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NRW-SPD: Wie konnte das passieren?

Nur mickrige 26,7 Prozent erreichte die NRW-SPD am Sonntag. Es war das schlechteste Ergebnis, das sie jemals bei einer NRW-Wahl erzielte. Wie um alles in der Welt konnte das nur passieren? Die Partei hatte doch die besten Voraussetzungen, die jüngste Landtagswahl zu gewinnen.

Genügend Zeit

Nach 16 Jahren konnte sich die SPD endlich wieder bei einer NRW-Wahl mit einem Bundeskanzler als Zugpferd präsentieren. Olaf Scholz nutzte die Chance ausgiebig, offensichtlich ohne die erwünschte Wirkung. Oder wäre es ohne den Bundeskanzler für die SPD noch viel schlimmer gekommen?

Vorteilhaft für die NRW-SPD war auch, dass an der Spitze der Bundespartei mit Lars Klingbeil wieder einen Genossen steht, der genau weiß, wie man Wahlkämpfe führt und Wahlen gewinnt. Machte er nicht bei der Bundestagswahl im Herbst 2021 Scholz zum Kanzler? Hat er in NRW etwas falsch gemacht? Und wenn ja: Was?

An der Spitze der NRW-SPD steht mit Thomas Kutschaty ein Kandidat, der sich fünf Jahre lang als Oppositionsführer auszeichnen konnte und genügend Zeit hatte, sich und seine Landespartei für die NRW-Wahl zu trainieren und sich bei den Wählern beliebt zu machen. Fiel dieser Vorteil für die SPD ins Gewicht? Und wenn ja oder nein: Wie stark?

Zustimmung verschaffen

Die SPD hatte ausreichend Zeit, das Gespann Kutschaty/Scholz mit einem Team von Landespolitikern zu unterfüttern, die in der Lage waren, Kompetenz auszustrahlen und den Bürgern Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu vermitteln, in Wahlkämpfen ein Vorteil, der gar nicht hoch genug einzuschätzen ist.

Unbelastet von den Mühen und der Hektik des Regierens konnte sich die NRW-SPD in den vergangenen fünf Jahren in aller Ruhe auf sich besinnen, um nicht nur ihre Schwächen zu mindern, sondern auch ihre Stärken zu mehren.

Sie konnte die Zeit in der Opposition auch dafür nutzen, ein Programm zu entwickeln und zu propagieren, das die Partei einte, sie antrieb und ihr dazu diente, sich in der Bevölkerung große Zustimmung und breiten Rückhalt zu verschaffen.

In Verruf gebracht

Damit nicht genug: Die NRW-CDU und ihre schwarz-gelbe Koalition trugen in der vergangenen Legislaturperiode dazu bei, der NRW-SPD mit aller Kraft zu helfen und sie bei ihrem Versuch, wieder die führende Regierungspartei zu werden, wo immer es ging, mit Nachdruck zu unterstützen.

Zum Hilfsprogramm der CDU für die NRW—SPD zählte auch das zähe Bemühen des CDU-Ministerpräsidenten Laschet, den größten Teil seiner Amtszeit damit zu verbringen, sich von seinem Amt zu verabschieden. Viele Monate mühte sich Laschet ab, den CDU-Vorsitz und das Amt des Bundeskanzlers zu erwerben.

Laschet tat der NRW-SPD sogar den großen Gefallen, mit seinen Ambitionen jämmerlich zu scheitern. Er ließ sich von seinem CSU-Parteifreund Söder über viele Monate hinweg nieder machen und brachte sich und die CDU auch noch mit seinem tollpatschigen Verhalten in den Flutgebieten kräftig in Verruf.

Vielen Bürgern unbekannt

Die CDU ließ nicht nach, das Vertrauen zu verspielen, das sie über viele Jahre angesammelt hatte. Sie zeigte sich zerstritten und sogar unfähig zu handeln. Sie setzte alles daran, Kutschaty und der NRW-SPD Steilvorlagen zu liefern.

Laschets Nachfolger, der neue Ministerpräsident Wüst, war vielen Bürgern ziemlich unbekannt. Diejenigen, die ihn zu kennen glauben, nahmen ihn vor allem als Verkehrsminister wahr.

Mit dieser Personalie verschaffte die CDU Kutschaty und der NRW-SPD einen weiteren Vorteil. Im Stauland NRW ist jeder Verkehrsminister besonders gut dafür geeignet, sich bei den Bürgern unbeliebt zu machen und sich von ihnen und der Opposition abwatschen zu lassen.

Ohne Amtsbonus

Einen besseren Konkurrenten als Wüst hätte sich SPD-Spitzenkandidat Kutschaty für seinen Kampf um das Amt des NRW-Ministerpräsidenten gar nicht wünschen können.

Wüst übernahm dieses Amt erst knapp sieben Monate vor der Wahl. Viel bewegen konnte er nicht. Der Zeitraum war zu kurz, um einen Amtsbonus aufzubauen und sich als Regierungschef zu profilieren.

Zugute kam Kutschaty auch, dass Wüst in der NRW-CDU nicht unumstritten war. Kommunalministerin Scharrenbach hatte sich ebenfalls Chancen ausgerechnet, Laschet zu beerben. Auch Innenminister Reul waren Ambitionen nachgesagt worden.

Viele Rentner verärgert

Solche Verwerfungen in Regierungsparteien sind für die Opposition, ihre Fraktionen und ihre Spitzenkandidaten üblicherweise ein Geschenk des Himmels. Es bietet ihnen viele Möglichkeiten, den Amtsinhaber zu destabilisieren, zu demolieren und zu demontieren.

Die Fehler, Mängel und Tölpeleien der schwarz-gelben NRW-Koalition lieferten der NRW-SPD außerdem jede Menge Stoff, um die NRW-CDU und ihren neuen Ministerpräsidenten Wüst ins Wanken und aus dem Tritt zu bringen.

Die Corona-Politik der NRW-Koalition schwankte von Anfang an hin und her. Klar war nur der Mangel an Klarheit. Außerdem begann die Impfkampagne mit einem Fehlstart. Er verärgerte vor allem viele Rentner, die zu einem großen Teil als CDU-Wähler gelten. Was hätte der NRW-SPD Besseres passieren können als eine CDU, die ihre Stammwähler vergrault?

Ein saftiger Skandal

Noch größeren Unmut löste die schwarz-gelbe Koalition mit ihrer Schulpolitik aus. Sie lag zwar in den Händen der FDP, bot aber genügend Anlass, auch die CDU in Mithaftung zu nehmen.

Schon oft in der NRW-Geschichte gaben Landesregierungen mit ihrer Schulpolitik der Opposition die große Chance, den Unmut der Bevölkerung über die Regierung zu steigern und ihr zuzusetzen. Die schwarz-gelbe Koalition machte keine Ausnahme. Sie tat vor dieser Wahl der SPD den Gefallen.

Das größte Geschenk an die NRW-SPD bewahrte sich die NRW-CDU bis zum Höhepunkt des heißen Wahlkampfes auf. Sie lieferte der SPD und ihrem Spitzenkandidaten Kutschaty dann genau das, wonach sich jeder Wahlkämpfer sehnt. Die NRW-CDU verwickelte sich in einen saftigen Skandal.

Den Zünder ruiniert

Während große Teile des Landes unter riesigen Wassermassen absoffen, machte die CDU-Umweltministerin Heinen-Esser Urlaub auf Mallorca und feierte dort mit anderen CDU-Mitgliedern des NRW-Kabinetts den Geburtstag ihres Mannes. Damit nicht genug, belog sie über diesen Vorgang auch noch einen Untersuchungsausschuss des Landtages.

Die Ministerin musste kurz vor der Wahl zurücktreten. Der Skandal besaß jede Menge Sprengstoff, um der NRW-CDU und ihrem Ministerpräsidenten und Spitzenkandidaten Wüst schwer zu schaden. Doch die NRW-SPD zündete den Sprengstoff nicht.

Statt eine Kettenreaktion auszulösen, damit der CDU, Wüst und den Wählern das Hören und Sehen verging, ruinierte die NRW-SPD den Zünder. Bei der Aufklärung des Skandals hatte sie weit über das Ziel hinaus geschossen: Sie hatte der minderjährigen Tochter der CDU-Ministerin nachspioniert. Die NRW-SPD schaffte es, den CDU-Skandal mit ihrem eigenen zu überlagern.

Die Bindung gelockert

In den Umfragen vor der Wahl war erkennbar, dass die FDP, die Linke und die AfD Stimmen einbüßen würden. Auch diese Entwicklung spielte der SPD in die Karten. Es bot sich ihr die Chance, von der Schwäche der anderen Parteien zu profitieren.

Diese Gelegenheit optimal zu nutzen, gelang ihr jedoch nicht. Sie schaffte es nicht einmal, ihre Wählerschaft zu halten. Vor allem in ihren Ruhr-Hochburgen, die längst nur noch Ruinen sind, blieben viele frühere SPD-Wähler diesmal von den Wahlurnen weg.

Die Bindung der SPD-Wähler an die Partei hat sich offensichtlich stark gelockert. Ungewiss ist, ob diese Entwicklung an ihre Grenzen gekommen ist oder fortschreiten wird. Es hat den Anschein, als hätten die Wähler Schuld daran, dass die SPD das schlechteste Ergebnis bei einer NRW-Wahl einfuhr.

Bei den Wählern eingeschleimt

Mit den vielen Vorteilen, die sich der NRW-SPD in den vergangenen Monaten boten, hätte sie die Wahl gewinnen können, wenn nicht sogar gewinnen müssen. Die Frage ist, warum die Partei ihre Chancen nicht nutzte. Sie selbst scheint sich diese Frage nicht zu stellen. Das ist nicht ungewöhnlich.

Die SPD arbeitet wieder daran zu schrumpfen. Sie neigt dazu, ihre Schwächen zu übersehen oder sie als Stärken zu empfinden, ihre Niederlagen als Erfolge auszugeben oder als das Resultat der Stärke anderer Parteien zu umzuwerten. Ihre Niederlage in Schleswig-Holstein etwa erklärte sie nicht mit ihren Fehlern, sondern damit, dass der CDU-Spitzenkandidat sehr beliebt sei. Hat er sich bei den Wählern etwa eingeschleimt?

Die Gewohnheit der Parteien, von eigenen Problemen abzulenken, hat eine lange Tradition, die gerade von den Grünen perforiert wird. Diese Tradition ist älter als der Brauch, am Wahlabend im TV den Wählern zu danken. Der neue SPD-Chef Klingbeil ist der Tradition der Ablenkung besonders eng verbunden. Am Wahlabend meinte er tatsächlich, in NRW seien CDU und FDP abgewählt worden, weil die Wähler SPD und Grüne wollten.

Über Ulrich Horn (Gastautor):

Begonnen hat Ulrich Horn in den 70er Jahren als freier Mitarbeiter in verschiedenen Lokalredaktionen des Ruhrgebiets. Von 1989 bis 2003 war er als Landeskorrespondent der WAZ in Düsseldorf. Bis 2008 war er dann als politischer Reporter in der Essener WAZ-Zentralredaktion tätig. Dort hat er schon in den 80er Jahren als Redakteur für Innenpolitik gearbeitet. 2009 ist er aus gesundheitlichen Gründen ausgeschieden. Seine Beiträge im Extradienst sind Crossposts aus seinem Blog "Post von Horn". Wir bedanken uns für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe an dieser Stelle.

Ein Kommentar

  1. Roland Appel

    Seit Jahren wissen wir, dass Persönlichkeiten in der Politik wichtiger sind, als Parteiprogramme. Hendrik Wüst war ein No-Name, aber auffällig war schon, dass ihn als ehemaligen Geschäftsführer des Verbandes der Zeitungsverleger selbst liberale Zeitungen wie der Kölner Stadtanzeiger ständig gepusht haben – sei es, er habe eine Hundehütte eingeweiht, einen Streifenwagen gestreichelt oder einen Pups gelassen. Wüst hatte massive Hilfe. Aber das sagt noch nichts über die SPD. Die Antwort ist einfach: Sie hat einfach den falschen Kandidaten aufgestellt. Kutschaty war schon als Justizminister antriebslos, profillos. DER Heiko Maas von NRW. Das konnte nur schief gehen. Svenja Schulze hätte die Chance gehabt, Wüst wegzupusten. Sie war lange Landespolitikerin, ich habe sie dort als zugewandte und bissige SPD-Politikerin mit Ideen und Stallgeruch kennen gelernt. Sie war Wissenschaftsministerin und kennt sich in NRW aus. Oder Bärbel Bas, ja sogar das Küken Jessica Rosenthal, sie alle wären besser, ehrlicher, lebendiger authentischer gewesen, als die profillose Schlaftablette Kutschaty. Aber wenn eine Partei, die mal den Anspruch hatte, dass NRW ihre “Herzkammer” war, dieses Land einem Langweiler ohne Herz und Verstand überlässt, hat sie es nicht anders verdient. Schade nur um das Land.

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