Sozialliberalismus hofft, dürfte auch in den nächsten Jahren enttäuscht werden.
Fußnote
1
Eine aufschlussreiche Übersicht über die Entwicklung der FDP zwischen 1971 und 1982 liefert die Dissertation von Jan Alberding, Die Transformation der FDP in der sozial-liberalen Koalition,

Über Dr. Hanspeter Knirsch (Gastautor):

Der Autor ist Rechtsanwalt in Emsdetten und ehemaliger Bundesvorsitzender der Deutschen Jungdemokraten. Er gehörte in seiner Funktion als Vorsitzender der Jungdemokraten dem Bundesvorstand der F.D.P. an und war gewähltes Mitglied des Landesvorstands der F.D.P. in NRW bis zu seinem Austritt anlässlich des Koalitionswechsels 1982. Mehr zum Autor lesen sie hier.

Sie können dem Autor auch im Fediverse folgen unter: @hans.peter.knirsch@extradienst.net

2 Kommentare

  1. rudolf schwinn

    Jungdemokraten sind – wie könnte es auch anders sein – alt geworden, sind sich aber – im Gegensatz zu anderen – treu geblieben: Der fundierte Text von Herrn Dr. Hanspeter Knirsch, der an das vor fünfzig Jahren beschlossene “Freiburger Programm” der FDP erinnert, ist in meiner Wahrnehmung ein exemplarischer Beleg hierfür. Und dies empfinde ich als Demokrat ermutigend.
    Liest man die Kernsätze des bewusstden Programms und konfrontiert man sie mit dem, was unter Mitwirkung der zur “Wirtschaftslobby” verkommenen Partei nach deren Koalitionsbruch in diesem Lande geschah, gelangt man zu dem Resümee: Lambsdorff und Genscher haben auch dem Liberalismus nachhaltig Schaden zugefügt, indem sie dem Freiburger Aufruf zum sozialen Ausgleich in der Gesellschaft ignorierten und dafür den absoluten Vorrang der Wirtschaftsinteressen durchsetzten.
    Respekt gebührt umso deutlicher den Sozialliberalen und Jungdemokraten, die sich in der Tradition von 1848 verstehen und die “Gerechtigkeits-” als die Freiheitsfrage” verstehen. Diese Gleichung ist der FDP “unserer Zeit” ohne Zweifel fremd. Kapitalismuskritische Ansätze sind in den tonangebenden Kreisen dieser Partei verpönt.
    Rudolf Schwinn, Bonn

    • Hanspeter Knirsch

      Lieber Herr Schwinn, vielen Dank! Ach, das tut gut.
      Hanspeter Knirsch

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