Die SPD-Chefs: Wenn der Sieg zur Niederlage wird
Schmerzlich sind Siege, die sich als Niederlage erweisen. Diese Erfahrung macht gerade die SPD-Linke um ihre Aushängeschilder Kühnert, Esken und Walter-Borjans. Ende 2019 erreichten sie einen Höhepunkt ihrer Macht. Damals gelang es ihnen mithilfe der Jusos, Finanzminister Scholz, einen Mann des rechten SPD-Flügels, als Parteichef zu verhindern.
Zwei kleine Lichter
An seiner Stelle etablierte Kühnert an der SPD-Spitze mit Esken und Walter-Borjans zwei kleine Lichter. In monatelangen parteiinternen Wahlkampf um den Vorsitz hatten sie Scholz heftig attackiert, ihn hin und wieder bloßgestellt und sogar durch den Kakao gezogen.
Mit ihrem Sieg und seiner Niederlage verbanden die SPD-Linken den Anspruch, die Geschicke der Partei zu dominieren. Sie hing seit Jahren in Umfragen bei 15 Prozent fest. Esken und Walter-Borjans kündigten an, die Umfragewerte innerhalb eines Jahres auf 30 Prozent zu verdoppeln.
Die Freude des Trios über seinen Erfolg und die Niederlage ihres Konkurrenten Scholz währte nicht lange. Schnell zeigten sich Esken und Walter-Borjans überfordert, der SPD neue Wählergruppen zu erschließen und die Partei aus dem 15-Prozent-Gefängnis zu befreien.
Zum Handicap entwickelt
Doch der versprochene Aufbruch blieb aus. Statt bei 30 Prozent stand die SPD im Dezember 2020 bei 16,5 Prozent, im Januar 2021 bei 16 und im Monat darauf nur noch bei 15,0 Prozent. Gut ein Jahr nach dem Amtsantritt der beiden Vorsitzenden war die SPD kein Prozentpünktchen vorangekommen.
Der Versuch der SPD-Linken, die Partei nach links zu verschieben, scheiterte an der Begrenztheit ihres Personals. Die neuen SPD-Chefs hatten sich als Maulhelden entlarvt. Sie galten als ungeeignet, Kanzlerkandidat oder gar Bundeskanzler zu sein.
Esken war als Bürgerschreck abgestempelt, Walter-Borjans als Kühnerts Strohmann. Schlimmer noch: Kühnert selbst, der Hoffnungsträger der SPD-Linken, hatte sich für sie zum Handicap entwickelt. Er stand ohne Beruf da. Zur sozialen Absicherung benötigte er ein Bundestagsmandat.
Zum Applaudieren verurteilt
Kühnerts Notlage brachte den als zweitrangig deklassierten Finanzminister Scholz ins Spiel zurück. Ende 2019 hatten ihn Esken und Walter-Borjans als SPD-Chef verhindert. Acht Monate später sahen sie sich gezwungen, ihn als Kanzlerkandidaten zu präsentieren.
Erst als dieser Schritt vollzogen war, öffnete die Berliner SPD Kühnert den Zugang zu einem Wahlkreis. Der Star der SPD-Linken musste erst Scholz als Kanzlerkandidaten akzeptieren, ehe er dann kurz vor Weihnachten 2020 endgültig für den Wahlkreis nominiert wurde.
Kühnert konnte sich über seine gesicherte Zukunft freuen. Für Esken und Walter-Borjans aber hatte sich ihr Sieg über Scholz zur Niederlage gewandelt. Sie mussten ihm nun applaudieren und ihn reibungslos flankieren. Das Machtpendel war vom linken zum rechten SPD-Flügel zurückgeschlagen.
Die Hilfe der Union
Jeder Erfolg der SPD fällt derzeit Generalsekretär Klingbeil zu. Er kann auf die Machterfahrung des rechten SPD-Flügels zugreifen und den großen Einfluss der IG BCE nutzen. Sie stützte schon Schröder gegen Lafontaine und half Clement wie Steinbrück, in NRW Ministerpräsident zu werden.
Die SPD-Linke sah sich ausgebremst. Doch auch sie zeigte Disziplin. Die Umfragewerte blieben schlecht. Ein halbes Jahr vor der Wahl fielen sie auf 13 Prozent. Sie verhießen ein miserables Wahlergebnis. Mit ihm wäre Scholz am Ende gewesen und die Bahn für die SPD-Linke frei.
Es sollte anders kommen. Die Union löste sich auf. Söder fiel Laschet in den Rücken. Große Teile der CDU ließen sich von Söder ködern. Laschet leistete mit einigen ungeschickten Auftritten jenen Kräften in der CDU Vorschub, die Merkels Politik hassen und in ihm ihren Wiedergänger sehen.
Das Terrain ausweiten
Laschets geschlagene Konkurrenten um den CDU-Vorsitz witterten die Chance, ihren schwindenden Einfluss zurückzugewinnen. Der Streit in der Union lähmte deren Wahlkampf und beherrschte die Schlagzeilen. Die Union diente ihrer Konkurrenz. Die SPD wusste nicht, wie ihr geschah.
Sie konnte ihr Glück kaum fassen. Sie musste sich nur zurücknehmen und der Union das Feld überlassen. Das fiel nicht schwer, weil der Wahlkampf der Partei lediglich aus wenigen Signalen bestand. Scholz brauchte nur zu schweigen. Die Union sorgte dafür, dass die SPD in Umfragen zulegte.
Der SPD-Sieg war fast reine Formsache. Er stärkte den rechten SPD-Flügel und beschnitt die Ambitionen der SPD-Linken. Sie sind in die Koalitionsverhandlungen eingebunden und von der Aussicht auf Ämter und Posten gefesselt. Der rechte SPD-Flügel weitet nun sein Terrain aus.
Legenden verbreitet
Er feiert Generalsekretär Klingbeil als Architekten des Erfolgs und bringt ihn für das Amt des SPD-Chefs in Stellung. Kühnerts Strohmann Walter-Borjans muss seine Sachen packen und Platz machen. Er bleibt sich treu. Er verabschiedet sich aus dem Amt, wie er es antrat: mit einer Legende.
Bei seinem Amtsantritt wollte er die SPD auf 30 Prozent bringen. Das schaffte sie bis heute nicht. Seinen Rückzug nutzt er, um seine Amtszeit zu verklären und sich als Herkules zu profilieren. Er habe die Partei geeint und den Wahlsieg ermöglicht. Da macht sich Realitätsverlust breit.
Er setzt darauf, dass viele sein Selbstlob nachplappern. Diese Hoffnung ist nicht völlig unbegründet. Von der Last befreit, SPD-Chef zu sein, wird er wohl demnächst durch die Unterbezirke reisen, um seine Selbstsicht in der Partei zu verankern und sich feiern zu lassen.
Zwei Kronprinzen am Werk
Esken droht ebenfalls demontiert zu werden. Sie wehrt sich noch. Sie wurde mächtig gedrängt, sich zwischen einem Platz im Kabinett und dem an der SPD-Spitze zu entscheiden. Auch im eigenen Lager wurde sie vor die Wahl gestellt. Es deutet sich an, dass Teile der Partei sie am liebsten loswürden.
Sie entschied sich für den SPD-Vorsitz. Im Kabinett hätte sie ihrem innerparteilichen Kontrahenten Scholz unterstanden. Mit der Absage an einen Ministerposten betont sie ihre Unabhängigkeit. Sie wird Scholz kritisch begleiten wollen und versuchen, einen Kontrast zu ihm zu bilden.
Wird auch Klingbeil gedrängt, sich zwischen dem Kabinett und dem Parteivorsitz zu entscheiden? Noch ist Scholz nicht im Kanzleramt angekommen, da gilt Klingbeil schon als Kronprinz. Von Kühnert, der sich für den wahren Kronprinzen hält, ist nichts zu hören. Er stellt sich wohl gerade vom Strohmann Walter-Borjans auf die Strohfrau Esken um.
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