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Angriffskrieg als Straftatbestand

Die UN-Charta verpflichtet in Art. 2 alle Mitgliedstaaten, „ihre internationalen Streitigkeiten durch friedliche Mittel so beizulegen, dass der Weltfriede, die internationale Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden.“ Die Mitgliedstaaten müssen „in ihren internatio­nalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhän­gigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unver­einbare Androhung oder Anwendung von Gewalt unterlassen“.

Deutschland hat zum Thema „Angriffskrieg“ weitergehende gesetzliche Regelungen – al­lerdings mit Lücken. Bis vor wenigen Jahren galt § 80 des Strafgesetzbuchs. Er besagte: „Wer einen Angriffskrieg, an dem die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sein soll, vorbe­reitet und dadurch die Gefahr eines Krieges für die Bundesrepublik Deutschland her­beiführt, wird mit lebenslan­ger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jah­ren bestraft.“ Dieser Para­graf war die Umsetzung der Vorgabe von Art. 26 (1) des Grund­gesetzes, der die Führung von Angriffskriegen als verfassungswidrig kennzeichnet und verlangt, sie unter Strafe zu stellen.

2017 wurde § 80 StGB gestrichen. Dies fand keine besondere öffentliche Aufmerksamkeit, weil Deutschland im gleichen Jahr das (deutsche) Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) um ei­nen § 13 ergänzte. Danach sind Personen, die Angriffskriege planen, vorbereiten, einleiten oder führen oder vergleichbare Handlungen begehen, mit lebenslanger Haft oder mit min­destens zehnjähriger Freiheitsstrafe bedroht. Diese Einfügung erfolgte, nachdem das „Rö­mische Statut des Internationalen Gerichtshofs“ um Art. 8 „Kriegsverbrechen“ ergänzt wor­den war.

Beide Gesetze verfolgen das gleiche Ziel, nämlich kriegerische Angriffe zu ahnden. Bei Verstößen gegen § 13 des Völkerstrafgesetzbuchs wird die nationale Justiz tätig und beim Römischen Statut der Internationalen Strafgerichtshof. Letzterer kann jedoch nur handeln bei Staaten, die das Statut ratifiziert haben, und bei Straftaten, die sich nach dem Inkraft­treten von Art. 8 ereignet haben.

§ 13 VStGB stellt gegenüber § 80 StGB einerseits eine positive Entwicklung des Völker­rechts dar, weil die Strafandrohung nicht mehr nur für die Vorbereitung, sondern auch für die Planung, Einleitung oder Ausführung einer Angriffshandlung gilt. Andererseits entfällt die Zuständigkeit im Ausland. Grundsätzlich gilt im Völkerstrafgesetzbuch zwar das Welt­rechtsprinzip, wonach eine Strafbarkeit nach deutschem Recht überall besteht. Anders ist es bei Angriffskriegen: § 13 VStGB gilt unabhängig vom Tatort nämlich nur, „wenn der Tä­ter Deutscher ist oder die Tat sich gegen die Bundesrepublik Deutschland richtet.” Damit sollen offenbar mögliche Konflikte mit verbündeten Staaten vermieden werden.

Die Erfahrungen mit § 80 StGB haben gezeigt, dass die Androhung von harten Strafen für kriegerische Aggressionen nicht ausreicht. Es müssen auch eine handlungsfähige Justiz und der politische Wille dahinter stehen, dieses Gesetz anzuwenden. Drei Beispiele der Ver­gangenheit zeigen leider, dass dies in Deutschland bislang nicht der Fall war. In allen Fäl­len lehnte der Generalbundesanwalt es mit mehr oder weniger konstruier­ten Begrün­dungen ab, entsprechende Strafanzeigen aufzugreifen. Allzu überraschend ist dies nicht, da der Generalbundesanwalt an Weisungen des Bundesjustizministers gebun­den ist.

Beispiel 1: Das Netzwerk Friedenskooperative erstattete 2004 Strafanzeige gegen die Bundesregierung, vertreten durch Bundeskanzler Schröder und Außenminister Fischer, wegen Beihilfe zu einem Angriffskrieg gemäß § 80 StGB, weil die Bundesregierung den USA bei deren völkerrechtswidrigem Angriffskrieg gegen den Irak Überflugs-, Bewegungs- und Transportrechte gewähre und Aufklärungsflugzeuge mit deutschen Piloten besetzt sei­en.

Die Ablehnungsbegründung des Generalbundesanwalts war bemerkenswert: „Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift ist nur die Vorbereitung an einem Angriffskrieg und nicht der Angriffskrieg selbst strafbar, so dass auch die Beteiligung an einem von anderen vorbereiteten Angriffskrieg nicht strafbar ist. Ein Analogieschluss dahingehend, dass dann, wenn schon die Vorbereitung eines Angriffskrieges strafbar ist, dies erst recht für dessen Durchführung gelten müsse, ist im Strafrecht unzulässig.“ – Eine solche Begründung kann es nach der Einführung von § 13 VStGB, der selbstverständlich den Angriffskrieg selbst als Straftatbestand anführt, nicht mehr geben.

Beispiel 2: Der Aachener Friedenspreis e.V. erstattete 2006 Strafanzeige gegen Bundes­kanzlerin Angela Merkel und Verteidigungsminister Franz Josef Jung, weil mit der Verab­schiedung des neuen Weißbuchs der Bundeswehr Angriffskriege vorbereitet würden. Nach der darin festgeschriebenen Militärdoktrin übernehme die Bundeswehr die Rolle einer weltweit präventiv einzusetzenden Interventionsarmee, wozu sie mit entsprechenden Waf­fensystemen ausgestattet werde. Diese neue Definition von „Sicherheit und Verteidigung“ sei mit dem Grundgesetz, der UN-Charta und dem Völkerrecht nicht vereinbar.

Der Generalbundesanwalt lehnte ein Ermittlungsverfahren ab, weil die Tathandlung und der Taterfolg – Vorbereitung eines Angriffskrieges – nicht hinreichend konkretisiert seien. Die Planung müsse einen Zustand entstehen lassen, der den Ausbruch eines Krieges zu­mindest als naheliegende Möglichkeit erscheinen lässt. Nach Ansicht der Antragsteller engte die Bundesanwaltschaft damit den Zeitraum unzumutbar ein, in dem eine Strafan­zeige gestellt werden kann: Einerseits lehnt sie den Antrag des Friedenspreises ab, weil noch kein konkreter Kriegsplan und keine konkrete Gefahr eines Kriegsausbruchs erkenn­bar seien. Andererseits vertrat sie in einer früheren Klageablehnung (siehe oben) die Mei­nung, dass nur die Vorbereitung, nicht aber die Führung eines Angriffskriegs strafbar sei.

Beispiel 3: Im Juni 2016 reichte die Bundestagsfraktion der Linken Klage nach § 80 StGB ein, weil der Militäreinsatz in Syrien nicht durch Resolutionen des Sicherheitsrates gedeckt und auch kein Fall der Selbstverteidigung sei. Auch eine Reihe deutscher Juristen hat nach der Entscheidung der Bundesregierung, die Bundeswehr am Anti-IS-Einsatz der US-geführten Koalition in Syrien zu beteiligen, eine Strafanzeige gegen Kanzlerin Angela Mer­kel, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und alle Abgeordneten eingereicht, die dem zugestimmt haben. Teilweise richtete sich dies auch gegen die Soldaten, die an Pla­nung und Umsetzung des Einsatzes beteiligt waren.

Die Abweisung durch den Generalbundesanwalts ist bemerkenswert: Ein Angriffskrieg sei zwar verfassungswidrig, doch müsse man dabei “die historischen und systematischen Hin­tergründe einschränkend” berücksichtigen. Es müsse “eine offenkundige und schwerwie­gende Verletzung des Völkerrechts” vorliegen, was hier nicht der Fall sei. Wichtig sei zu­dem, dass sich der Einsatz der Bundeswehr nicht gegen die syrische Regierung richte (was ein Angriffskrieg wäre), sondern gegen eine “nicht-staatliche Konfliktpartei” in einem “nicht mehr durch den syrischen Staat kontrollierten Gebiet”. Auch werde der Krieg von mehr als 60 Staaten getragen. Militäreinsätze in Regionen, wo sich Aufständische durch­gesetzt haben, sind nach dieser Logik also nicht als Angriffskriege einzustufen, vor allem, wenn genügend willige Staaten mitmachen.

Über Heiner Jüttner:

Der Autor war von 1972 bis 1982 FDP-Mitglied, 1980 Bundestagskandidat, 1981-1982 Vorsitzender in Aachen, 1982-1983 Landesvorsitzender der Liberalen Demokraten NRW, 1984 bis 1991 Ratsmitglied der Grünen in Aachen, 1991-98 Beigeordneter der Stadt Aachen. 1999–2007 kaufmännischer Geschäftsführer der Wassergewinnungs- und -aufbereitungsgesellschaft Nordeifel, die die Stadt Aachen und den Kreis Aachen mit Trinkwasser beliefert.

Ein Kommentar

  1. A.Holberg

    Mir scheint, dass diese juristischen Spitzfindigkeiten – mit welchen Hintergedanken auch immer sie ausgeheckt wurden – das Papier nicht wert waren und sind, auf das sie geschrieben wurden. Ohnehin hat dieses ganze “Völkerrecht” – ein Recht, dass bekannterweise nicht von den Völkern, sondern von ihren mehr oder meist weniger freiwillig von ihren akzeptierten Herrschenden festgelegt wurde, in der Realität kaum eine bis keine Bedeutung. Wer glaubt, die Macht zu haben , auf dieses Recht zu pfeifen, wenn es nicht seinen eigennützigen Interessen entspricht, tat und tut eben dieses. Bisweilen geschieht das durch die Ausnutzung sich in der Praxis widersprechender Bestimmungen des Völkerrechts, wie der der Wahrung der territorialen Integrität bestehender Staat und dem Selbstbestimmungsrecht der Völker. Wenn “Putin” durch seine Militäroperation in der Ukraine deren territoriale Integrität in Frage stellt, kann er doch – gleich, ob das sein wirkliches Motiv ist oder nicht- zu Recht darauf hinweisen, dass er der russischen Bevölkerung der Ostukraine durch seinen Einmarsch die nationale Selbstbestimmung ermöglicht, die spätestens seit dem Maidan-Putsch von 2014 von der Zentralregierung zunehmend nicht zuletzt durch die militärischen Operationen der “Kiewer”, die bislang mindestens 14.000 zivile Opfer dort mit sich gebracht haben, untergraben wurde. Nichts davon galt und gilt allerdings für den Angriffskrieg der USA gegen Vietnam, Kambodscha und Laos, gegen Afghanistan, den Irak, Libyen und Syrien sowie für die Ignorierung des nationalen Selbstbestimmungsrechts der Sahrauis in der von Marokko okkupierten ehemaligen von Spanien kolonialisierten Westsahara nicht nur durch die USA, sondern auch die EU, jüngst insbesondere durch die “sozialistische” (sprich: sozialdemokratische) Regierung in Madrid, um vom seit 1948 zionistisch kolonisierten Palästina ganz zu schweigen. Entsprechende Resolution der UN werden – natürlich straflos – seit eh und je ignoriert.

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